Die US-Notenbank senkt den Leitzins gleich um 50 Basispunkte und will die Geldpolitik in den kommenden Monaten weiter deutlich lockern. Die Finanzmärkte zeigen sich in einer ersten Reaktion irritiert. Was der Fed-Entscheid für Investoren bedeutet.
Zentralbanken gehen bei Änderungen der Geldpolitik vorzugsweise möglichst gemässigt vor. Dies, um zu den Märkten zu signalisieren, dass sie die Situation unter Kontrolle haben. Das Federal Reserve hat sich gestern Mittwoch anders entschieden. Es senkt das Zielband für den Leitzins gleich um 50 Basispunkte auf 4,75 bis 5%. Der Zyklus zur Lockerung der finanziellen Rahmenbedingungen in den USA beginnt damit in aggressivem Tempo.
Der «Doppelschritt», mit dem Fed-Chef Jerome Powell das Manöver zu einer weichen Landung der Wirtschaft beginnt, erstaunt zwar nicht per se. Im Vorfeld des Entscheids stand entweder eine Senkung um 25 oder 50 Bp im Raum, wobei die Erwartungen an den Märkten hin und her schwankten. Überraschend ist jedoch, wie stark das Fed auch seine Prognose zum weiteren Kurs der Geldpolitik senkt.
Hier zunächst die wichtigsten Punkte zum Fed-Entscheid im Überblick:
- Gemäss dem Zinsausblick, dem sogenannten Dot Plot, rechnen die neunzehn Mitglieder im Fed-Vorsitz bis Ende Jahr im Durchschnitt mit einer weiteren Lockerung der Fed Funds Rate auf 4,375%. Das bedeutet für die nächsten zwei Sitzungen von Ende November und Mitte Dezember jeweils eine Senkung um 25 Bp. Bei der letzten Prognose von Mitte Juni wurde noch ein Niveau von 5,125% indiziert.
- Bis Ende des nächsten Jahres wird die Prognose zudem von 4,125% auf 3,375% gekürzt, was vier weitere Zinsschritte von jeweils 25 Bp impliziert. Das klingt zwar gemässigter. Doch damit hat das Fed seinen Ausblick für das laufende und das nächste Jahr im Vergleich zur letzten Einschätzung um jeweils 75 Bp reduziert. Gemäss dem Researchdienst Pantheon Macroeconomics ist das die schärfste Kurskorrektur über diese beiden Zeiträume, seit das Fed 2012 mit der vierteljährlichen Veröffentlichung des Dot Plot begonnen hat.
- Nicht alle Fed-Mitglieder haben es so eilig. Fed-Gouverneurin Michelle Bowman hat als einzige im Gremium gegen den Entscheid vom Mittwoch gestimmt, weil sie eine gemässigtere Zinssenkung um 25 Bp bevorzugte. Auch das überrascht, sind Gegenstimmen aus dem Gouverneursrat doch äusserst selten (hier mehr dazu). Wie sich dem Dot Plot zudem entnehmen lässt, halten sieben Fed-Mitglieder bis Ende Dezember eine Lockerung von nur 25 Bp erforderlich. Zwei sehen in diesem Jahr überhaupt keinen Bedarf für weitere Zinssenkungen.
- Bei der Mehrheit im Fed-Gremium wachsen hingegen Sorgen um den Arbeitsmarkt. Das Statement zum Zinsentscheid spricht zwar weiterhin von einer «soliden» Konjunkturentwicklung. Das Jobwachstum wird aber nicht mehr als «moderat» bezeichnet, sondern hat sich «verlangsamt». Neu spricht sich das Fed zudem «nachdrücklich für die Förderung von Maximalbeschäftigung und für die Rückführung der Inflation zu seinem Ziel von 2%» aus. Zuvor hatte es lediglich ein starkes Bekenntnis zum Inflationsziel im Statement aufgeführt.
- Dazu passt die Adjustierung bei der Prognose zum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote soll bis Ende Jahr von derzeit 4,2% auf 4,4% steigen. Noch im Juni ging der Fed-Vorsitz von nur 4% aus. Wenig verändert hat sich demgegenüber der Ausblick zum Wirtschaftswachstum und zur Entwicklung der Kerninflation (ohne Nahrungsmittel- und Energiepreise), die bis Ende Jahr leicht von 2,8 auf 2,6% angepasst wurde.
Alle Daten zur Zins- und Konjunkturprognose des Fed sind in dieser Tabelle zusammengefasst:
Irritation an den Finanzmärkten
Die Märkte wussten in einer ersten Reaktion nicht recht, was sie von den Nachrichten aus dem Federal Reserve halten sollen. Der US-Leitindex S&P 500, der im früheren Verlauf der Woche ein Rekordhoch markiert hatte, tendierte unmittelbar nach dem Zinsentscheid freundlich, schwächte sich dann aber ab und notierte bis Handelsschluss 0,3% tiefer. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten büsste 0,2% ein.
Das erratische Verhalten lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass Notenbankchef Powell während der Pressekonferenz nicht recht begründen konnte – oder wollte –, weshalb das Fed den Leitzins nicht bereits an der letzten Sitzung Ende Juli gesenkt hat. «Die US-Wirtschaft ist in guter Verfassung», versicherte er stattdessen mehrfach, was wiederum nicht wirklich mit dem Doppelschritt von 50 Bp und der «dovishen» Zinsprognose zusammenpasst.
