Ronald-Peter Stöferle, Partner des Liechtensteiner Vermögensverwalters Incrementum, sagt im Interview, warum Gold trotz bisher ausgebliebener Rezession und höherer Zinsen auf Allzeithöchst notiert. Zudem erklärt er, warum Minenwerte in einen Superzyklus eintreten könnten.
«Gold tut immer das, was man von ihm erwartet, es tut es nur nie dann, wann wir es erwarten», zitiert Ronald-Peter Stöferle den US-Autor Richard Russell. Besser kann das derzeitige Geschehen am Edelmetallmarkt nicht beschrieben werden. Obwohl weder eine Rezession noch die Kehrtwende der US-Notenbank eingetreten sind und Privatanleger Geld aus Gold-ETF abziehen, notiert der Unzenpreis auf Allzeithöchst.
«Es scheint, als habe sich das Drehbuch für Gold geändert», sagt Stöferle, der mit seinem Team am 17. Mai die nächste Ausgabe des jährlich erscheinenden, weltweit beachteten «In Gold We Trust»-Report herausgeben wird, im Gespräch. Die Musik am Goldmarkt spiele zunehmend in den Schwellenländern, wo die Notenbanken sich nach Alternativen zum Dollar umsehen würden.
Dazu kämen die unhaltbare Verschuldung und die mangelnde Fiskaldisziplin in den Industrieländern. «Natürlich werden diese Staaten nicht pleitegehen; die Schulden werden monetarisiert, also durch die Notenbanken aufgekauft werden.» Die Inflation werde uns deshalb weiter beschäftigen.
Ferner erklärt Stöferle, warum das Edelmetall zunehmend zu einem Anleihenersatz werden könnte, wieso die Zyklen bei Goldminen so lange dauern und was Gold mit der italienischen Fussballlegende Paolo Maldini gemeinsam hat.
Herr Stöferle, vergangenes Jahr haben wir über die nahende Rezession und die bevorstehende Kehrtwende der US-Notenbank gesprochen, die den Goldpreis beflügeln sollten. Obwohl bisher weder das eine noch das andere eingetreten ist, ist der Unzenpreis auf ein neues Allzeithöchst vorgestossen. Was passiert da gerade?
Wenn Sie mir gesagt hätten, dass Gold steigen wird, obwohl sowohl die Nominal- als auch die Realzinsen deutlich anziehen werden und Privatanleger Geld aus ihren Gold-ETF abziehen, hätte ich Sie für verrückt erklärt. Doch genau das ist geschehen. Wegen des deutlichen Rückgangs der Inflation sind die Realzinsen massiv gestiegen, und Investoren haben in den vergangenen Monaten 310 Tonnen Gold aus ETF abgezogen. Dennoch notiert Gold auf einem Allzeithöchst. Es scheint, als habe sich das Drehbuch für Gold geändert.
Wie sieht denn das neue Drehbuch aus?
Ich habe die verzögerten Effekte der enormen fiskalischen Stimuli in den USA wie des Inflation Reduction Act, der die Inflation ironischerweise eher anheizt, oder der Massnahmen im Zuge der kalten Progression, die erst nachgelagert wirken, unterschätzt. Kehrseite der Medaille ist ein enormes US-Budgetdefizit von 8% der jährlichen Wirtschaftsleistung, was es in einem Jahr mit Vollbeschäftigung und robustem Wirtschaftswachstum noch nie gegeben hat. Die US-Schulden sind seit 2019 um 10 Bio. auf 34 Bio. $ gestiegen. Vor der Covid-Krise belief sich der Zinsdienst auf 1 Mrd. $ pro Tag, mittlerweile sind es 2 Mrd. pro Tag, Tendenz stark steigend. Die US-Regierung agiert wie ein betrunkener Matrose auf Landgang, und der Goldpreis eskomptiert das. Dazu kommt, dass die Musik am Goldmarkt zunehmend in den Schwellenländern und nicht mehr im Westen spielt.
Können Sie das ausführen?
