Nicht alle sind begeistert vom Vertrag der Schweiz und der anderen Efta-Länder mit Indien. Doch zurzeit sieht es nicht nach einer Wiederholung des Indonesien-Szenarios mit einer Zitterpartie via Referendumsabstimmung aus.
Der Wohlstand fällt kraft der Naturgesetze vom Himmel – die politische Hauptenergie hat der (Um-)Verteilung zu gelten. Diese Grundhaltung scheint in der Schweiz mittlerweile mehrheitsfähig zu sein. Dies lassen diverse Urnengänge der letzten Jahre mutmassen.
Selbst der traditionelle Befund, dass die Schweiz als relativ kleine und offene Volkswirtschaft stark vom internationalen Handel profitiere, ist längst kein Selbstläufer mehr. So erhielt 2021 das Handelsabkommen der Schweiz und der anderen Efta-Länder mit Indonesien in einer Referendumsabstimmung trotz günstig scheinender Ausgangslage nur knapp 52 Prozent Zustimmung. Die Kritik am grossen Palmöl-Exportland Indonesien hatte das Abkommen fast beerdigt, obwohl inhaltlich das Palmöl im Gesamtkontext des Vertrags marginal war; für manche Befürworter fühlte sich das Ergebnis fast wie eine Niederlage an.
41 zu 0 Stimmen
Wiederholt sich nun die Zitterpartie mit dem Abkommen der Efta-Staaten mit Indien? Zurzeit sieht es nicht danach aus. Am Dienstag segelte das Abkommen im Ständerat mit 41 zu 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen durch. Die Efta-Länder (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) und Indien hatten den Vertrag im März dieses Jahres in Delhi unterzeichnet – 16 Jahre nach dem Beginn der Verhandlungen. Für das Inkrafttreten braucht es eine Ratifizierung durch die beteiligten Länder.
Indien ist mit 1,4 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Erde, die Efta-Länder bringen es zusammen auf etwa 15 Millionen. Indiens Wirtschaftswachstum beträgt gemäss jüngster Entwicklung und Prognosen teuerungsbereinigt ungefähr 6 bis 7 Prozent pro Jahr; pro Einwohner ist es etwa ein Prozentpunkt weniger. Das heisst: Das Potenzial für die Handelsentwicklung ist gross. Das Potenzial ist zurzeit auch besonders gefragt – denn die EU schwächelt, die USA sind protektionistisch bis unberechenbar, und China steht unter Generalverdacht.
Das Abkommen senkt laut Bundesangaben die indischen Zölle für rund 95 Prozent der Schweizer Warenexporte (gemessen an den Ausfuhren der letzten Jahre ohne Gold). Die Zölle sinken nach Ablauf von Übergangsfristen grossenteils auf null, in anderen Fällen auf etwa die Hälfte. Nach Ablauf der Übergangsfristen können Schweizer Exporteure gemäss Wirtschaftsdepartement mit Zolleinsparungen von «bis zu» 167 Millionen Franken pro Jahr rechnen. Zu den wichtigsten Schweizer Exportprodukten für Indien abgesehen von Gold gehören Maschinen, Elektronik, Chemie-/Pharmaprodukte, Präzisionsinstrumente und Uhren. Die Schweiz erhält auch zollfreien Marktzugang für gewisse verarbeitete Agrarprodukte, wie etwa Schokolade und Kaffeekapseln.
Die Schweiz senkt ihrerseits die Zollhürden für gewisse Agrarprodukte aus Indien. Aber der Grenzschutz für sensitive Produkte wie etwa Fleisch, Milchprodukte, Getreide, Ölsaaten, Früchte und Gemüse, Wein und Zucker wird laut Bundesangaben «nicht angetastet». Die Zölle auf Einfuhren für Industrieprodukte hatte die Schweiz schon einseitig abgeschafft. Das Abkommen verankert diese Zollfreiheit für Produkte aus Indien vertraglich.
Sonderbare Investitionsklausel
Das Abkommen soll zudem die Rechtssicherheit unter anderem für den Dienstleistungsverkehr und den Schutz des geistigen Eigentums erhöhen. Die Zustimmung Indiens zum Vertrag wurde durch das sonderbarste Kapitel ermöglicht – jenes zum Thema Direktinvestitionen. Laut diesem Kapitel streben die Efta-Staaten an, dass Investoren aus ihren Ländern innert 15 Jahren total 100 Milliarden Dollar nach Indien leiten werden. Diese Investitionen sollen die Schaffung von total einer Million Arbeitsplätzen in Indien erleichtern.