Ein Grossteil der Pressekonferenz drehte sich um den Arbeitsmarkt, der sich in den Sommermonaten spürbar abgekühlt hat. Im August ist der 3-Monate-Durchschnittswert zum Jobwachstum in den USA mit 116’000 auf den niedrigsten Stand seit dem Ausbruch der Pandemie gesunken.
Powell wiederholte diesbezüglich Aussagen, die er Ende August am Wirtschaftssymposium in Jackson Hole gemacht hatte: «Die Daten zur Inflation und zum Arbeitsmarkt zeigen eine sich verändernde Situation. Das Risiko von steigendem Inflationsdruck hat abgenommen. Und das Risiko einer sinkenden Beschäftigung hat zugenommen.»
Die scharfe Zinssenkung und das rasche Tempo, mit dem die Geldpolitik weiter gelockert werden soll, könnten demnach darauf hindeuten, dass die Gefahr einer weiteren Abschwächung des Jobmarktes aus Sicht des Fed erheblich zugenommen hat. «Sie können dies als ein Zeichen unseres Bestrebens sehen, nicht in Rückstand zu geraten», sagte Powell zur ersten Zinssenkung seit März 2020 an der Pressekonferenz.
Auch am Bondmarkt sorgten seine Ausführungen mehr für Verwirrung als für Klarheit. Die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen notierte zum Handelsschluss nach ausgeprägten Schwankungen 7 Bp höher auf 3,72%. Die Rendite zweijähriger Treasuries – ein guter Indikator für die Markterwartungen zum weiteren Verlauf der Leitzinsen – verhielt sich ebenfalls ausgesprochen volatil und nahm 3 Bp auf 3,65% zu. Die Normalisierung der Zinskurve setzt sich damit fort.
Im Devisenhandel tendierte der Dollar zum Ende des Tages fester, nachdem er unmittelbar nach dem Zinsentscheid grössere Abgaben verzeichnet hatte. Die Edelmetalle Gold und Silber beendeten den Handel mit leichten Einbussen. Der Ölpreis für die US-Referenzsorte WTI ermässigte sich 1,7% auf 69.95 $ pro Fass.
Jetzt sind «Good News» zur Wirtschaft gefragt
Was die Märkte zu einem Entscheid der US-Notenbank denken, stellt sich in der Regel erst nach einigen Tagen heraus. Offensichtlich ist, dass sich das Umfeld verändert. Investoren haben der ersten Zinssenkung schon seit letztem Herbst entgegengefiebert. Jetzt, da sie Realität ist, wird es ernst um die Frage, ob eine sanfte Landung der Wirtschaft tatsächlich gelingt.
Der aktualisierte Zinsausblick der Fed-Mitglieder stimmt nun besser mit den Erwartungen an den Terminmärkten überein. Auf Basis von Futures-Kontrakten auf den US-Leitzins soll sich die Fed Funds Rate gegen Ende nächstes Jahr auf 2,75 bis 3% bewegen.
Was der Beginn eines Zinssenkungszyklus für die Märkte generell bedeutet, legt diese Analyse dar. Hinsichtlich des Verhaltens der US-Börsen gibt es kein fixes Drehbuch. Anfang 2001 beispielsweise lockerte das Fed die Zinsen wie heute gleich um 50 Bp, was eine Rezession nach dem Platzen der Internetblase aber nicht verhinderte. Ähnlich verhielt es sich am Vorabend der Finanzkrise im Herbst 2007, als das Fed den Auftakt ebenfalls mit 50 Bp machte und der Abschwung wenige Monate später begann.
Demgegenüber erwies sich der Zyklus Mitte der Neunzigerjahre als Musterbeispiel einer sanften Landung, wovon Aktien entsprechend profitierten. Der S&P 500 avancierte in den darauffolgenden zwölf Monaten nach der ersten Zinssenkung fast 20%.
Für weitere Kursgewinne brauchen die Börsen deshalb vor allem eines: erfreuliche Nachrichten zur Wirtschaft. Dies verdeutlicht folgende Grafik von Citigroup. Über einen gleitenden Zeitraum von drei Monaten ist die Korrelation zwischen dem S&P 500 und dem Citi Economic Surprise Index zur US-Wirtschaft zuletzt stark angestiegen: Das Risiko von Inflation und steigenden Zinsen hat sich vorerst aufgelöst. Bessere Konjunkturdaten als erwartet werden deshalb als «Good News» für Aktien interpretiert.
Grundsätzlich geht es also um eine Bestätigung dafür, dass die Zinssenkungen des Fed in erster Linie eine Absicherung gegen eine mögliche Rezession sind und nicht eine überhastete Notmassnahme in einem Abschwung. In dieser Hinsicht besteht nach dem Zinsentscheid vom Mittwoch genauso viel Unklarheit wie zuvor – wenn nicht sogar noch mehr.
Dies auch im Wissen, dass sich eine Änderung der Geldpolitik erfahrungsgemäss erst mit neun bis zwölf Monaten Verzögerung in der Realwirtschaft bemerkbar macht.