Der Hase vermehrt sich dieser Tage noch mehr, als es ihm ohnehin schon nachgesagt wird. Das zeigt besonders schön ein Spaziergang durch den Zürcher Altstadtteil, der zum Kakao-Cluster geworden ist.
Kommen wir gleich zur Millionenfrage unseres grossen Oster-Quiz: Wem oder was verdankt der Hase seine unerhörte Popularität rund um dieses Fest der Auferstehung? Machen wir es kurz: Sie ist weder der Bibel geschuldet, in der er bestenfalls irgendwo im Alten Testament eine winzige Nebenrolle spielt, noch seiner sagenhaften Kopulationskadenz, die ihn schon vor Urzeiten zum Fruchtbarkeitssymbol gemacht hat.
Den Hauptanteil an der hasenhaften Erfolgsgeschichte hat vielmehr die Schokoladenindustrie. Dank ihr erst katapultierte sich Meister Lampe an diesen Feiertagen über die Münder und Mägen in die Herzen der Massen. Wer’s nicht glaubt, dem hilft ein kleiner Schaufensterbummel auf die Sprünge. Besonders augenfällig wird die Symbiose von Kaninchen und Kakao in Zürich, das langsam zu einer Schoggi-Metropole wird.
Es geht hier nicht um die Fabrik vor den Toren der Stadt, mit diesen Goldhasen, die sich ungehemmt millionenfach vermehren, um dann im Advent saisongerecht zu güldenen Rentieren zu mutieren. Gegründet worden sind in den letzten Jahren diverse kleinere, feine Produktionen, darunter hochwertige Bean-to-Bar-Labels wie Taucherli und Laflor, bei denen von der Auswahl der Kakaobohnen bis zur fertigen Tafel alles aus einer Hand stammt. Sie ergänzen das Angebot der Traditionsbetriebe wie Honold, Sprüngli und Teuscher, die wir hier niemandem mehr vorstellen müssen, oder des Chocolatiers Vollenweider. Dessen Pralinés haben meines Erachtens in Zürich neue Massstäbe gesetzt, seine Hasen sind eine Augenweide und jener aus Mandelbiskuit ein Wurf.
Zur Schoggi-Hochburg entwickelt sich aber die Altstadt zwischen St. Peter und Fraumünster. Direkt neben diesem hat vor kurzem der Neuenburger Betrieb Jacot, der sich «Haute Chocolaterie» nennt, seinen ersten Laden ausserhalb der Westschweiz eröffnet. Dass er mit dem Superlativ «die feinste Schweizer Schokolade» wirbt, ist eine gar kühne Kampfansage. Aber sein Angebot ist erstklassig, vielfältig und originell, bis hin zu den Absinth-Stängeli, pardon: Bâtons à l’Absinthe. Die kubistisch dekonstruierten Ostereier stehen für avantgardistische Ambitionen, die sich auch in der Gestaltung der Schaufenster spiegeln, ein Gegenentwurf zum Blümchen-Rüschchen-Mäschchen-Stil der Teuscher-Filiale gleich um die Ecke.
Nur wenige Schritte weiter stolpere ich über einen Passantenstopper mit dem Schriftzug «Conditorei Schober». Aber, lieber Osterhase, steht diese nicht seit über 150 Jahren am anderen Limmatufer? Verwirrt ist auch der höchst beleibte Tourist aus Toronto, der sagt, dort habe er die «famous» Konditorei, die auf seinem Swiss-Flug beworben worden sei, vergeblich gesucht. Nun habe Google Maps ihn hierher geführt.
Nun, der heute von der Stiftung Arbeitskette geführte Originalstandort an der Napfgasse mit Café und neobarockem Verkaufsraum heisst jetzt «1842», benannt nach dem Gründungsjahr. Das «Schober»-Markenrecht hat sich das Besitzerpaar Guggisberg nach einigen Querelen auf juristischem Weg gesichert und setzt es nun selber an der Wühre 15 um – im Ladenlokal, wo zuvor der erfolgsverwöhnte Tausendsassa Dieter Meier mit überschaubarer Wirkung die Schokolade neu erfinden wollte. Die Guggisbergs setzen auf Erzeugnisse der Berner Casa Nobile, auf Tafeln als «Pralinen der Top 10 Weltklasse» angepriesen – sprachlich wie inhaltlich eher fragwürdig. Die frohe österliche Botschaft aber ist, dass hier die bedrohte Handwerkstradition der Zuckerhasen weiterlebt.
An der nahen St. Peterhofstatt hat sich schon länger Max Chocolatier aus Luzern eingenistet. Er führt handbemalte Hasen, seine Pralinés zählen zu den besten der Stadt, sein Fokus auf fair gefertigte Rohstoffe ist ein Gebot der Stunde in Zeiten der verlorenen Unschuld des Kakaos. Wenige Schritte weiter mündet die muntere Langohr- und Eiersuche in eine Überraschung: «Marc Döhring – der Zuckerbäcker», steht auf dem Schild.
Der junge Patissier, bekannt geworden durch seine Arbeit im «Schober» und im Globus am Bellevue, hat hier neulich mit seiner Lebenspartnerin Cornelia Vock einen süssen, winzigen Laden eröffnet. Die Souvenir-Schoggi-Tafeln ziert je eine Altstadtkirche, der Cheese-Cake gehört zu den gelungensten weit und breit – und endlich erhält Zürich ein Saint-Honoré-Törtchen, das diesem Namen Ehre macht. Zu den selbstgegossenen Schokoladentieren im Schaufenster zählt übrigens eine Weinbergschnecke – ein altes Ostersymbol, das es nie zu annähernd zur Beliebtheit des Hasen gebracht hat.
Chocolaterie Jacot
Münsterhof 4, 8001 Zürich
Sonntags geschlossen.
Telefon 044 221 93 30
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.