US-Präsident Donald Trump hat die Märkte aufgeschreckt. Im Interview spricht Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch, über sichere Anlagen, politische Börsen und ein grosses Risiko für die Finanzmarktstabilität.
Wenn etwas in dieser Zeit gross ist, ist es die Verunsicherung. Beispielsweise mit Blick auf das Risiko einer Rezession. Zuletzt hatten Banken und Researchhäuser die Wahrscheinlichkeit eines US-Abschwungs in diesem Jahr als erhöht eingestuft. Die Ankündigung von hohen US-Zölle am 2. April liess die Renditen von US-Staatsanleihen innerhalb kurzer Zeit in die Höhe schnellen und die Börsenkurse fallen. Es folgte der Rückwärtssalto von US-Präsident Donald Trump mit der Aussetzung der «reziproken» Zölle für neunzig Tage, was für eine Gegenbewegung sorgte.
Für Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch, unterstreicht das vor allem die Bedeutung der durchdachten Streuung, die für ihn auch der wahre sichere Hafen für Investoren ist.
Herr Vorndran, wie sehr ändert sich das Umfeld binnen weniger Tage?
Da mögen ein oder zwei Aussagen aus den USA, China oder Europa hinzukommen. Doch an der Grundsituation wird sich nicht neu viel geändert haben: Wir befinden ins in einer Welt, in der die Staaten uni sono zu viele Schulden aufgehäuft haben und nun zumindest in Teilen versuchen, diese Verschuldung über kreative Instrumente zu senken. Hinter Trumps Zollpolitik steckt ja auch die Hoffnung, damit den Staatshaushalt zu finanzieren.
In solchen Phasen hoher Unsicherheit kommt es manchmal zur «all asset correlation», in der alle Anlageklassen an Wert verlieren. Wie lange dauert dieser Effekt erfahrungsgemäss?
Historische Daten habe ich nicht. Aber es ist klar, dass im Markt die Hoffnungen etwas höher gewesen sind als die ökonomischen Realitäten. Es gibt viele von ihren Überzeugungen getriebene Menschen, die auch bereits sind, gehebelt unter Einsatz von Fremdkapital einzusteigen. Ich spreche da vor allem den Technologiesektor und Kryptowährungen an. Wenn so ein Markt kippt, dann brauchen die Marktteilnehmer Liquidität. Deshalb ist passiert, was wir den ersten Tagen der Zollbaisse gesehen haben: Es ist alles gefallen. Aktien, Dollar, Gold. Dann dauert es in der Regel drei oder vier Tage, bis man versucht, das Liquiditätsthema strukturierter anzugehen. Investoren werfen zum Beispiel die Frage auf, ob es klug ist, Gold gerade jetzt zu verkaufen. Ich denke, eher nicht: Gold ist eine Versicherung.
Wie gross ist der Anteil gehebelter Investoren?
Da helfen Statistiken nicht, denn sie kennen ja nicht das dahinter stehende Vermögen. Wenn jemand eine Hypothek aufnimmt, um Aktien im Bereich der künstlichen Intelligenz zu kaufen, findet sich die Hypothek nicht in den Net-Long-Short-Statistiken. Wir merken aber auf Veranstaltungen, dass es Anleger gab, die militant-konfident waren mit ihrer Sicht auf Tech-Aktien.
Gilt dieser Befund auch für professionelle Investoren?
Nein, das würde ich nicht sagen. Aber Profianleger werden in aller Regel auch an der Performance im Vergleich zur Benchmark gemessen. Und dadurch sind sie manchmal gezwungen, sich einem Markt anzuschliessen, dem sie eigentlich nicht trauen. Nehmen Sie einen Pensionskassenmanager, der bei Tech-Aktien abseits stand, weil er sie für zu teuer hielt. Dann laufen die Märkte weiter, er hinkt seiner Benchmark hinterher. In Folge dessen steigt der Druck in den Gremien, es folgen die schlaflosen Nächte. Er steigt dann mit einer kleinen Position ein und nähert sich langsam der Benchmark an und trägt damit zu den Nettoneukäufen bei.
Und leidet dann auch, wenn die Kurse fallen. Kommt die Frage nach dem sicheren Hafen angesichts der umfassenden Unsicherheit noch zu früh?
Die Frage ist in meinen Augen nicht die nach dem Zeitpunkt, sondern danach, was der sichere Hafen ist. Eine Nestlé-Aktie, die unter neuem Management nicht schlecht aussieht? Oder eine Coca-Cola, eine Schweizer Eidgenossenanleihe, Gold? Ein Problem der sicheren Häfen ist ja, dass deren Wertentwicklung nicht beeindruckend ist. Ich denke, der sichere Hafen liegt in einem gut diversifizierten und flexiblen Portfolio von realen Werten und ein wenig Gold. Einfach, weil ich heute nicht weiss, welche Ideen morgen aus der Politik kommen.
Wie hoch sollte der Goldanteil sein?
Mindestens 5% und nicht über 15%. Mindestens 5%, weil der Anteil sonst keinen Unterschied im Portfolio macht. Und unter 15%, um ein Klumpenrisiko zu vermeiden. Falls in der Politik jemand auf die Idee kommen würde, den Privatbesitz von Gold zu verbieten, müsste man unter Umständen zu einem schlechten Kurs verkaufen. So etwas gab es in der Geschichte durchaus. Wenn ein Anleger ein Portfolio mit vielen realen Werten hat, dann läge die sinnvolle Goldquote näher an 5%. Bei Anlegern mit wenig realen Werten ginge es eher in Richtung 15%. Jeder, der Gold hat, wird im Krisenfall besser dastehen als die Nachbarn ohne diese Absicherung.
Das klingt nicht danach, als würden sie für Goldanlagen auf Exchange Traded Commodities (ETC) setzen.
