Im Kantonsparlament sorgt die amerikanische Zollpolitik für Gezänk. Für Zürcher Unternehmen geht es derweil um Milliarden.
Was ist es langweilig in der Lokalpolitik. Scheinen zumindest die Lokalpolitiker bisweilen zu finden. Befristete Ersatzrichterstellen am Sozialversicherungsgericht, ein Objektkredit für den Ausbau des Aabachs in Uster: Am Montag hatte es das Zürcher Kantonsparlament nicht einfach. Kürzlich, klagte Donato Scognamiglio (EVP), habe er gar über kastrierte Katzen diskutieren müssen.
Zum Glück gibt es da noch die grosse weite Welt. Oder genauer: einen gewissen Herrn in Washington, der mit seiner erratischen Zollpolitik ungleich spannender ist als Aabäche und kopulierende Haustiger.
Auf Donald Trump hat die Zürcher Lokalpolitik zwar keinen Einfluss; Zollpolitik gehört nicht in ihre Zuständigkeit. Doch das hielt das Parlament nicht davon ab, mehr als eine Stunde lang darüber zu streiten, dass die Fetzen flogen.
«Aktionismus!», «Schnappatmung!», «Trump-Komplex!», tönte es von rechts. Die Linke prangerte ihrerseits «in den Sand gesetzte Milliarden» und «die Trump- und Putin-Versteher von rechts» an. Es ging um EU-Politik, eine anstehende Abstimmung über Steuersenkungen und, irgendwie, auch um Langstreckenflüge nach Johannesburg.
Nur um die Zürcher Unternehmen ging es erstaunlich selten.
Es geht um Milliarden
Dabei sind diese von Trumps Zöllen tatsächlich empfindlich betroffen, wie die Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) in einem wohltuend unaufgeregten Votum festhielt.
«Sollte sich die Situation zuspitzen und zu einem globalen Handelskrieg führen, besteht die Gefahr einer Rezession», sagte die Regierungsrätin. Dreizehn Prozent der Zürcher Exporte gehen in die USA. Güter im Wert von zwei Milliarden Franken sind von den Zöllen betroffen.
Auch die indirekten Folgen seien jedoch nicht zu unterschätzen, so Walker Späh. Die protektionistischen Massnahmen des US-Präsidenten träfen auch die Europäische Union empfindlich. Und da diese der wichtigste Exportmarkt der Zürcher Industrie sei, müsse auch dort mit einer geringeren Nachfrage gerechnet werden.
Dazu komme die wirtschaftliche Unsicherheit, die mit den Turbulenzen an den Aktienmärkten einhergehe. Sie habe das Potenzial, den in Zürich starken Dienstleistungsbereich zu schwächen – insbesondere Unternehmen im Finanzsektor.
Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, setzt die Kantonsregierung auf Hilfe für die betroffenen Unternehmen in Form von Kurzarbeit und generell auf «innovationsoffene und zurückhaltende Regulierungen». Walker Späh betonte ausserdem, wie wichtig gute Beziehungen zur EU für Zürcher Unternehmen sind; für deren Festigung wolle sich die Regierung auch weiterhin in Bundesbern einsetzen.
Alles eher unkontrovers, würde man meinen. Doch weit gefehlt.
Nein, es geht um Europa
Die Ratslinke, die die Debatte mit einer dringlichen Interpellation angerissen hatte, nutzte sie als Bühne für ihre europapolitischen Forderungen: Jetzt sei die Zeit für nähere und klar geregelte Beziehungen zur EU, sagte etwa Sibylle Marti (SP), die auch die an Trump gerichtete Charmeoffensive des Bundesrats kritisierte.
«Es ist nicht die Zeit für Anbiederungen über den Atlantik», so Marti. «Es ist Zeit, zusammen mit verlässlichen Partnern gegenüber der autoritären Trump-Regierung Haltung zu zeigen.»
Diese Haltung erboste die SVP, die Trumps Zölle mit den Druckversuchen der EU auf die Schweiz während der Verhandlungen zu einem neuen Rahmenabkommen verglich.
«Wer glaubt, Trump sei ein guter Grund für eine Annäherung an die EU, sollte sich fragen, wem er wirklich dient», sagte Tobias Weidmann (SVP). «Trump ist bald wieder Geschichte, unsere Freiheit ist es nicht.» Die EU habe gegenüber der Schweiz ohnehin einen Handelsüberschuss, profitiere also massiv, empörte sich Weidmann. Und griff damit selbst zu einem Argument aus der faktenarmen Welt der amerikanischen Zollpolitik.
Bemerkenswert war das Votum von Thomas Forrer (Grüne), dem Erstunterzeichner des dringlichen Vorstosses. Er lobte die Regierungsrätin Walker Späh in den höchsten Tönen und forderte seitens der Verwaltung Massnahmenpläne für die betroffenen Branchen sowie ein offenes Ohr für die Anliegen der Wirtschaft. Stabilität, Planungssicherheit und Freihandel seien zentral für die Zürcher Unternehmen, sagte er – und klang dabei fast wie ein Bürgerlicher.
Das hielt mehrere SVP-Vertreter allerdings nicht davon ab, seine Ausführungen mit linksextremem Gedankengut zu vergleichen. «Ein Pamphlet des Kommunismus» habe er vorgetragen, warf Rochus Burtscher (SVP) seinem grünen Ratskollegen vor. Und Marcel Suter (SVP) rief empört: «Das ist Sozialismus pur!»
Forrers Antwort: «Sie haben offensichtlich keine Ahnung von der Ideologie, über die Sie sprechen.»
Oder geht es doch um Langstreckenflüge?
Damit war der Tiefpunkt dieser «Chropfleerete» erreicht. Inhaltlich schälten sich, soweit erkennbar, diese zwei Positionen heraus: Links wünscht man sich als Reaktion auf Trumps Zollhammer nähere Beziehungen zur EU, aber auch mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Die Bürgerlichen wollen dagegen vor allem eines: Steuersenkungen – etwa jene der Unternehmenssteuer, über die die Zürcher Stimmberechtigten am 18. Mai abstimmen werden.
Jede Seite reklamiert dabei für sich, im Interesse der Wirtschaft zu sprechen. «Da gehören wir alle dazu, nicht nur die Handelskammer und die SVP», sagte etwa der Grünen-Politiker Forrer.
Die Antwort des FDP-Manns Mario Senn an die Adresse der Linken: «Sie sind die Ersten, die durch schlechte Rahmenbedingungen die Produktion in der Schweiz verteuern. Offenbar hat es Trump gebraucht, um aus Ihnen Vertreter des freien Handels zu machen.»
Senn klagte auch über den linken Widerstand gegen Freihandelsabkommen, Steuersenkungen – und Nachtflüge ab dem Flughafen Zürich. Die von Flughafengegnern lancierte Nachtruhe-Initiative gefährde Direktverbindungen nach Johannesburg, Hongkong oder São Paulo. Und damit auch die Diversifizierung des Handels weg von den USA.
Ein argumentativer Sprung, der wiederum links für Lacher sorgte.
Kurz darauf endete die Debatte ohne Ergebnis. Inhaltlich – Zölle schlecht, Wirtschaft gut – war man sich überraschend einig. Doch offensichtlich war die Versuchung zu gross, die Trump-Bühne für das übliche parlamentarische Gezänk zu nutzen. Und für ein Aufwärmen aller erdenklichen politischen Lieblingsthemen, die mit der Sache selbst höchstens indirekt zu tun haben.