Die Staaten der Brics+ weisen einen enormen Handels- und Leistungsbilanzüberschuss gegenüber dem Westen auf. Mit den zufliessenden Devisen haben sie ihren Goldbestand deutlich aufgestockt – dies vor allem seit den Sanktionen gegen Russland. Gold wird damit für die Notenbanken immer mehr zu einer neutralen, höchst liquiden und nicht vermehrbaren Alternative zum Dollar und zu US-Treasuries. Gold ist deshalb auch ein Play auf eine positive Entwicklung in den Schwellenländern, was oft unterschätzt wird. Käufer sind dabei nicht nur die Notenbanken, sondern auch die dortigen Privatinvestoren. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Wachstum in den Emerging Markets und Pro-Kopf-Nachfrage nach Gold. Vereinfacht könnte man sagen: Der Osten hat die Vermögenswerte, die Sparguthaben und den steigenden Wohlstand, der Westen hat die Schulden.
Ist die Rezession im Westen vom Tisch?
In den letzten drei Zyklen begann die Rezession zehn bis siebzehn Monate nach der letzten Zinserhöhung. Das Fed hat die Zinsen am 27. Juli letztmals erhöht, es sind bisher also neun Monate vergangen. Eine Rezession in diesem Jahr ist durchaus möglich, zumal viele, die eine solche prognostiziert hatten, inzwischen umgeschwenkt sind. Jetzt warnen nur noch vereinzelte Mohikaner wie Dave Rosenberg oder Albert Edwards vor einem Abschwung. Im Mittel hat Gold in den seit 1971 aufgetretenen Rezessionen 10,6% zugelegt, es ist also eine hervorragende Absicherung gegen eine schrumpfende Wirtschaft.
Was erwarten Sie von der US-Notenbank?
Ich rechne nicht damit, dass das Fed die Zinsen nochmals erhöht. Die Konsequenzen der unerwartet heftigen Zinswende machen sich immer stärker bemerkbar, und es zeigen sich Risse beispielsweise bei den Immobilienentwicklern, wie mein Landsmann René Benko am eigenen Leib erfahren musste. Man muss nur mit Unternehmern und Bankern reden, um zu merken, dass die Realität weit weg ist von dem Goldilocks-Szenario, das die Märkte einpreisen. In den letzten drei Zyklen hat Gold nach der letzten Zinserhöhung 43, 78 und 54% zugelegt. Jetzt stehen wir bei 7%. Das Beste kommt also noch.
Vor diesem Hintergrund erstaunt schon, dass nicht nur Gold, sondern auch der Bitcoin, die US-Börsen oder Junk Bonds deutlich angezogen haben.
Ende Oktober war der Pessimismus enorm gross, es brauchte demnach nicht viel, damit die Börsen steigen. Das hat sich inzwischen geändert, die Märkte preisen das perfekte Umfeld ein. Gold ist anders gelagert. Die Positionierung war extrem einseitig, die Spekulanten haben das Interesse komplett verloren, und viele Anleger waren von der Performance enttäuscht, obwohl Gold vergangenes Jahr in Dollar 12,8%, in Yen 21% und in Euro 9% gestiegen ist. Viele Anleger scheinen vom Gold zu erwarten, dass es mit den «glorreichen Sieben» mithalten kann. Der Value-Manager Peter Frech hat das Börsengeschehen neulich mit Kinderfussball verglichen, wo alle dem Ball nachrennen und sich niemand um die Defensive kümmert. Genau das ist jetzt der Fall.
Gold sorgt für die Defensive?
Ich bin ein grosser Fussballfan. Dabei haben es mir nicht unbedingt die Stürmer angetan, sondern die Verteidiger, die oft weniger im Rampenlicht stehen. Für mich ist Gold der Paolo Maldini des Portfolios. In über 900 Spielen für AC Milan und das italienische Nationalteam hat er nur zwei rote und rund neunzig gelbe Karten kassiert. Als Verteidiger war er extrem elegant, umsichtig, verlässlich, und er sah auch recht gut aus. Er war nicht der grosse Offensivspieler, hat aber doch Tore geschossen und vor allem solche eingeleitet. Wie Maldini macht Gold nicht nur hinten dicht und gewährleistet Stabilität im Portfolio, sondern funktioniert auch in der Offensive. Diese Eigenschaften scheinen derzeit auch einige respektierte, oft antizyklisch agierende Investoren zu würdigen.
