Ein Zürcher Gymnasiast ist der erste, der eine der begehrten Tafeln überreicht bekommt. Eindrücke von einem verrückten Hype in Kilchberg.
«Muss das jetzt sein? Ich sollte eigentlich gehen.»
Matteo ist übermüdet. Schliesslich hat der 17-Jährige die halbe Nacht kein Auge zugetan – auf einem Camping-Klappstuhl vor dem Lindt-Shop in Kilchberg. Seit halb zwei in der Früh hielt er die Stellung. Der Gymnasiast wollte sichergehen, dass er eine der begehrten Tafeln namens «Dubai Chocolade» auch erhalten würde, die hier am Samstagvormittag verkauft werden.
Er ist der erste, der unter goldenem Konfetti-Regen ein Ticket für den Laden bekommt. Er ist erste, dem eine pistaziengrüne Packung in einer pistanziengrünen Tüte überreicht wird. Er ist der erste, der für 150 Gramm Dubai-Schokolade 14.95 Franken bezahlt an der Kasse.
Matteo ist der Mann, auf den sich die Medien stürzen an diesem verrückten Novembermorgen. Das Fernsehen von SRF, «20 Minuten», «Blick», «Watson», der Fotograf einer Bild-Agentur, die NZZ: Sie alle wollen etwas von ihm. Also erzählt er seine Geschichte immer wieder aufs Neue: Die Dubai-Schokolade sei ein Weihnachtsgeschenk für eine gute Kollegin. Nein, er werde die Tafel nicht weiterverkaufen im Internet. Ja, auch er habe von dem Trend aus Dubai gehört. Seine Mutter habe mal eine ähnliche Schokolade aus den Niederlanden mit gebracht. «Da wusste ich: Die ist ‹huere fein›. Die will ich kaufen.»
Gratis-Marroni für alle
Aber jetzt müsse er los. Er habe heute noch ein Tennisturnier. Sagt’s und verabschiedet sich höflich. Lindt & Sprüngli hat einen weiteren Influencer, der für ein paar Stunden im ganzen Land bekannt wird.
Die PR-Aktion mit der «Dubai Chocolade» am Hauptsitz des Schokoladenherstellers am Zürichsee ist ein voller Erfolg – und eine willkommene Gelegenheit, um von einer Sammelklage in New York abzulenken. Dort droht dem Konzern ein Prozess, da Konsumentenschützer in zwei Lindt-Tafeln zu viel Cadmium und Blei festgestellt hatten.
In Kilchberg indes ist die Schokoladen-Welt noch in Ordnung. Die Menschen stehen geduldig an in der Kälte. Viele harren seit Stunden aus, bis es um 9 Uhr 30 endlich losgeht. 400 Tafeln sind zu haben, für jeden Besucher gibt es maximal eine. Familien haben einen Vorteil.
Der Gastgeber ist vorbereitet. Lange Schlangen gab es in den vergangenen Tagen auch in Düsseldorf, Berlin, Hamburg und in anderen deutschen Städten, wo Lindt erstmals eine limitierte Anzahl seiner Dubai-Schokolade verkauft hatte. In Kilchberg verteilen Mitarbeiter in Chocolatiers-Kostümen Lindor-Kugeln, Caramel-Täfelchen, heisse Schokolade und Gipfeli. Und es gibt Gratis-Marroni und -Popcorn. Kinder können sich in einem Pavillon aufwärmen und sich mit Papier und Malstiften beschäftigen.
Ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern nimmt es sportlich. Sie stehen weit hinten in der Schlange. Falls sie leer ausgingen, werde man sich im Shop mit anderen Produkten trösten. «Und sonst war es ein schöner Ausflug hierher», sagt der Mann. Auch sie werden zum Zug kommen. Aber nach einer Stunde wird der Wartebereich abgesperrt. Vorbei ist es mit der Schokolade «aus Dubai».
Süsses Engelshaar
Dabei stammt die Tafel gar nicht aus Dubai, sondern aus Aachen. Am dortigen Standort von Lindt wurden die begehrten Stücke handgefertigt. Der Premium-Anbieter hat diese Schokolade nicht erfunden. Er hat lediglich auf einen Trend reagiert, der 2021 in Dubai begann und Schokoladenliebhaber auf der ganzen Welt begeisterte: Damals experimentierte die britisch-ägyptische Unternehmerin Sarah Hamouda mit einem neuen Rezept: Schokolade, Pistanzienmark, feingemahlene Sesamkörner und knuspriges Kadayif oder Engelshaar: süsse Teigfäden, die auch für türkische Baklava verwendet werden.
Hamoudas Kreation schlug ein wie eine Bombe. Auf Tiktok verbreitete sich der Trend im Nu. Nachahmer versuchten, Dubai-Schokolade selber herzustellen. Das ist gar nicht so einfach. Auch für Lindt ist der Hype eine Herausforderung. Aber man prüfe, die Tafeln künftig maschinell zu produzieren, sagte Lindt-Verwaltungsratspräsident Ernst Tanner am Rande des «Dubai»-Verkaufs in Kilchberg.
Und wie schmeckt das gute Stück?
Die Tiktok-Community zumindest ist sich einig, genauso wie die versammelte Konzernleitung von Lindt, die am Samstag ebenfalls zugegen war: «Wow!»