Bryan Whalen, Chefinvestor beim kalifornischen Bondriesen TCW, warnt, dass die Märkte das Risiko einer Rezession unterschätzen. Er äusserst sich zu den Erschütterungen bei US-Staatsanleihen, zu den Folgen der Zölle und zur heiklen Lage der US-Notenbank. Auch sagt er, wie er sich für einen Wirtschaftsabschwung positioniert.
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Jerome Powell hat keinen leichten Job. Wenn der Präsident der US-Notenbank nächste Woche den Zinsentscheid fällt, wird er die Geldpolitik aller Voraussicht nach unverändert lassen. Die entscheidende Frage ist aber, wie es dann weitergeht. Bisher sagt Powell, er habe mit Zinssenkungen keine Eile. Doch die Zölle verunsichern Unternehmen und Haushalte. Die Konjunktur in den USA zeigt mehr und mehr Anzeichen von Schwäche.
Bryan Whalen befürchtet, dass der Schaden bereits angerichtet ist. Der Chefinvestor beim Bondhaus TCW mit Sitz in Los Angeles warnt schon seit einiger Zeit vor einer Abkühlung der Konjunktur in den USA. Er glaubt deshalb, dass dem Fed die Zeit davonläuft: «Powell wird bald umschwenken. Der Markt wird ihn dazu zwingen», sagt Whalen. «Wenn das Fed seine Haltung nicht ändert, werden die Kurse an der Börse weiter fallen und der Abschwung ist praktisch besiegelt.»
Im Interview äussert sich der Investor mit rund dreissig Jahren Erfahrung in der Branche zu den unheimlichen Erschütterungen bei US-Staatsanleihen Anfang April, zu den Folgen der Zölle und zur heiklen Lage der US-Notenbank. Auch sagt er, wie er sich für eine mögliche Rezession positioniert.
Herr Whalen, die Finanzmärkte haben sich etwas beruhigt. Wie stufen Sie als Spezialist für festverzinsliche Anlagen die Situation ein?
Es ist schon bemerkenswert, wie ungewöhnlich sich der Bondmarkt in den USA während der Turbulenzen von Anfang April verhalten hat. Obwohl die Fundamentaldaten auf eine Abschwächung der Wirtschaft hindeuten, sind die Renditen am langen Ende der Zinskurve sprunghaft gestiegen. Das hat die US-Regierung offensichtlich stärker verunsichert als der Kursrutsch am Aktienmarkt.
Weshalb glauben Sie, dass der Ausverkauf am Bondmarkt das Weisse Haus nervös gemacht hat?
Darauf deutet nicht nur die Kehrtwende von Präsident Trump bei den reziproken Zöllen hin. Er hat auch plötzlich wieder von seiner Drohung abgelassen, US-Notenbankchef Jerome Powell zu feuern. Es existiert also tatsächlich so etwas wie ein Trump-Put – aber nicht an der Börse, sondern am Bondmarkt.
Der Trump-Put basiert auf der Annahme, dass der US-Präsident seine Politik ändert, wenn die Märkte rebellieren. Wo liegt der Ausübungspreis?
Finanzminister Scott Bessent hat es bereits klar gesagt: Während das Fed das kurze Ende der Zinskurve kontrolliert, konzentriert sich die US-Regierung auf die langfristigen Zinsen. Dies, weil die meisten Investoren in diesem Segment der Kurve aktiv sind. Auf dem Höhepunkt der jüngsten Turbulenzen hatten zehnjährige Treasury Notes ein lokales Hoch von etwa 4,5% erreicht, und bei dreissigjährigen Treasury Bonds waren es knapp 5%. Dort liegen für die US-Regierung offenbar die Grenzen, die sie nicht nach oben durchbrechen will.
Wie erklären Sie sich die abrupten Ausschläge bei den langfristigen Zinsen? Manchen Spekulationen zufolge könnten Sie damit zu tun haben, dass andere Länder US-Staatsanleihen als Vergeltungsmassnahme gegen die Zölle verkauft haben.
Das glaube ich nicht. Wir sehen dafür keine Hinweise – und auch alle andere Marktteilnehmer nicht, die wir als glaubwürdig erachten. Unserer Ansicht nach handelte es sich eher um die Auflösung von Positionen, die stark mit Fremdmitteln unterlegt waren. Dies, in einem Markt, in dem es generell an Liquidität und Vertrauen mangelte. Manche Händler versuchten wohl auch, dem Markt vorauszueilen und sich für den sogenannten «Sell America Trade» zu positionieren. Doch eindeutige Anzeichen, dass Kapital in grossem Umfang aus den USA abfliesst, gibt es nicht.
