Gekürzte Subventionen, eine missglückte Opernpremiere: Lilli Paasikivis Start als Intendantin der Festspiele lässt Luft nach oben.
Als man 1946 erstmals eine Oper im Gondelhafen am Bodensee spielte, konnte sich wohl niemand vorstellen, was daraus einmal werden würde: ein ganzer Festspielbezirk, mit der riesigen Seebühne, beschallt von einem der avanciertesten Soundsysteme der Welt, dem Festspielhaus, einer weiteren Spielstätte für Experimentelleres und einem brandneuen Gebäude unter anderem für die Werkstätten, das erst in diesem Frühling fertig geworden ist. Im kommenden Jahr werden die Bregenzer Festspiele achtzig Jahre alt.
Das Spiel auf dem See vor allabendlich siebentausend Zuschauern ist nur das öffentlichkeitswirksamste Format und natürlich auch das einnahmeträchtigste; zum knapp fünfwöchigen Programm gehören weitere Musiktheaterproduktionen, Konzerte, ein Opernstudio für den Sängernachwuchs, sogar Schauspiel und ein eigenes Jugendprogramm.
Die neue Herrin über dieses Imperium heisst Lilli Paasikivi. Sie hat nach zehn Jahren Elisabeth Sobotka abgelöst, die als Intendantin an die Berliner Staatsoper nach Deutschland gewechselt ist. Die Finnin, deren erster Festspielsommer in diesen Tagen beginnt, ist eine interessante Wahl. Bekannt, auch international, wurde sie zunächst als Sängerin. Als Mezzosopranistin gehörte sie fünfzehn Jahre lang zum Ensemble der Finnischen Nationaloper, bevor sie dort 2013 die künstlerische Leitung übernahm. Deutsch spricht sie fliessend. Schon weil sie viele anspruchsvolle deutsche Partien gesungen hat, in Opern von Wagner oder Strauss. Künftig unterrichtet sie auch selbst die jungen Sänger des Opernstudios.
Auffallend viele Finnen
Ihre Herkunft merkt man dem Programm dieses Sommers an: Auffallend viele Finnen werden in den kommenden Wochen den Weg ins Dreiländereck zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz finden. Der Choreograf Tero Saarinen steuert zwei Produktionen bei, dem finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius huldigt man mit der in Mitteleuropa selten gespielten Chorsinfonie «Kullervo», und Osmo Tapio Räihälä komponiert ein Monodram fürs Konzert. «Wenn man eine Sängerin und Intendantin aus dem Norden engagiert, soll man das auch im Programm sehen», sagt Paasikivi im Gespräch, «besonders zu Beginn.» Ein «nordisches Festival» solle es künftig dennoch nicht werden.
Äusserlich wirkt der Festspielbezirk in den ersten Tagen ohnehin fast wie im vergangenen Jahr. Auf der Seebühne steht noch immer das winterliche Dorf für den «Freischütz», den Philipp Stölzl als High-Tech-Spektakel inszeniert hat und der turnusgemäss zwei Jahre gespielt wird. Dass Lilli Paasikivi nicht gleich mit einer Neuinszenierung am See antreten muss, soll den Übergang erleichtern. Zu ihrer eigentlichen Eröffnungspremiere wird damit die Opernproduktion im Festspielhaus. Dabei wird, auch das ist Tradition, ein unbekannteres Stück gespielt. Paasikivi hat sich für eine der gehaltvollsten, aber auch heikelsten Opern aus dem frühen 20. Jahrhundert entschieden: «Œdipe», an dem der rumänische Komponist George Enescu zwanzig Jahre lang arbeitete.
Löcher im Orchester
Die Ansprüche an die Wiener Symphoniker und den Prager Philharmonischen Chor, die Hausensembles der Festspiele, sind gross, genauso an die Solisten. Der französische Text beruht auf den beiden erhaltenen Ödipus-Dramen des Sophokles. Er zielt eher ins Metaphysische als ins Theatrale: Obwohl die Götter Ödipus dazu verdammt haben, seinen Vater zu töten und seine Mutter zu heiraten, muss er lernen, sein Schicksal und damit die Götter zu lieben.