An wen denken Sie?
Stanley Druckenmiller hat mehrere Technologiewerte abgestossen und in Barrick Gold und andere Minen umgeschichtet, und Hyperion von Elliott Management hat einen Fonds aufgelegt, der unterfinanzierte Minen unterstützt. Zudem könnte Gold in gemischten Portfolios vermehrt zu einem Anleihenersatz werden. Viele Family Offices dürften sich angesichts des 2020 gestarteten Bärenmarktes in Bonds nach Alternativen umsehen, zumal wir damit rechnen, dass Inflation und Haushaltsdefizite hoch bleiben und die Schwellenländer eher einen Bogen um Treasuries machen werden.
Kann Gold Anleihen wirklich ersetzen, die oft mehr als die Hälfte eines gemischten Portfolios ausmachen?
Die oftmals empfohlene Goldquote von 1 bis 2% macht in einem Portfolio keinen Sinn. Gemäss einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sollten Schwellenländer bis zu 20% ihrer Reserven in Gold halten. Diese 20% entsprechen ziemlich exakt der Goldquote der westlichen Notenbanken. In den Schwellenländern sind es derzeit aber lediglich 6%. Sie haben also einen massiven Aufholbedarf.
Wie präsentiert sich die Lage bei hiesigen institutionellen Investoren?
Pensionskassen und Versicherer dürfen aus regulatorischen Gründen oft kein physisches Gold kaufen. Dennoch gibt es ein gewisses Umdenken. In den vierzig Jahren der Great Moderation mit moderatem Wachstum und stetig sinkenden Inflationsraten war keine strategische Goldallokation notwendig. Sollte die Inflation hoch bleiben und die Teuerungsrate stärker schwanken, wird Gold immer mehr in die strategische Vermögensaufteilung einziehen.
Was macht Sie da so sicher?
Am Ende der stagflationären Siebzigerjahre, als das Vertrauen in den Dollar und insbesondere in Anleihen am Tiefpunkt lag, hatten institutionelle Investoren mehr als 20% in Gold investiert. Anleihen wurden damals als Certificates of Confiscation bezeichnet. Bleibt die Inflation hoch, dürfte sich die negative Korrelation zwischen den beiden wichtigsten Anlageklassen Aktien und Anleihen umdrehen, Aktien und Bonds also Hand in Hand steigen und fallen, wodurch der Diversifikationseffekt aufgehoben wird. Das hätte massive Konsequenzen für die Asset Allocation. Natürlich muss das in Bonds investierte Geld nicht ausschliesslich in Gold fliessen, es können auch alternative Anlagen, Schwellenländeranleihen, der Bitcoin oder Rohstoffe sein. Aber ich glaube schon, dass es bei vielen Portfoliomanagern langsam zu einem Umdenken kommt.
Warum soll die Teuerung hoch bleiben? Die meisten Experten rechnen mit rückläufigen Raten.
Die Geschichte zeigt, dass Inflationsschocks oft sehr hartnäckig sind. Dafür gibt es einige Gründe. So riechen Arbeitnehmer Lunte und merken, dass sie mehr Verhandlungsmacht haben als gedacht. Dann spüren wir den monetären Klimawandel, wie wir ihn in unserem «In Gold We Trust»-Report von 2021 genannt haben: Während die Notenbanken auf die Bremse getreten sind, haben die Regierungen munter Geld ausgegeben. Das hat mit Corona begonnen, als viele Politiker gemerkt haben, dass sich fiskalische Grosszügigkeit an der Wahlurne auszahlt. Fiskalstimuli wirken viel schneller auf Konjunktur und Inflation als geldpolitische Massnahmen. Dazu kommen Sonderthemen wie Re- und Nearshoring, Handelshemmnisse, Deglobalisierung, der Wille zur Aufrüstung oder die Energiewende, die alle inflationär wirken.