Die Regierungen der Schweiz und der anderen Efta-Länder können privaten Unternehmen Firmenkäufe oder den Aufbau von Produktionskapazitäten in Indien nicht befehlen. Laut dem Abkommen sollen die Efta-Länder aber solche Investitionen «fördern» – was auch immer das heissen mag. Vorgesehen ist auch eine Zusammenarbeit der Vertragsparteien, etwa zur Identifizierung von Investitionsmöglichkeiten und von Hürden. Indien bemüht sich derweil laut dem Abkommen um ein günstiges Investitionsklima. Bei Nichterreichen der Investitionsziele könnte Indien nach längeren Konsultationen am Ende gewisse Zollsenkungen rückgängig machen.
In der Schweiz war bisher keine fundamentale Opposition zu diesem Abkommen wahrzunehmen. Die Pharmaindustrie hatte sich einen stärkeren Schutz des geistigen Eigentums gewünscht. Doch sie ist nicht gegen das Abkommen, wie der Branchenverband Interpharma am Dienstag auf Anfrage erklärte, sondern lediglich lauwarm dafür. Eine traditionelle Quelle von Kritik gegenüber Freihandelsbestrebungen ist die Landwirtschaft, doch das Indien-Abkommen ist in diesem Punkt wenig sensitiv. Der Bauernverband habe «keine Einwände» gegen das Abkommen, sagt dessen Präsident, der St. Galler Mitte-Nationalrat Markus Ritter.
Umwelt- und Entwicklungsorganisationen hatten nach Unterzeichnung des Abkommens gewisse Kritikpunkte geäussert. Alliance Sud bedauerte, dass das Kapitel über die nachhaltige Entwicklung nicht dem Streitbeilegungsmechanismus via Schiedsgericht unterliege. Aber insgesamt war die Kritik verhalten, und Alliance Sud bezeichnete das Abkommen als Schritt in die «richtige Richtung».
Am Dienstag im Ständerat kritisierte der Genfer SP-Exponent Carlo Sommaruga, dass die Regeln zu Themen wie Arbeitsrechten und Biodiversität schwächer ausgefallen seien als im Abkommen der Efta mit der Moldau. So sei etwa beim Moldau-Abkommen im Nachhaltigkeitskapitel der Einsatz eines externen Expertenpanels verankert worden, während im Indien-Abkommen das schwächere Instrument eines Unterausschusses mit Vertretern der beteiligten Länder vorgesehen sei. Sommaruga erklärte aber am Ende, dass er nicht gegen die Ratifizierung des Abkommens sei, sondern sich der Stimme enthalte.
Zweifel in Bezug auf Kriegsmaterial
Im Nationalrat mag es etwas mehr Opposition geben. Aber auch dort dürfte sich diese nach derzeitigem Stand im Rahmen halten. «Wir sind nicht grundsätzlich gegen das Freihandelsabkommen», sagt die grüne Basler Nationalrätin Sibel Arslan im Namen ihrer Partei: «Das Abkommen mit Indien wäre eine gute Alternative zum Abkommen mit China.» Aber: Die Nachhaltigkeitskriterien etwa bezüglich der Menschenrechte oder des Klimas seien «einmal mehr» zu wenig verbindlich geregelt: «Wir werden uns im Nationalrat entsprechend einbringen.»
Auch der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina äussert verhaltene Kritik. Er moniert, dass zur Erreichung der im Abkommen genannten Investitionsziele auch Investitionen angerechnet werden könnten, die im Widerspruch zu den Nachhaltigkeitszielen stünden. Zudem könne es problematisch sein, wenn die Schweiz künftig Kriegsgüter zollfrei nach Indien exportieren könne.
Der Bundesrat hatte im November auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärt, dass das Indien-Abkommen keine Auswirkungen auf die Anwendung der Schweizer Kriegsmaterialgesetzgebung habe. Die Regierung räumte jedoch ein, dass eine der Überprüfungen durch Schweizer Behörden in Indien zur Endverwendung verkaufter Rüstungsgüter nicht zufriedenstellend gewesen sei. Das Fazit des Bundesrats in Klarsprache übersetzt: Jener Fall reicht nicht, um künftig alle Rüstungsausfuhren nach Indien pauschal abzulehnen, aber bei künftigen Ausfuhrgesuchen bezüglich Indiens ist dem erhöhten Risiko Rechnung zu tragen.