Die US-Notenbank lässt die Geldpolitik erwartungsgemäss unverändert und stellt für dieses Jahr weiterhin drei Zinssenkungen in Aussicht. Die Märkte reagieren positiv, doch mit dem Aufflackern der Inflation drohen erneut Probleme.
Auf den ersten Blick scheint alles nach Plan zu laufen. Grössere Überraschungen sind an der Sitzung des Federal Reserve vom Mittwoch ausgeblieben. Die mächtigste Zentralbank der Welt setzt weiterhin auf Abwarten und hofft darauf, dass die Inflation dauerhaft eingedämmt ist.
Wie erwartet hat der Offenmarktausschuss des Fed das Zielband für den Leitzins gestern deshalb unverändert auf 5,25 bis 5,5% belassen. Der Beschluss wurde einstimmig gefällt. Die Geldpolitik in den USA hat sich somit seit Ende Juli 2023 nicht verändert.
Dennoch bleibt die Situation kompliziert. «Wir wissen, dass eine zu frühe oder zu starke Lockerung der geldpolitischen Zügel die Fortschritte bei der Inflation rückgängig machen und eine straffere Geldpolitik erfordern könnte», sagte Fed-Chef Jerome Powell an der Pressekonferenz. Andererseits könne eine zu späte oder zu geringe Lockerung zu Problemen am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft generell führen.
Mit anderen Worten: Das Fed hält die Balance der Risiken zwischen einem erneuten Aufflammen der Inflation und einer Rezession für ausgeglichen und will keinen Fehler machen. Hier dazu die wichtigsten Fakten zum Zinsentscheid im Überblick:
- Im quartalsweise veröffentlichten Ausblick, auch Dot Plot genannt, geht der Fed-Vorsitz im Durchschnitt (Median) für dieses Jahr weiterhin von drei Zinssenkungen von je 25 Basispunkten (Bp.) aus.
- Die Zahl der Fed-Mitglieder, die mit bloss zwei oder weniger Zinssenkungen rechnen, ist allerdings auf 9 gestiegen. Demgegenüber gehen 10 Mitglieder von drei oder mehr Lockerungen aus.
- Für das nächste Jahr rechnet das Gremium wie bisher mit drei Zinssenkungen, was per Ende Dezember 2025 ein Zielband von 3,75 bis 4% impliziert.
- Das Programm zum Abbau der Fed-Bilanz soll gemäss Fed-Chef Powell «ziemlich bald» gedrosselt werden.
- Die Kernrate der Inflation, gemessen an den Konsumentenausgaben (Core Personal Consumption Expenditures, PCE), wird für Ende Jahr leicht von 2,4 auf 2,6% angehoben. Für Ende 2025 und Ende 2026 bleibt der Ausblick aber unverändert auf 2,2 bzw. 2%.
- Die Prognose zum Wirtschaftswachstum für dieses Jahr wird deutlich von 1,4 auf 2,1% erhöht. Beim Arbeitsmarkt rechnet der Fed-Vorsitz per Ende 2024 neu mit einem marginalen Anstieg der Arbeitslosenquote von aktuell 3,9 auf 4%. Beim letzten Ausblick im Dezember waren es 4,1%.
- Im Statement zum Zinsentscheid gibt es keine nennenswerten Änderungen.
Alle Daten zur Zins- und Konjunkturprognose des Fed sind in dieser Tabelle zusammengefasst:
Marktreaktion: Zykliker verspüren Auftrieb
Die Märkte reagieren freundlich auf diese Nachrichten. Dies, wohl vor allem auch deshalb, weil im Vorfeld des Fed-Entscheids Befürchtungen aufgekommen waren, dass die Prognose auf zwei Zinssenkungen gekürzt werden könnte.
