Klaus Schwab fühlt sich hintergangen. Doch Juristen sagen: Das WEF hat richtig gehandelt. Hätte die Organisation keine Untersuchung eingeleitet, hätten ihr ernsthafte Konsequenzen gedroht.
Am WEF-Hauptsitz ausserhalb des Genfer Vororts Cologny ist zumindest von aussen betrachtet am Donnerstag alles harmonisch: Der Ausblick auf den Genfersee ist prächtig, der Garten säuberlich gepflegt. Der festungsartige Zugang mit den Überwachungskameras wirkt abweisend wie immer. Doch im Innern ist nichts mehr wie früher, seit WEF-Gründer Klaus Schwab inmitten von schweren Vorwürfen gegen ihn zurückgetreten ist.
Ausser die zwitschernden Vögel will hier niemand reden. Eine WEF-Mitarbeiterin entschuldigt sich, sie wolle ihren Job nicht verlieren. Zwar habe ihr niemand verboten, über Schwabs Rücktritt oder über das Arbeitsklima am WEF zu reden. Doch bevor sie mit ihrer Entschuldigung fertig ist, zerrt ein Kollege sie weg.
Das WEF ist Klaus Schwab – zumindest galt das bis Anfang dieser Woche. Seit Dienstagabend steht er im Zentrum eines Dramas. Das «Wall Street Journal» berichtete über schwere Vorwürfe, die Whistleblower gegen den WEF-Gründer erheben. Schwab und seine Ehefrau werden beschuldigt, Mittel des Forums für persönliche Zwecke verwendet zu haben.
Jetzt rücken Juristen in Cologny an, um die Vorwürfe zu prüfen. Bei der Untersuchung geht es um die Integrität einer schwerreichen Stiftung, um die Zukunft des Weltwirtschaftsforums. Und es geht um Schwabs Lebenswerk, seinen Einfluss – und seinen Ruf.
Ein Putsch gegen Schwab?
Schwab bestreitet die Vorwürfe gegen ihn vehement. Er sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne und erstattet Anzeige gegen Unbekannt wegen Diffamierung. In einem Statement kritisiert er allen voran den Stiftungsrat, der einstimmig die unabhängige Untersuchung der Vorwürfe lanciert hat. Beobachter sprechen von einem Machtkampf, manche gar von einem Putsch.
Doch welchen Spielraum hatte der Stiftungsrat überhaupt? Das oberste Kontrollgremium des WEF ist prominent besetzt. Er umfasst 27 Personen aus der ganzen Welt, etwa Christine Lagarde, Chefin der europäischen Zentralbank, den deutschen Spitzenmanager Joe Kaeser oder Blackrock-CEO Larry Fink. Sie alle hätten mehr als nur ihren Ruf aufs Spiel gesetzt, wenn sie Klaus Schwab inmitten der Vorwürfe ohne weitere Abklärungen gedeckt hätten.
Juristen sagen nun: Die Stiftungsräte hätten nicht nur ihre eigene Reputation geschützt – sie seien auch rechtlich korrekt vorgegangen. Das WEF, eine gemeinnützige Organisation mit stiftungsrechtlichem Zweck, hätte die Vorwürfe unmöglich totschweigen können.
Rechtsexperte: «Keine andere Wahl»
Thomas Sprecher ist Konsulent bei der Anwaltskanzlei Niederer Kraft Frey und Experte für Schweizer Stiftungsrecht. Der Stiftungsrat des WEF habe richtig gehandelt, sagt er: «Bei solch happigen Vorwürfen hat der Stiftungsrat des WEF gar keine andere Wahl, als diese sorgfältig zu prüfen. Sonst gefährdet er die Interessen der Stiftung.»
Ob die Vorwürfe an Klaus Schwab stimmen oder nicht, könne er von aussen nicht beurteilen, sagt Sprecher. Doch allein die Gerüchte reichten aus, um einer Stiftung ernsthafte Probleme zu bereiten.
So muss das WEF als gemeinnützige Organisation keine Steuern zahlen. Allerdings ist dieses Privileg laut Sprecher an strenge Regeln gebunden: Die Stiftung darf ihr Vermögen ausschliesslich für gemeinnützige Zwecke ausgeben, Privatpersonen dürfen unabhängig vom Betrag nicht darauf zugreifen. Der Stiftungsrat sei dafür verantwortlich, diese Trennung von Stiftungs- und Privatinteressen sicherzustellen.
Kommen aus Sicht der Behörden nur schon Zweifel auf, ob der Stiftungsrat als oberste Instanz diese Pflicht noch ausreichend erfüllt, könnten die kantonalen Steuerbehörden den Status der Stiftung als gemeinnützige Organisation überprüfen – und damit die Voraussetzung für eine Steuerbefreiung, sagt Sprecher. Bei Gesamteinnahmen von über 400 Millionen Franken im Geschäftsjahr 2023/2024 steht für das WEF also einiges auf dem Spiel.
