Hinter den Namen von Musikern verbirgt sich immer häufiger eine Software. Streamingplattformen können so Ausgaben senken. Und vielleicht provoziert die KI menschliche Konkurrenten zu künstlerischen Höchstleistungen.
Diese Band bricht alle Rekorde. Das Debütalbum von The Velvet Sundown ist am 5. Juni erschienen. Auf «Floating On Echoes» folgte am 19. Juni bereits der Zweitling «Dust And Silence». Mit den beiden Werken hat sich die Band in kürzester Zeit eine erstaunliche Fanbase geschaffen. Spotify hat 1,1 Millionen monatliche Hörerinnen und Hörer registriert, die am 14. Juli bereits mit einem dritten Album beglückt werden sollen.
Damit stellt The Velvet Sundown, was das Arbeits- und Publikationstempo betrifft, selbst popmusikalische Giganten wie die Beatles, Bob Dylan oder Taylor Swift in den Schatten. Bezüglich Qualität lässt sich das nicht behaupten. Das musikalische Programm setzt sich aus zähen Songs zusammen, in denen viel Pathos mit Klischees aus dem Prog Rock aufgemischt wird.
Eine Fake-Formation
Offenbar aber lässt sich damit ein grosses Publikum gewinnen. Oder ist der Erfolg von The Velvet Sundown vor allem dadurch zu erklären, dass ihre Non-Existenz derzeit für einen weltweiten Hype sorgt? Tatsächlich handelt es sich um eine Fake-Formation mit einem von der Musik-KI Suno generierten Repertoire, das ausschliesslich über Streaming-Portale verbreitet wird.
Deezer hat von Anfang an auf den KI-Status von The Velvet Sundown hingewiesen. Auf Spotify war das zunächst nicht klar. Unterdessen wird die Band aber auch hier als «a synthetic music project guided by human creative direction» entlarvt, die man mithilfe von künstlicher Intelligenz auch optisch dargestellt habe.
Es gibt witzige Bilder der Band, die die vier Rocker ausgerechnet auf der Abbey Road zeigen – wie die Beatles auf dem Album «Abbey Road» (1969). Solche Spielerei weist auf den parodistischen Aspekt hin, der sich ja schon im Bandnamen andeutet: The Velvet Sundown erinnert an die stilbildende Band Velvet Underground.
Und der Titel des Erstlings, «Floating On Echoes», darf wohl als Hinweis auf die musikalische Methode verstanden werden: Die KI hat klangliche Stereotype von Bands wie Chicago, Eagles oder The Alan Parsons Project verschnitten, so fluten Nachklänge aus der Vergangenheit durch die Tracks von The Velvet Sundown. Fuzz-Bässe, Gitarren-Soli oder Country-Akkorde ebenso wie der Hall alter Mikrofone und Röhrenverstärker wirken so retro-epigonal, dass man über das Produkt lächelt – sobald man über die produktionstechnischen Hintergründe im Bilde ist. Zuvor findet man es bloss unoriginell.
Neue Technologien kommen in der Kunst oft in humoristischer Aufmachung daher. Am Anfang der Filmgeschichte stand der Slapstick; und die Computermusik wurde dank Pop-Scherzen wie «Popcorn» (1972) von Hot Butter bekannt. Mindestens so humoristisch wie The Velvet Sundown tönte letztes Jahr auch «Verknallt in einen Talahon». Der mithilfe der Software Udio produzierte Schlager schaffte es als erster KI-generierter Titel in die deutschen Charts.
Aber bloss lustig ist die Sache nicht. Laut Spotify soll es sich bei The Velvet Sundown gar um eine künstlerische Provokation handeln, die die Grenzen künstlerischer Autorschaft und Identität aufzeige und den Einfluss von KI auf die Musik der Zukunft thematisiere. Man mag sich auch fragen, wie sich das Verhältnis zwischen Fans und solchen virtuellen Bands künftig gestalten wird. Zumal wenn man wie im Falle von The Velvet Sundown die Initiatoren des Projekts nicht kennt; anders etwa als bei der fiktiven britischen Comic-Band Gorillaz, bei der man weiss, dass Damon Albarn, der Bandleader von Blur, als leitender kreativer Hintermann agiert.
Auch in Bezug auf Streamingplattformen wie Spotify stellen sich einige Fragen. Werden KI-generierte Songs künftig in gleicher Weise honoriert wie Musik von lebendigen Künstlern? Wohl kaum! Zum einen ist urheberrechtlich nicht klar, in welchen Teilen Geld an die Initiatoren, an die Software-Entwickler oder an die Urheber jenes musikalischen Materials fliessen sollte, bei dem sich die KI bedient hat.
Zum anderen bietet KI den Streamingportalen gerade eine Chance, ihre Ausgaben zu verringern und mithin ihre Gewinne zu vergrössern. Wie die britische Publizistin Liz Pelly in ihrer Studie «Mood Machine» gezeigt hat, ist Spotify eine treibende Kraft in der Entwicklung KI-generierter Musik, gerade weil so weniger Honorare anfallen. Dem musikalischen KI-Angebot gingen bei Spotify Vorformen anonym generierter Musik voraus.
Passender Content
Die einschlägigen Playlists, die das Frühstück, das Training im Gym oder die spirituelle Einkehr begleiten sollen, werden schon länger mit Stücken fiktiver Künstler – sogenannter Ghost-Artists – bestückt. Es handelt sich um Musik, die von anonymen Firmen als «perfect fit content» produziert und mit einem Künstlernamen versehen wird. Unterdessen sollen die Streamingangebote aber immer öfter auch durch KI-Produkte ergänzt werden, die im Vergleich zu den Werken menschlicher Kreativität viel günstiger sind.
Der Erfolg von The Velvet Sundown scheint zu zeigen, dass den Konsumenten die artifizielle Entstehung der Musik egal ist, wenn diese ihren Bedürfnissen und ihrem Geschmack entspricht. Die kommerzielle Tendenz, die der Pop-Musik immer eingeschrieben war, mag nun ganz durchschlagen, wenn es keinen Austausch mehr gibt zwischen Künstlern, die sich in einem Werk verwirklichen, und ihrem Publikum; die Nachfrage alleine bestimmt die klangliche Kost.
Spätestens im Konzert aber wird man nicht ganz um den Faktor Mensch herumkommen. Und vielleicht erweist sich die KI ja als ein inspirierender Konkurrent menschlichen Schaffens, der die echten Künstler zu mehr Originalität und künstlerischen Höchstleistungen herausfordert.