An den Börsen in New York ging der Leitindex S&P 500 gestern Abend 0,9% fester aus dem Handel. Die Kursavancen setzten nach der Veröffentlichung des Fed-Statements ein und hielten im Verlauf der Pressekonferenz an. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten rückte 1,2% vor. Der Small-Cap-Index Russell 2000 machte 2% gut.
Gesucht waren Aktien aus den Sektoren zyklischer Konsum, Industrie und Finanzen, die in der Regel besonders sensibel auf Veränderungen der Konjunktur reagieren. Auf den hinteren Plätzen rangieren demgegenüber die defensiven Sektoren Gesundheit, Versorger und Basiskonsum. Nicht so recht ins Bild passt die negative Performance von Energie.
Am Bondmarkt war die Reaktion weniger ausgeprägt. Die Rendite auf zehnjährige Treasuries gab marginal auf 4,27% nach. Die Rendite auf zweijährige Treasuries, die als guter Indikator zu den Markterwartungen für den weiteren Verlauf der Geldpolitik gilt, sank 9 Bp. auf 4,6%. Im Gleichschritt dazu tendierte der Dollar schwächer.
An den Rohstoffmärkten büsste Öl der US-Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI) 1,5% auf 81.50 $ pro Fass ein. Auftrieb verspürten demgegenüber Edelmetalle. Der Goldpreis avancierte am Spotmarkt 1,3% auf ein Rekordhoch von knapp 2186 $ pro Unze. Silber legte 2,7% auf 25.57 $ pro Unze zu, was leicht über dem Hoch von Ende Dezember liegt. Aktien aus dem VanEck Gold Miners ETF gingen gut 4% höher aus dem Handel.
Erfahrungsgemäss sollte die erste Marktreaktion auf einen Fed-Entscheid nicht überinterpretiert werden. Nicht selten dreht die Stimmung am nächsten Tag. Grundsätzlich sind mit Blick auf die US-Geldpolitik nun zwei Fragen ausschlaggebend: Wie verändern sich die Erwartungen zur Inflation? Und was passiert mit der Bilanz der Notenbank?
1. Hält das Fed an seinem Inflationsziel fest?
Das Fed hat seit dem Sommer 2022 bedeutende Fortschritte bei der Eindämmung der Teuerung gemacht. Doch zuletzt kam es zu negativen Überraschungen, was die Notenbank in eine schwierige Lage bringt.
Der Index zu den Konsumentenpreisen (Consumer Price Index, CPI) ist im Februar auf Basis zum Vorjahr um 3,2% gestiegen – erneut leicht mehr, als von Ökonomen erwartet. Das Gleiche gilt für die Kernrate, die Lebensmittel sowie Energie ausklammert und auf 3,8% zu liegen kam.
Ein potenziell problematischer Trend zeigt sich ebenso bei der Veränderung zum Vormonat. Sie belief sich im Februar auf 0,4%. Das ist der zweite Anstieg in Folge.
Der Fokus richtet sich nun auf die nächsten Daten zum PCE-Index der Konsumentenausgaben Ende kommender Woche. Auf ihn achtet das Fed besonders genau. Der Konsens rechnet für Februar mit einem Anstieg um 2,4% gegenüber dem Vorjahr. Für die Kernrate wird eine Zunahme von 2,8% erwartet.
Fed-Chef Powell bemühte sich, an der Pressekonferenz Zuversicht zu demonstrieren. Trotz der enttäuschenden Entwicklung in den letzten zwei Monaten «hat sich an der generellen Story nichts verändert, dass die Inflation auf einem manchmal etwas holprigen Weg allmählich in Richtung 2% zurückgeht», sagte er.
Diese Haltung deckt sich mehr oder weniger mit dem Konsens an den Finanzmärkten. Zum ersten Mal seit langer Zeit stimmen die Zinserwartungen im Terminhandel mit der Fed-Prognose überein. Demnach wird damit gerechnet, dass die US-Notenbank an der übernächsten Sitzung von Mitte Juni den ersten Schritt macht und das Zielband bis Ende Jahr in zwei weiteren Schritten auf 4,5 bis 4,75% senkt.
Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass die Inflation unterschätzt worden ist. Zweifel nehmen zu, dass das Fed an seinem Inflationsziel von 2% festhalten wird. Powell bekräftigte am Mittwoch mehrfach, dass sich an dieser geldpolitischen Vorgabe nichts verändern und er die Zinsen nötigenfalls länger auf erhöhtem Niveau belassen werde. Ob er tatsächlich eine Rezession riskieren will, wenn die Teuerung ungefähr auf dem aktuellen Niveau verharren sollte, erscheint indes fraglich.
2. Was bedeutet der Abbau der Fed-Bilanz?
Das zweite Kernthema, das die Märkte in den nächsten Monaten beschäftigen wird, ist die Bilanz des Federal Reserve. Sie hatte sich im Zug der Stimulusmassnahmen während der Pandemie auf annähernd 9000 Mrd. $ aufgebläht. Seit Frühjahr 2022 wurde sie sukzessive um rund 1500 auf 7500 Mrd. $ reduziert, wobei die Krise bei den US-Regionalbanken im letzten Frühling temporär Gegenmassnahmen erforderte.
Im Rahmen des Bilanzabbaus, der als Quantitative Tightening oder kurz QT bezeichnet wird, lässt das Fed monatlich bis zu 60 Mrd. $ an US-Staatsanleihen und 35 Mrd. $ an verbrieften Hypothekarkrediten aus seinem Wertschriftenportfolio auslaufen. Nachdem Powell bereits an der letzten Sitzung von Ende Januar durchblicken liess, das Programm graduell zu drosseln, könnte das Fed beim nächsten Entscheid Anfang Mai damit beginnen.
Mit Angaben zum Zeitpunkt und zum Umfang blieb der Fed-Chef zwar vage. Er betonte aber, dass sich die US-Notenbank der Risiken bewusst sei, die der QT-Prozess für das Finanzsystem bedeuten könne. Das letzte Mal, als das Fed seine Bilanz schrumpfte, kam es nach einiger Zeit zu erheblichen Marktverwerfungen, speziell im Kreditsektor. Ende 2018 sah sich Powell darauf zu einer abrupten Kehrtwende gezwungen.
Den gleichen Fehler will er nicht noch einmal begehen. «Es ist eine gewisse Ironie, dass man durch ein langsameres Vorgehen weiter vorankommt», sagte er zum künftigen Tempo beim Abbau der Bilanz. «Das Konzept dahinter ist, dass das Risiko von Liquiditätsproblemen, die sich zu Schocks auswachsen und zu einem vorzeitigen Abbruch des Prozesses führen können, bei einem sanfteren Übergang deutlich geringer ist.»
Der Grund für die Drosselung von QT hat vor allem mit einer Entwicklung zu tun: Seit Sommer 2023 sind rund 1900 Mrd. $ an Liquidität ins US-Finanzsystem geströmt. Dies, weil Geldmarktfonds Gelder, die sie in der sogenannten Reverse-Repo-Fazilität beim Fed parkiert haben, abziehen und in höher rentierende, kurzfristige Staatsanleihen (Treasury Bills) investieren.
Der Effekt von QT wurde dadurch bisher gedämpft. Derzeit befinden sich jedoch nur noch knapp 500 Mrd. $ in der Reverse-Repo-Fazilität, weshalb das Fed den Abbau seiner Bilanz wohl verlangsamen will. Wie Powell sagte, wisse die Notenbank nach der Erfahrung von 2018/19 dieses Mal wesentlich besser, auf welche Indikatoren sie bezüglich übermässigen Stresssymptomen im System achten müsse.
Auch in diesem Fall sind negative Überraschungen aber freilich nicht ausgeschlossen. Jetzt schon offensichtlich ist zudem, dass die Fed-Bilanz kaum wieder auf das Niveau von vor der Pandemie abgebaut werden wird.