Die Aufsichtsbehörde schaut genau hin
Tatsächlich war die Eidgenössische Stiftungsaufsicht (ESA) bereits 2024 anlässlich der Vorwürfe über eine angeblich toxische Unternehmenskultur mit dem WEF im Kontakt. Diese Woche informierte dann das Forum die Behörde über den Wechsel im Präsidium.
Über dessen Hintergründe, also die Bereicherungsvorwürfe gegen Gründer Klaus Schwab und die Einleitung der Untersuchung erfuhr die Aufsicht jedoch erst einen Tag später aus dem «Wall Street Journal» – und wurde dann am Mittwoch vom WEF kontaktiert.
Die Organisation habe der ESA glaubhaft dargelegt, dass der Stiftungsrat seine Verantwortung wahrnehme und die notwendigen Massnahmen treffe, um die Vorwürfe zu klären, schreibt die Behörde auf Anfrage. Dazu gehöre etwa die externe Untersuchung, die der Stiftungsrat 2024 in Auftrag gegeben und die er nun ausgeweitet habe. «Für weitergehende Massnahmen besteht derzeit kein Anlass», schreibt die ESA weiter.
Falls die Stiftung ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, hätte die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, Beschlüsse aufzuheben, Anweisungen zu erteilen, Stiftungsräte zu suspendieren oder abzuberufen oder eine externe Aufsichtsperson zu ernennen.
Unabhängige Betrachtung wichtig
Damit es gar nicht erst zu einem Eingreifen der Behörden kommt, muss ein Stiftungsrat im Rahmen der Untersuchung die nötigen Vorsichtsmassnahmen treffen. Das erklärt auch, weshalb Schwab sein Büro nicht mehr betreten darf und vom Gebrauch jeglicher WEF-Ressourcen abgeschnitten worden ist.
Stiftungsexperte Sprecher sagt, es sei richtig, dass Klaus Schwab inmitten der Vorwürfe offenbar geschäftliche Einrichtungen des WEF nicht mehr nutzen darf: «Solange die Überprüfung noch läuft, darf es zu keinerlei Absprachen oder Beeinflussungen kommen.»
Klaus Schwab hatte auch verschiedentlich kritisiert, dass er keine Möglichkeit habe, seinen Standpunkt darzulegen. Doch juristisch dürfte er damit einen schweren Stand haben: «Ein offizielles Recht auf Anhörung vor Einleitung einer internen Untersuchung gibt es nicht», sagt Simone Nadelhofer, Partnerin der Kanzlei Schellenberg Wittmer und Expertin für Wirtschaftsstrafrecht.
Sie betont zudem: Gerade bei Vorwürfen gegen Mitglieder der obersten Führungsebene sei es unerlässlich, rasch externe Fachleute einzubinden. Werde die Untersuchung dagegen durch interne Gremien wie etwa Stiftungsratsmitglieder durchgeführt, könne die Unabhängigkeit der Untersuchung nicht gewährleistet werden.
Stiftungsräte riskieren Ruf und Geld
Bei aller Sympathie, die manche von ihnen persönlich auch für Schwab haben mögen: Die 27 Stiftungsräte haben ein ureigenes Interesse an einer sauberen Aufarbeitung. Hätte man die Sache unter den Teppich gekehrt, hätten sich laut Beobachtern wahrscheinlich etliche Mitglieder aufgrund der rechtlichen Risiken zum Rücktritt entschliessen müssen.
Denn in der Schweiz riskieren Stiftungsräte nicht nur ihren eigenen Ruf – sondern auch ihr eigenes Geld. Für Schäden, die aus ihrer Tätigkeit als Stiftungsräte entstehen, haften sie mit ihrem privaten Vermögen.
Somit besteht ein starker Anreiz, dass sich die Stiftungsräte für die Erfüllung des Stiftungszweckes einsetzen – und auf Nummer sicher gehen, wenn es zu Vorwürfen kommt.
Schwab und sein Lebenswerk
Klaus Schwab fühlt sich dennoch hintergangen. Er hat das WEF begründet, gross gemacht, jahrzehntelang geprägt – und jetzt plötzlich ausgeschlossen. Ein Mann sieht sich seines Lebenswerks beraubt.
Vielleicht ist es aber genau diese enge emotionale Bindung zu seiner Organisation, die ihm überhaupt erst zum Verhängnis wurde.
Für den Rechtsanwalt Thomas Sprecher ist Klaus Schwab nämlich kein Einzelfall. Es gebe immer wieder Private, die ihre Stiftung als ihr eigenes Lebenswerk sehen – und dabei vernachlässigen, dass eigentlich der Stiftungszweck im Vordergrund stehen muss: «Bei Personen, die ein Projekt so stark geprägt haben, besteht oft die Gefahr, dass sie das Gespür für eine klare Trennung verlieren.»