Als «Sell America Trade» werden Wetten gegen amerikanische Anleihen und Aktien sowie gegen den Dollar bezeichnet. Weshalb sind Sie skeptisch?
Angenommen, bestimmte Länder würden wirklich planmässig US-Staatsanleihen in grossem Stil abstossen: In einem solchen Fall würde man das aber A) wahrscheinlich nicht still und heimlich tun und B) nicht wie ein Händler vorgehen, der bloss auf schnelle Tagesgewinne aus ist. Solche Transaktionen werden normalerweise mit systematischen Programmen umgesetzt. Die Turbulenzen am Bondmarkt deuteten deshalb eher auf schnelles Geld hin, das versucht einen Trend zu antizipieren, der später vielleicht einmal eintritt oder auch nicht.
Sie denken also nicht, dass grosse staatliche Investoren im Treasury-Markt wie China oder Japan versuchen, ihre Positionen nennenswert zu reduzieren?
Nein, denn ehrlich gesagt, haben sie gar keine Wahl. Die Tiefe, die Stabilität und das geringe Risiko im Markt für US-Staatsanleihen sind einzigartig. Wer als Grossinvestor zum Beispiel eine bedeutende Position in britischen Gilts aufbauen will, merkt rasch, wie schwierig das ist, weil dieser Markt so eng ist. Es gibt also keine echte Alternative. Zudem vermute ich, dass sich Trump in den nächsten Monaten etwas zurücknehmen und einen versöhnlicheren Ton gegenüber manchen Ländern anschlagen wird. Obwohl Handelskonflikte vorerst noch für Nervosität sorgen könnten, dürfte sich die Situation tendenziell weiter beruhigen.
Was heisst das für die allgemeine Grosswetterlage an den Finanzmärkten?
Wir waren schon zum Jahreswechsel der Ansicht, dass die amerikanische Wirtschaft weniger robust ist, als der Markt denkt. Das weit verbreitete Narrativ des «American Exceptionalism» hielten wir für völlig übertrieben. Unsere Einschätzung hat sich seither bekräftigt: Die ohnehin schwache Konjunktur in den USA wird durch das DOGE-Programm von Elon Musk zur Verschlankung des Staatsapparats und Sparmassnahmen zusätzlich belastet. Aber noch wichtiger: Bei Haushalten wie auch Unternehmen ist viel Vertrauen verlorengegangen. Damit ist bereits beträchtlicher Schaden entstanden, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession liegt unserer Ansicht nach weit über 50%.
Wenn die Märkte derart unter Stress geraten wie in den vergangenen Wochen, passiert oft ein Unfall in der Wirtschaft oder im Finanzsystem. Wie gross ist dieses Risiko?
Bis jetzt ist noch nichts dergleichen passiert, zumal der Abschwung in der US-Wirtschaft erst beginnt. Es gibt kein Liquiditätsproblem. Doch auch wenn derzeit keine systemkritischen Risiken auftreten, kann das jederzeit geschehen, wenn Kursschwankungen erneut zunehmen sollten und sich die Stimmung bei Verbrauchern sowie Unternehmen weiter verschlechtert. Wir erinnern uns zwar alle daran, wie rasch die Situation beim Ausbruch der Pandemie und während der Finanzkrise im Herbst 2008 ausser Kontrolle geriet. Im aktuellen Fall könnte sich das Hin und Her an den Märkten aber noch einige Zeit hinziehen.
Wo besteht am meisten Gefahr, wenn die Lage dann weiter eskalieren sollte?
Wie gesagt, momentan leuchtet nichts rot auf. Der Finanzsektor ist dank der relativ strengen Regulierung ziemlich solid. Einige Hedgefonds arbeiten aber mit viel Fremdkapital, was in einer Krisensituation zu Problemen führen könnte. Ein anderer potenzieller Gefahrenherd in den USA sind syndizierte Bankkredite. Einige grosse Fonds haben hier bedeutende Positionen aufgebaut, womit es zu Zwangsliquidationen kommen könnte, wenn sich das Umfeld eintrübt. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass private Kreditfonds bestehende Anlagen zwar nicht zwangsläufig verkaufen müssen, aber keine neuen Engagements mehr eingehen können. Manche Kreditnehmer hätten dann keinen Zugang mehr zu Kapital, was sich wiederum negativ auf die Wirtschaft auswirken würde.
