In seiner Graphic Novel «Monica» sucht die Titelheldin nach der Wahrheit über ihre Hippie-Mutter. Der Comicautor Daniel Clowes deckt dabei Kontinuitäten im amerikanischen Obskurantismus auf.
Mit ihrem geschäftlichen Erfolg wächst in Monica das Gefühl innerer Leere. Kurzerhand verkauft sie ihr Kerzengeschäft und macht sich auf die Suche nach ihrer Mutter Penny. In den frühen 1970er Jahren hat Penny ihre damals etwa fünfjährige Tochter deren Grosseltern anvertraut. Frei von allen Bindungen, wollte sie sich in der bunten Welt der Hippies verwirklichen.
Aber Penny strandete, wie Monica herausfindet, in der bizarren Sekte «Die Öffnung». Diese kleine, aus einem knappen Dutzend Jüngerinnen und Jüngern bestehende Kommune verehrt auch im 21. Jahrhundert noch ihren autoritären Guru und seine haarsträubende Mystik.
In der Hoffnung, ihre Mutter zu finden, schliesst sich Monica selbst der kultischen Gemeinschaft an und unterwirft sich mehrere Monate lang deren rigider Disziplin und den obskuren Ritualen. Ihre Mutter trifft Monica jedoch nicht, Penny ist tabu.
Ein Gefühl von Wahnsinn
Der 63-jährige amerikanische Comiczeichner und -autor Daniel Clowes schildert die klaustrophobische Enge und die Machtstrukturen des Sektenmikrokosmos auf einem Dutzend dichten Seiten als absurden Albtraum. Als nicht weniger traumatisch erscheinen aber auch die USA, durch die Monica nach ihrer Sektenerfahrung irrt – immer auf der Suche nach ihrer Mutter. Es ist ein zerrissenes Land, das ohne grosse Hoffnung um sich selbst kreist.
«Alles schien ganz normal zu sein», heisst es irgendwann, «aber es lag etwas Ungewöhnliches in der Luft, ein Gefühl von Wahnsinn.» Diese Atmosphäre ist charakteristisch für die meisten Graphic Novels von Daniel Clowes, der zu den Schlüsselfiguren der amerikanischen Comicszene gehört. Er begann seine Karriere mit kühlen und sarkastischen Comics über die Pop-Kultur. Seither sind seine Geschichten aber immer vielschichtiger und persönlicher geworden.
Seinen ersten grossen Erfolg landete Clowes 1997 mit dem bittersüssen «Ghost World», das den letzten gemeinsamen Sommer zweier Freundinnen erzählt. «Ghost World» wurde auch verfilmt – mit Scarlett Johansson in ihrer ersten Hauptrolle.
In späteren Geschichten wie «Ice Haven» oder «Patience» stellte der Künstler seine Vielseitigkeit unter Beweis. Der Blick auf die USA wurde kühler, finsterer. Gleichzeitig entwickelte sich Clowes auch als Autor weiter. Er brach narrative Normen auf, spielte mit Genres und ihren Versatzstücken, gerierte sich als unzuverlässiger Erzähler.
So auch in «Monica», der 2024 am Comicfestival von Angoulême als bester Comic des Jahres ausgezeichnet worden ist. Die neun Kapitel sind nur zum Teil chronologisch angeordnet und variieren erzählerisch ebenso wie zeichnerisch.
Pennys Hingabe an Sex, Drogen und Verschwörungstheorien lässt Clowes in den optimistisch grellen Farben alter Teen-Romance-Comics leuchten; anderswo bezieht er sich auf die Mystery- und Horrorcomics der 1950er Jahre. Dann wiederum lässt er psychedelische Typografien über die Seiten fliessen.
Unbehaglich aktuell
Diese Stilelemente stehen in engem Bezug zu den Episoden. Sie intensivieren die unheimliche Stimmung einzelner Situationen, und sie tragen zur Charakterisierung der Figuren bei, denen Monica auf ihrer Suche begegnet: verwirrte Überlebende aus bewegteren Zeiten.
Auch das erzählerische Gerüst von «Monica» ist komplex. Gewisse Kapitel wirken wie eingeschobene Kurzgeschichten ohne direkten Zusammenhang mit Monicas Suche. Im kurzen «Der Vorfall» etwa taucht einer von Pennys Ex-Freunden als hartgesottener Detektiv wieder auf, der vor den unerklärlichen Vorfällen in einer Kleinstadt kapituliert. Und in «Infernalisches Leuchten» kehrt ein junger Mann in sein Heimatdorf zurück – und findet es beherrscht von einem jahrtausendealten Opferkult vor.
Daniel Clowes führt einen dabei in die Irre, er überspringt Jahrzehnte, fokussiert auf Nebenfiguren. Zwischen den Kapiteln klaffen Lücken. Übersinnliche Elemente werden nicht erklärt – die Stimme von Monicas verstorbenem Opa etwa, der durch ein Radiogerät mit ihr spricht. So schafft Clowes eine spannungsvolle Atmosphäre – das Gefühl einer drohenden Apokalypse.
Trotz Referenzen auf die Comics von gestern und vorgestern hat «Monica» nichts Nostalgisches an sich, sondern wirkt auf unbehagliche Weise aktuell. Im abstrusen Weltbild der Alt-Hippie-Sekte sind bereits die abstrusen Verschwörungstheorien heutiger Querdenker zu erkennen. Die Unzufriedenheit der Menschen, die ausbrechen möchten – damals in eine Sekte, heute in fanatische Bubbles –, machen aus «Monica» ein gegenwärtiges Buch.
Keine Erlösung
Es sind die USA von heute, die Clowes in diesem dunklen, mit galliger Ironie geschärften Kaleidoskop beschwört, ein Land, das den Aufbruch und die Verheissungen der 1960er Jahre nicht verdaut hat und sich nun anfühlt wie ein beängstigendes, uraltes, von archaischen Flüchen heimgesuchtes Land.
Wie in der heutigen amerikanischen Medienöffentlichkeit scheinen sich auch in «Monica» Konzepte wie Wahrheit oder Wirklichkeit aufzulösen. Was mit Penny wirklich geschehen ist und was Monica wirklich erlebt, erfahren wir nicht mit abschliessender Gewissheit. Wie es in dieser Graphic Novel keinen einheitlichen Stil gibt, so gibt es auch keine Eindeutigkeit und damit weder eine Erlösung der Figuren noch eine Auflösung der Geschichte.
Das Bedürfnis nach Sinn, das Monica ursprünglich zur Reise motiviert hat, wird nicht gestillt. Auf der Suche nach Indizien muss der Leser zurückblättern – und entdeckt dann aber immer wieder neue Details und Zusammenhänge. So bleibt «Monica» über das Ende hinaus offen und spannend.
Daniel Clowes: Monica. Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland (Reprodukt Verlag, 106 Seiten, Hardcover, farbig, Euro 24 / Fr. 38.–).