Gerade die fiskalische Grosszügigkeit geht mit höheren Schulden einher.
Bereits jetzt ist die Verschuldung in vielen westlichen Staaten alles andere als nachhaltig, und Sparpakete und fiskalische Austerität sind seltener als magersüchtige Sumoringer. Natürlich werden diese Staaten nicht pleitegehen; die Schulden werden monetarisiert, also durch die Notenbanken aufgekauft werden. Die Inflation wird uns deshalb weiter beschäftigen. Der US-Ökonom Murray Rothbard, ein Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, hat dafür ein Dreiphasenmodell entwickelt: Auf die monetäre Inflation, also das Wachstum der Geldmenge, folgt die Inflation der Vermögenspreise – die sich in der letzten Dekade deutlich gezeigt hat –, bis schliesslich die Konsumentenpreise anziehen. An diesem Punkt stehen wir jetzt. Wir erwarten keine Hyperinflation, aber ein Umfeld mit strukturell höherer und vor allem stärker schwankender Inflation.
Warum haben Goldminen den Anstieg des Goldpreises bisher nicht mitgemacht?
Goldminen erfüllen die drei U-Kriterien für antizyklische Investitionen: Sie sind unbeliebt, unterbewertet und in den Portfolios untervertreten. Der Goldbugs-Index erreichte 2011 ein Höchst bei 640, jetzt steht er bei 230. Goldminen hatten mit steigenden Kosten zu kämpfen, 2022 sind die Förderkosten mehr als 20% gestiegen. Vergangenes Jahr dürften es noch 5 bis 6% gewesen sein. Viele Unternehmen wirken der Kosteninflation entgegen, indem sie langfristige Lieferverträge abschliessen oder Lösungen für die Personalkosten finden. Die grosse Kostenexplosion wird heuer also nicht stattfinden, tendenziell folgen die Kosten aber dem Goldpreis, weil mit höheren Kursen weniger ergiebige Vorkommen abgebaut werden, was auf die Margen drückt. Grundsätzlich dürften aber auch die Minen vor einem Aufschwung stehen.
Wirklich? Vieles klingt nicht gerade positiv für die Förderer.
Minenaktien folgen extrem langen Zyklen. Das liegt einerseits an der hohen Stock to Flow Ratio des Goldes, die Diskrepanz zwischen Goldbestand und jährlicher Förderung ist extrem gross, was Gold von herkömmlichen Rohstoffen wie Kupfer und Öl unterscheidet, die kürzere Zyklen aufweisen. Nach ausgedehnten Boomphasen verleiten die hohen Margen die Minen zu einem suboptimalen Umgang mit den Ressourcen, es wird beispielsweise zu horrenden Konditionen akquiriert. Umgekehrt werden die Förderer in lange dauernden Depressionsphasen zu einer massiven Konsolidierung und zu höherer Effizienz gezwungen, es kommt zu einer Gesundschrumpfung, während deren auch Unternehmen pleitegehen. Das ist der Zeitpunkt, bei Minenaktien einzusteigen. Minen eigen sich nicht für Buy-and-Hold-Investitionen.
Warum nicht?
Weil die Zyklen so ausgeprägt sind, bringt die beste Bottom-up-Analyse nichts, wenn Minenwerte im Gegenwind stehen. Ausgelöst werden die Superzyklen meist durch fundamentale Veränderungen der monetären Rahmenbedingungen – Stichwort Zinserhöhungen und -senkungen. Da die Notenbanken die Zinsen eher senken als erhöhen werden, hat der Zyklus bei Minenwerten nach oben gedreht. Wir haben zum Timing des Ein- und des Ausstiegs das Active-Aurum-Signal entwickelt, in das Faktoren wie Anlegerstimmung, Risikoappetit, Momentum oder Makroindikatoren einfliessen. Es hat Anfang Dezember grünes Licht für den Kauf von Minenaktien gegeben.
Ronald-Peter Stöferle