Es ist erst einen Monat her, seit Präsident Trump die Welt mit der Ankündigung drastischer Zölle geschockt hat. Was sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft, wenn die Unsicherheit zur US-Handelspolitik anhält?
Wir haben von Anfang an argumentiert, dass Zölle de facto eine Steuer sind. Sie werden die Margen der Unternehmen belasten und das Wachstum dämpfen. Bei dem Preisen wird sich der Effekt aber auf einen einmaligen Schub beschränken. Das heisst, die Inflation zieht nur temporär an, worauf sie durch die Abschwächung der Konjunktur gedämpft wird. Unter dem Strich ist der Endeffekt daher sogar disinflationär. Das sieht auch der Bondmarkt so: Nach Trumps Ankündigung ist die Breakeven-Rate als Indikator zur erwarteten Teuerung am kurzen Ende der Zinskurve auf knapp 3,5% gestiegen, bei längeren Laufzeiten von zwei bis fünf Jahren hingegen gesunken.
Einen positiven Effekt auf das Wachstum könnten demgegenüber aber die geplanten Steuerkürzungen haben. Die Republikaner im US-Kongress wollen in wenigen Wochen eine Vorlage präsentieren. Wie stehen die Chancen für eine nennenswerte Reform?
Das Potenzial für positive Überraschungen ist eher beschränkt. Der Konsens preist bereits mehr oder weniger als Basisszenario ein, dass es den Republikanern gelingt, die 2017 erlassenen Steuersenkungen für Haushalte zu verlängern und die Sätze für Unternehmen leicht zu reduzieren. Bei einem solchen Ergebnis wird es also kaum zu grossen Freudensprüngen an den Börsen kommen. Sollte umgekehrt aber eine halbbatzige Steuerreform resultieren, dürfte die Reaktion in risikoreichen Anlageklassen wie Aktien vermutlich negativ sein, und das würde für sinkende Renditen am Bondmarkt sprechen.
Mit welchem Resultat rechnen Sie?
Vermutlich eher einer Enttäuschung. Die Republikaner werden wahrscheinlich gewisse Steuerkürzungen durchbringen, doch alles in allem wird das Ergebnis wenig berauschend sein.
Auf welche Indikatoren achten Sie jetzt besonders genau, wenn es um die Verfassung der amerikanischen Wirtschaft geht?
Wir behalten drei Faktoren im Auge: den Arbeitsmarkt, die privaten Konsumausgaben und die Kapitalinvestitionen der Unternehmen, speziell Aussagen von Konzernchefs zu Plänen für grössere Projekte. Wenn sich zwei dieser drei Faktoren massgeblich verschlechtern, dann ist eine Rezession so gut wie sicher.
Die US-Notenbank steckt damit in einer unbequemen Lage. Obwohl sich das Wachstum abschwächt, liegt die Inflation immer noch über dem Ziel von 2%. Fed-Chef Jerome Powell zeigt daher keine Eile, die Zinsen deutlich zu senken. Kann er diese Linie halten?
Nein, Powell wird bald umschwenken. Der Markt wird ihn dazu zwingen. Wenn er seine Haltung nicht ändert, werden die Kurse an der Börse weiter fallen und der Abschwung ist praktisch besiegelt. An seiner Stelle würde ich deshalb einfach sagen: Die Fakten haben sich seit meiner letzten Beurteilung geändert. Meine Aufgabe ist es jetzt, die Wirtschaft zu stützen, denn sie wächst nicht nur langsamer, sondern schrumpft sogar. Es könnte ein paar Monate dauern, bis es so weit ist, aber ich denke, dort werden wir landen.
Hinzu kommt, dass Trump auf Konfrontationskurs mit dem Fed ist. Er hat zwar von der Drohung abgelassen, Powell zu feuern, doch der Druck aus dem Weissen Haus bleibt gross.
Trump hat für sich damit eine Art «Win-Win»-Situation geschaffen. Wenn sich die Märkte beruhigen und die Zölle nicht zu einer gravierenden Abschwächung führen, sondern zu einer ausgeglicheneren Handels- und Zahlungsbilanz der USA, kann er den Sieg erklären. Seine Auseinandersetzung mit dem Fed ist dann rasch vergessen. Sollten die Zölle jedoch eine Rezession auslösen, dann kann er dem Fed die Schuld dafür zuschieben, weil es die Zinsen nicht früher gesenkt hat. Taktisch hat er sich dadurch in eine Position manövriert, in der er praktisch nicht verlieren kann – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Wie geht es demnach mit der Geldpolitik in den USA weiter?
