Der «Correctiv»-Bericht «Geheimplan gegen Deutschland» über ein Treffen Rechtsextremer hat Massenproteste gegen die AfD ausgelöst. Doch es gibt auch Kritik.
Martin Sellner, der Vordenker der neurechten Identitären Bewegung, mehrere AfD-Politiker, Mitglieder der Werte-Union und ein Zahnarzt, der seit seiner Jugend im Blut-und-Boden-Milieu verkehrt: Sie und andere Vertreter der rechten bis rechtsextremen Szene sollen sich am 25. November 2023 in einem Hotel bei Potsdam getroffen haben, um über die Vertreibung von Millionen Migranten zu sprechen. Die «Ansiedlung von Ausländern rückabwickeln», soll es Sellner genannt haben und auch Leute gemeint haben, die längst Deutsche sind. Das berichtete das deutsche Medium «Correctiv» am 10. Januar unter dem Titel «Geheimplan gegen Deutschland» – und löste damit internationale Empörung aus, besonders gegen die AfD.
Herr von Daniels, «Correctiv» hat mit der Recherche über ein Remigrations-Treffen von Vertretern von rechts aussen ein gewaltiges Echo ausgelöst. Hat Sie das überrascht?
Wir waren überwältigt. Wir hatten erwartet, dass die Recherche eine politische Wirkung haben würde. Aber dass die Veröffentlichung eine Bewegung auslöst, dass in Deutschland während Wochen über 3,5 Millionen Menschen auf die Strasse gehen: Damit habe ich nie gerechnet.
Waren Sie bei der Recherche selber vor Ort?
Nein, aber ich wusste, was gerade passiert. Wir hatten eine Person, die im Hotel eingecheckt hat und die relativ nah beobachten konnte, wie sich die Teilnehmer verhalten haben. Zusätzlich haben wir im Aussenbereich Fotos geschossen, um zu dokumentieren, wer geht da rein, wer ist über die Zeit des Treffens anwesend.
Im Text werden zahlreiche Aussagen von Teilnehmern zitiert. Bis heute weiss man nicht, wie «Correctiv» diese so genau festhalten konnte. Mit Tonaufnahmen hätte man sich ja strafbar gemacht. Wie sind Sie an die Zitate gekommen?
Das Landhaus Adlon ist ein relativ kleines Hotel, wo relativ klar ist, was passiert. Unser Mitarbeiter war dort, mehr kann ich dazu aus Gründen des Quellenschutzes nicht sagen. Wichtig ist, dass die Beteiligten die zitierten Aussagen im Kern nicht bestreiten. Sie argumentieren eher, das sei ein privates Treffen gewesen oder sie könnten sich an manches nicht erinnern. Die Kernaussage der Recherche wurde juristisch nicht angegriffen. Nur Zitate, die eher unwichtig waren. (Anmerkung der Redaktion: Ulrich Vosgerau, einer der Teilnehmer, hat kürzlich geklagt und ist mehrheitlich unterlegen, hat aber erfolgreich eine Aussage bestritten, in der es um briefliche Abstimmungen von Migrantinnen ging).
Die Teilnehmer bestreiten aber auch, dass illegale Massnahmen besprochen worden seien. Im Artikel «Geheimplan gegen Deutschland» schreibt «Correctiv»: «Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe haben.» Diese Aussage wird jedoch durch kein Zitat eines Teilnehmers belegt.
Wir haben sehr viel zitiert, um zu zeigen, was Remigration bedeutet. Martin Sellner hat von mehreren Gruppen gesprochen, Asylsuchenden, Menschen mit Aufenthaltsrecht und «nicht assimilierten Staatsbürgern». Natürlich haben wir versucht, zu übersetzen, was das bedeutet.
Das heisst, dass Leute mit einer «falschen» Hautfarbe ausgewiesen werden sollen, war eine Interpretation von «Correctiv».
Das Entscheidende ist doch: Wer bestimmt, wer assimiliert ist und wer nicht? Im deutschen Recht ist das nicht vorgesehen. Das öffnet der Willkür Tür und Tor. An dem Treffen wurde versucht, das zu kaschieren, als wäre es legal möglich, Leute aus dem Land zu drängen und mit Gesetzen dafür zu sorgen, dass sie sich nicht mehr wohlfühlen. Das ist das Perfide.
Im Artikel werden explizit Bezüge zur Wannsee-Konferenz und zum Madagaskar-Projekt der Nazis hergestellt. Gleichzeitig schreibt «Correctiv» in einem Begleittext, man habe im Artikel auf das Wort «Deportationen» verzichtet: Das Besprochene erscheine «eindrücklich genug». Warum dann diese Nazi-Vergleiche?
Martin Sellner schwebt vor, rund 2 Millionen Menschen nach Afrika zu bewegen. Da ist es doch legitim, ähnliche Pläne zu erwähnen.
An der Wannsee-Konferenz hat die Führungsriege der SS darüber diskutiert, wie man die europäischen Juden am besten vernichten könne. Das ist doch ein krasser Vergleich.
Wir haben das erwähnt, weil das Treffen nicht weit vom Wannsee stattfand. Und es ging offensichtlich um die pauschale Vertreibung von Menschen. Aber wir behaupten nicht, es gehe um eine ähnliche Dimension wie 1942. Unser Artikel hatte eine enorme Wirkung in der Gesellschaft – nicht wegen einzelner Formulierungen, sondern wegen seiner Brisanz. Nicht nur, was besprochen wurde, sondern auch, wer gesprochen hat. Da kamen Ideologie, politische Strategie und mögliche Geldgeber zusammen.