Nein. Wir versuchen, das physisch zu machen, wo immer es die Regulatorik hergibt. Im Fall der Fälle ist das sicherer als ein ETC, das erst in physisches Gold gewandelt werden muss.
Wo kann die nächste Hiobsbotschaft herkommen?
Das können Margin Calls sein, weil ein Investor auf einem falschen Fuss erwischt wird. Aber auch von anziehenden Hypothekenzinsen kann Ungemach drohen, die wären für US-Hausbesitzer ein Problem. Oder weitere politische Risiken sind denkbar, etwa eine Eskalation zwischen China und Taiwan. Auch der Bondmarkt könnte mit Blick auf Mar-a-Lago ein mögliches Problem sein. Etwa, wenn Trump den Haushalt nicht über Zölle, sondern über die Bedingungen der US-Staatsanleihen unterstützen will, indem er hier durch Druck und Verhandlungen zumindest teilweise die Zinszahlungen streicht und auf zwanzigjährige Zerobonds umstellt. Dann brennt das ganze Finanzsystem, da diese Anleihen auch als «Collateral», also als Sicherheit, in vielen Bilanzen von Banken und Versicherungen zu finden sind. Es hilft uns allerdings nicht, das Portfolio auf ein solches Extremszenario auszurichten und nur in Gold und Anleihen mit kurzer Laufzeit von noch relativ sicheren Staaten zu investieren.
Warum nicht?
Wir kommen wahrscheinlich bald in eine Phase, in der kurzfristige Staatsanleihen nicht viel abwerfen. Dann muss man als Anleger handeln. Unsere Aufgabe ist es, auch in so einer grausamen Gemengelage ein sinnvolles Portfolio zusammenzustellen.
Die Bewertungen zumindest sind gefallen.
Das stimmt. Eine Bedingung für attraktive Investments ist damit schon einmal gegeben. Schwieriger ist es mit der Frage, wohin die Gewinne der Unternehmen fallen werden. Bei einigen Unternehmen ist es schon ein Problem, zu kalkulieren, wie hoch der Einfluss der Zollregulierung sein wird. Eine mögliche Rezession bleibt dabei erst einmal aussen vor. Das ist in meinen Augen derzeit das grosse Problem und wird sich auch nicht so schnell lösen. Der Blick nach vorn ist deutlich schwieriger geworden und damit das Tätigen der Gewinnprognosen. Das ist eine Unsicherheit, die in der Risikoprämie widergespiegelt wird; Investoren wollen 1 oder 1,5% mehr Risikoprämie. In der Breite könnten die Gewinne um 20% fallen und die aktuellen Kurse wären immer noch angemessen.
Macht es eigentlich einen Unterschied, dass diese Krise von einer Regierung ausgelöst wurde und nicht von bestimmten Märkten?
Macht es. Eine Hypothekenkrise beschäftigt eigentlich nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Corona traf alles sofort. Doch als die Impfstoffe geliefert wurden, kam das Gefühl auf, die Krise sei vorbei. Bei einer Krise wie der aktuellen spüren die Menschen, dass etwas nicht rund läuft. Das Problem: Wenn diese Krise nicht binnen weniger Tage gelöst ist, meinetwegen mit einem «Deal», wird sie weiter vor sich hin köcheln und das wird wirtschaftliche Folgen haben, etwa mit Blick auf Wachstum oder Inflation. Wir leben damit in einer viel fragileren Welt. Einen Impfstoff gegen Dummheit, der Vertrauen einflösst, gibt es nicht.
Wie viel Vertrauen ist inzwischen verlorengegangen?
Das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der politische Klasse ist in meinen Augen dauerhaft beschädigt. Das gilt für die USA, aber auch in Teilen Europas.
Lässt sich schon eine Lehre aus der Krise ziehen?
Schwierig. Etwas provokant ausgedrückt: Was wäre passiert, wenn Kamala Harris in den USA ans Ruder gekommen wäre? Vielleicht hätte der Markt direkt nach der Wahl reagiert? Vielleicht war der Markt einfach reif für eine Korrektur, unabhängig vom Auslöser? Es hilft aber nicht, dass Trump regelmässig von Dingen spricht, von denen er offenbar wenig versteht. Das ist nicht gut für das Vertrauen. Denn alle Marktteilnehmer müssen dann rätseln, was er damit wirklich anstrebt.
Politische Börsen scheinen damit gar nicht so kurzbeinig zu sein, wie es das Börsenbonmot nahelegt.
Nach einer Wahl gibt es regelmässig drei oder vier Tage Reaktionen, das sind die sprichwörtlichen kurzen Beine der Börse. Doch es gibt auch tektonische Verschiebungen, die sehr lange Beine haben. Die Öffnung des eisernen Vorhangs zum Beispiel hat das realwirtschaftliche Bild der Welt mit der nahezu grenzenlosen Globalisierung mehr als ein Vierteljahrhundert lang geprägt. Aber seitdem gibt es eine Umkehr dieser Entwicklung, weg von der Globalisierung. Ein kompletter Schutz gegen die damit einhergehenden Verwerfungen wird auch mit einem resilienten Portfolio nicht möglich sein. Ein resilientes Portfolio wird auch nie die beste Performance liefern. Man muss akzeptieren, dass der MSCI Welt auch einmal die Nase vorn hat. Doch in Phasen wie der jetzigen ändert sich das.
Zur Person
Philipp Vorndran
Philipp Vorndran ist Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch. Zuvor hat er als globaler Chefstratege bei Credit Suisse Asset Management sowie als Chief Executive Officer (CEO) bei Credit Suisse Asset Management Deutschland gearbeitet. Vorndran hat Betriebswirtschaftslehre in Würzburg studiert.