Das Fed wird früher intervenieren müssen, als der Konsens glaubt. Eine Zinssenkung an der übernächsten Fed-Sitzung von Mitte Juni ist zwar ohnehin so gut wie sicher. Im weiteren Jahresverlauf wird das Fed die Zinsen aber viel aggressiver lockern müssen, als es in seiner Prognose suggeriert. Der effektive Leitzins liegt derzeit bei 4,3%. Gemäss dem Terminmarkt dürfte er in einem Jahr auf 3,3% sinken.
Und warum glauben Sie, dass sich der Konsens bei dieser Annahme täuscht?
Der entscheidende Punkt ist folgender: Der neutrale Satz, bei dem die Wirtschaft weder gebremst noch stimuliert wird, liegt unserer Meinung nach bei 2,75%. Das Fed wird dieses Niveau viel früher als in zwölf Monaten erreichen müssen, weil sich die Konjunktur eintrübt. Liegen wird damit richtig, besteht am kurzen Ende der Zinskurve Raum für eine zusätzliche Rally von mindestens 50 Basispunkten.
Wie haben Sie sich dafür positioniert?
Wir setzen schon seit einiger Zeit auf Duration. Das bedeutet, dass wir uns für sinkende Zinsen positioniert haben. In der Endphase der Rally am US-Bondmarkt bis Anfang April haben wir erste Gewinne mitgenommen und unser Exposure etwas reduziert. Relativ zum Markt sind wir hinsichtlich der Duration aber noch immer übergewichtet.
Und wie gehen Sie nun weiter vor?
Es ist etwas akademisch, aber dazu muss ich kurz erklären, wo unserer Ansicht nach der neutrale, respektive faire Satz entlang der Zinskurve liegt. Beim Leitzins sind es wie gesagt etwa 2,75%. Daraus kann man ableiten, dass er sich bei zweijährigen Treasuries etwa um 3% bewegt, also mehr als 60 Basispunkte tiefer als heute. Für Treasuries mit fünf Jahren Laufzeit sind es vermutlich etwa 3,25%, auf zehn Jahre hinaus 3,75% und über dreissig Jahre 4%. In einer Rezession kann das Fed bei Zinssenkungen aber nicht beim neutralen Satz stoppen, sondern muss ihn nach unten durchbrechen, um die Wirtschaft zu stützen.
Das heisst, Sie orientieren sich an diesen Punkten?
Genau. Wir haben keine Kristallkugel, wir wissen nicht, wie schlimm es wird. Deshalb werden wir unser Duration-Übergewicht nicht wesentlich länger beibehalten als bis zum neutralen Niveau. Wichtig ist, dass wir Duration-Anlagen auch untergewichten können. Wenn die Zinsen wirklich extrem tief einbrechen sollten, positionieren wir uns dann vielleicht auf der Gegenseite. Doch davon sind wir noch weit weg.
Was würden Sie einem Investor aus der Schweiz oder aus Deutschland konkret empfehlen?
Abgesehen von China und Japan, denken wir, dass die Zinsen weltweit noch immer zu hoch sind. Bonds sind damit nicht nur in den USA relativ günstig bewertet, sondern auch in Europa, inklusive Grossbritannien. Chancen sehen wir ebenso an den Devisenmärkten, etwa beim britischen Pfund oder bei der norwegischen Krone. In Europa, Grossbritannien und Australien sind zudem verbriefte Kredite attraktiv, speziell im Vergleich zu den USA. Generell dürfte es sich daher auszahlen, an der klassischen Allokation von 60% Aktien und 40% Anleihen im Portfolio festzuhalten. Denn festverzinsliche Anlagen offerieren derzeit nicht nur ertragreiche Renditen, sondern haben auch Aufwertungspotenzial, wenn sich die Konjunktur abschwächt.
Bryan Whalen
Bryan Whalen ist Chief Investment Officer und Portfolio Manager in der Fixed Income Group von TCW, einem Team das über 170 Mrd. $ an festverzinslichen Vermögenswerten verwaltet, darunter den TCW MetWest Total Return Bond Fund, einer der grössten aktiv verwalteten Anleihenfonds der Welt. Bevor er zu TCW stiess, war er Partner bei Metropolitan West Asset Management und Co-Leiter der Abteilung für verbriefte Produkte. Zuvor war er im Handel mit festverzinslichen Wertpapieren bei Credit Suisse First Boston in New York tätig. Erste Erfahrungen in der Investmentbranche sammelte er bei Donaldson, Lufkin & Jenrette. Whalen hat ein Studium in Ökonomie an der Yale University absolviert.