An den Demonstrationen «gegen Rechts» wurden zahlreiche Bezüge zu 1933 hergestellt, der Unterschied zwischen rechts und rechtsextrem wurde oft verwischt mit Parolen wie: «Merz ist mitgemeint». Auch Linksextreme mischten an den Kundgebungen mit, die die Demokratie ablehnen. Sehen Sie das als Missbrauch?
Ich glaube, das ist ein falsches Bild. Die Millionen Menschen gingen in erster Linie auf die Strasse, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen und für die Demokratie. Menschen verschiedenster politischer Ansichten haben sich getroffen, die sonst nie gemeinsam demonstrieren würden. Es mag sein, dass es Ausreisser gab, aber das ist nicht das, was die Stimmung ausgemacht hat. Sie war nicht parteipolitisch oder extremistisch, es hat die Mitte der Gesellschaft zusammengebracht.
Sie haben gesagt, die Geschichte habe auch eine politische Wirkung. Meinen Sie damit auch, dass der Artikel die Verbotsforderungen gegen die AfD verstärkt hat?
Das hat sicher eine Rolle gespielt. Die Debatte wurde geschärft, unabhängig davon, wie man zu einem Verbot steht. Dazu gab es direkte Folgen, etwa dass Alice Weidel ihren engen Mitarbeiter Roland Hartwig entlassen hat. Oder was die Abgrenzung der CDU zur AfD angeht.
Hat die hohe AfD-Präsenz am Potsdamer Treffen gezeigt, mit wem man es bei der Partei zu tun hat, oder sind das Einzelmasken, die nicht repräsentativ sind?
Es ging um hochrangige Vertreter dieser Partei. Ein Fraktionsvorsitzender, ein enger Mitarbeiter des Bundesvorstandes, eine Bundestagsabgeordnete, das sind keine einfachen Parteimitglieder. Sie haben im Treffen eine aktive Rolle gespielt. Es ging darum, diesen Masterplan Remigration in die Partei hineinzutragen. Das war kein einfaches privates Treffen.
Kurz nach der Veröffentlichung des «Correctiv»-Artikels setzte Bundeskanzler Olaf Scholz Tweets ab, es gab ein Treffen von «Correctiv» mit Frank-Walter Steinmeier bei Kaffee und Gebäck, wo er sich bedankt hat. Ist es unheimlich, wenn man als Journalist derart umarmt wird von Mächtigen?
Entscheidend ist, dass man sich nicht umarmen lässt. Der Bundespräsident hat uns eingeladen, das ist sein gutes Recht, wir haben dort auch ein durchaus lebendiges und kritisches Gespräch geführt.
«Correctiv» wird mit Bundesgeldern alimentiert, derzeit werben Ihre Kollegen für das Programm «Demokratie leben», mit dem die Regierung vor allem Organisationen fördert, die Rot-Grüne für förderungswürdig halten. Damit wirkt «Correctiv» wie eine Vorfeldorganisation der Regierung.
Diese Zuschreibung ist komplett daneben und falsch. Wir sind ein gemeinwohlorientiertes, unabhängiges Medienhaus. Unsere investigative Arbeit finanziert sich durch Spenden von Unterstützerinnen und Unterstützern. Wir entscheiden komplett selbst, worüber wir recherchieren und worüber nicht. Die Förderung bekommen wir für Medienbildungsprojekte, die ein eigener Bereich bei «Correctiv» sind.
Mit dem Programm «Demokratie leben» werden auch Organisationen gefördert, die Antisemitismus von Islamisten leugnen oder sonst mässig demokratiefreundliche Positionen vertreten. Da muss man als Journalist doch genau hinschauen, statt dafür zu werben.
Wir bekommen für unsere Recherchen kein staatliches Geld, lassen uns auch nicht beeinflussen. Im Gegenteil, wir decken Missstände und Skandale auf. Da gibt’s keine Vorbehalte.
Grosse Stiftungen, die ebenfalls politische Ziele verfolgen, gehören ebenfalls zu den Förderern von «Correctiv»: Mercator, Open Society Foundations, die Stiftung von Pierre Omidyar. Kann man so unabhängigen Journalismus betreiben?
Schauen Sie, welche Recherchen wir in der Vergangenheit gemacht haben, zum Beispiel den Cum-Ex-Skandal. Wir haben keine Angst vor den Mächtigen, vor Konzernen. Natürlich ist es legitim, über die Finanzierung von «Correctiv» zu sprechen, aber ich habe den Eindruck, dass damit oft vom eigentlichen Thema abgelenkt wird. Wir müssen über die Remigrations-Pläne reden, darüber, was das für Folgen für die Gesellschaft hat.
«Correctiv» plant auch ein Projekt in der Schweiz. Können Sie mehr dazu sagen?
Wir wollen lokale Medien vernetzen und mit Recherchen unterstützen. Der lokale Journalismus kommt immer mehr unter Druck. Dabei ist er sehr wichtig für die Demokratie vor Ort. Wir haben unter anderem vor, Datensätze schweizweit zu analysieren und auf die lokale Ebene runterzubrechen. Wir haben das in Deutschland schon sehr erfolgreich etabliert, für den Lokaljournalismus ist das ein grosser Gewinn.