Die Salzburger Festspiele, die mehr Mittel für so etwas haben, hatten mit der Oper 2019 einen Überraschungserfolg erzielt. In Bregenz hatte man zunächst einmal Pech: Zu Probenbeginn sagte der Sänger für die Titelrolle ab. Der Einspringer Paul Gay kommt im Festspielhaus zwar kräftetechnisch souverän durch, aber es fehlt ihm an Farben für eine breitere Gestaltung. Dazu fremdelt der finnische Dirigent Hannu Lintu merklich mit der französisch geprägten Klangsinnlichkeit.
In den beiden ersten, sparsamer instrumentierten Akten klaffen im Orchester regelrechte Löcher; nach der Pause lässt Lintu heftiger aufspielen, bringt damit aber den Apparat zum Wackeln. Und die Regie macht es auch nicht besser: Andreas Kriegenburg kann sich nicht entscheiden zwischen archaischer Strenge und psychologisierenden Theatergesten. Was auf einen antiken Ringelreihen mit Wallegewändern, Hirtenstäben, Fackeln und ordentlich Nebel hinausläuft. Mit Kriegenburg hat Paasikivi auf einen Routinier gesetzt, aber leider nur routinierte Nachlässigkeit bekommen.
Ausblick auf die Seebühnenbilder
Als ästhetische Leitlinie für die Zukunft muss man die Eröffnungspremiere nicht unbedingt lesen, dagegen sprechen schon Paasikivis Regiebesetzungen für die Seebühne. Die neue Intendantin hat sie bereits bis 2029 festgelegt, weil die gigantischen, millionenteuren Bühnenbilder entsprechende Planungsvorläufe brauchen. Ab kommendem Jahr wird Verdis «La Traviata» in der Regie von Damiano Michieletto zu sehen sein, ab 2028 Wagners «Der fliegende Holländer», inszeniert von Lydia Steier. Beides sind international viel gebuchte Regisseure, stehen allerdings im Gegensatz zu Andreas Kriegenburg für ein knallhartes Regietheater, das eher in Konzepten denkt. Ob das für ein Massenpublikum funktioniert, wird man sehen.
Die Seebühne war auch unter Elisabeth Sobotka keineswegs ein Ort für naive Illustrationen, aber sie legte den Akzent doch eindeutig aufs Spektakel. Auf der Werkstattbühne dagegen war Avancierteres von jeher gut aufgehoben: In diesem Jahr präsentiert die prominente Mezzosopranistin Joyce DiDonato ein neues Werk des amerikanischen Komponisten Kevin Puts nach Gedichten von Emily Dickinson. Künftig möchte Paasikivi hier auch stärker mit immersiven und multidisziplinären Formaten experimentieren.
Weniger Subventionen
Doch für die unmittelbare Zukunft hat Paasikivi vorerst andere Probleme: Nur wenige Wochen vor Beginn ihrer ersten Festspiele haben die Geldgeber aus Staat, Land und Stadt angekündigt, ihre Subventionen um satte dreissig Prozent zu kürzen. Der österreichischen Wirtschaft geht es schlecht. Für die Festspiele bedeutet das ein Minus von 2,1 Millionen Euro pro Jahr. «Natürlich eine Enttäuschung» sei das, sagt Paasikivi, vor allem, weil die Kürzungen sofort wirksam würden. «Unsere Reaktionsmöglichkeiten sind eigentlich null.» An den Kartenpreisen und damit den Einnahmen fürs laufende Jahr kann sie nichts mehr ändern, und für das kommende sind die meisten Verträge bereits geschlossen.
Ihre Vorgängerin hat zwar gut gewirtschaftet und Rücklagen hinterlassen. Doch mit ihnen kann Paasikivi nur bedingt kalkulieren, weil sie vom Wetter abhängig ist. Fällt das Spiel auf dem See witterungsbedingt aus, kann nur ein Teil des Publikums ins trockene Festspielhaus wechseln, die übrigen Karten müssen ausgezahlt werden. Eine geplante Erweiterung des Soundsystems hat Paasikivi deshalb vorerst pausiert, ebenso die Kooperation mit dem Wiener Burgtheater im Schauspielbereich. Stattdessen will sie sich «aufs Kerngeschäft konzentrieren», sprich das Musiktheater. Doch Kürzungen in dieser Höhe würden notwendig auch bei Chören, Orchestern und Bühnenbildern sichtbar. Ein reibungsloser Neustart sieht anders aus.