Heimliche Dramen, verborgene Katastrophen: Im Romandebüt der niederländischen Autorin Fien Veldman wächst der schlechtbezahlten Startup-Angestellten nicht die Arbeit über den Kopf, sondern die Einsamkeit.
Wo die Liebe hinfällt! Im Juni 1979 machte die Schwedin Eija-Riitta Wallis Winther Arja Nikki Lee Eklöf mit ihrer Geliebten, der Berliner Mauer, Ernst und trat in den Bund der Ehe. Fortan hiess sie Eija-Riitta Eklöf-Berliner-Mauer. Im solcherart begründeten Liebesgenre fand sich einige Jahre später mit Erika Eiffel eine Nachfolgerin. Vor dem Pariser Wahrzeichen hatte es im Leben von Frau Eiffel auch ernsthafte Beziehungen zu einem Sportbogen und einem F-15-Kampfflugzeug gegeben.
Die Objektophilie ist ein Randgebiet der Zuneigungen und für den unbeteiligten Betrachter bisweilen ein tragikomisches Beziehungskonstrukt. Mit diesen Verwicklungen geht die niederländische Schriftstellerin Fien Veldman in ihrem Romandebüt ganz souverän um. Das Objekt der Begierde trägt hier den breitschultrigen Namen «Xerox». Es ist tatsächlich ein Drucker, mit dem die namenlose Heldin eine Liaison unterhält.
Nicht die Arbeit wächst der schlechtbezahlten Startup-Angestellten über den Kopf, sondern die Einsamkeit. In ihrer Kammer hört man es rattern und flüstern. Geschichten werden erzählt aus einer anderen Zeit, als die junge Frau noch in der Provinz lebte. Dort gab es den «Fünfguldenmann», an dem man sich aus dunklen Gründen mit Brandanschlägen rächte. Aus der Gemeinschaft wurde der Mann ausgeschlossen, aber er ist Teil einer Traumabiografie geblieben, die Fien Veldman in ihrem Roman stückweise erzählt.
Schöne neue Office-Welt
Man muss sich das zusammenreimen, so wie die fragile Heldin zu verstehen versucht, was mit ihr geschieht. Nach mehreren Zusammenbrüchen wird eine Anstrengungsallergie diagnostiziert. Die junge Frau muss sich schonen, aber die Welt schont sie nicht. Sie wird wegen ihrer Seltsamkeiten von der Arbeit freigestellt. Jemand hat ein Paket an sie verschickt, das sie stundenlang in der grossen Stadt der Grachten und alten Häuser suchen muss.
Fien Veldman hat mit ihrem Roman «Xerox» ein grossartiges Spiegelkabinett geschaffen. Die Wirklichkeit scheint zerfallen in Phantasmagorien der Angst. Aber was, wenn diese horrorhafte Wirklichkeit gar keine Einbildung ist? Es gehört zu den subtilen Tricks des Romans «Xerox», dass er seine Geschichte an einem Ort alltagsgrundierter Langeweile ansiedelt: im Büro.
«Die Welt ist für das Mittelmass da», zitiert Veldman ihren Landsmann J. J. Voskuil, den Balzac des Bürolebens. Auf über 5000 Seiten hat Voskuil Szenen beschrieben, die die Debütantin noch einmal durchschüttelt. Der Witz von «Xerox» liegt in der Verbindung aus hoher formaler Strenge und erzählerischer Abschweifung. Die Gedanken der ich-erzählenden Startup-Mitarbeiterin sind labyrinthisch und sollen doch einer schönen neuen Office-Welt folgen, wo die Mitarbeiter nur nach ihren Aufgabengebieten benannt sind und alles Persönliche eingebüsst haben. Der für PR zuständige heisst PR, Marketing macht Marketing.
Das Ende der Objekte
Mit Fien Veldman ist man an einem Kipppunkt der Gleichförmigkeit angelegt. Dahinter ist schon der Wahn. Oder ist das Büro der eigentliche Wahn? Die 1990 in Leeuwarden geborene Schriftstellerin und Journalistin Veldman erzählt in «Xerox» eine zarte Liebesgeschichte, in der sich sogar der Drucker selbst zu Wort meldet und seine Sicht der Dinge erklärt.
Gibt es ein natürliches Ende der Objekte? Steht die Liebe zu ihnen auch unter dem Verhängnis der Formel «Bis dass der Tod euch scheidet»? Die Startup-Firma stellt den ausrangierten Drucker eines Tages einfach auf die Strasse, Eija-Riitta Eklöf-Berliner-Mauer wurde 1989 aus bekannten Gründen Witwe. Der Eiffelturm ist mit seiner Frau Erika wohl bis heute noch ehelich verbunden. Man wünscht viel Glück!
Fien Veldman: Xerox. Roman. Aus dem Niederländischen von Christina Brunnenkamp. Hanser-Verlag, München 2024. 224 S., Fr. 33.90.