Die bisherigen von der Regierung angekündigten Massnahmen reichen nicht aus, um den Vertrauensschwund in Chinas Wirtschaft zu beheben. Deutlich grössere Schritte zur Stützung des Konsums sind nötig. Investoren sind mit einer binären Situation konfrontiert.
«Der Konsum ist der einzige Zweck aller Produktion.»
Adam Smith, schottischer Ökonom u. Moralphilosoph (1723–1790)
0,002.
Diese winzige Zahl genügte, um am Mittwoch einen kollektiven Seufzer der Erleichterung durch die Finanzmärkte zu jagen.
Die Kernrate der Inflation der Konsumentenpreise in den USA (Core CPI, ohne Energie und Nahrungsmittel) verteuerte sich im Dezember im Vergleich zum Vorjahr nämlich um 3,248%. Dadurch wurde diese von den Finanzmärkten mit Spannung erwartete Zahl in der Kommunikation des U.S. Bureau of Labor Statistics auf 3,2% abgerundet – und lag damit unter der Konsenserwartung der Ökonomen.
Wäre die Teuerung 0,002 Prozentpunkte höher gelegen, hätte der kommunizierte Wert auf 3,3% aufgerundet werden müssen, und er wäre damit «nur» im Bereich der Erwartungen gelegen.
Langfristig betrachtet ist diese Rundungsdifferenz natürlich überhaupt nicht relevant. Aber die Episode zeigt, unter welchem Druck die Finanzmärkte vor der Publikation der US-Inflationsdaten standen. Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes, deren Anstieg in den vergangenen zwei Wochen für erheblichen Stress am Aktienmarkt gesorgt hatte, ermässigte sich umgehend um fast 20 Basispunkte auf 4,6%.
Der Dollar-Index sank von 110 auf leicht unter 109, und die Aktienmärkte vollzogen weltweit einen Freudensprung.
Und das alles wegen 0,002 Prozentpunkten.
Insgesamt betrachtet blieben die Inflationsdaten in den USA im Dezember mit 2,9% für den breiten Konsumentenpreisindex (CPI) und 3,2% für die Kernrate freilich ungemütlich hoch.
Das Thema des Inflationsdrucks sowie der steigenden Bondrenditen am langen Ende der Zinsstrukturkurve wird die Märkte in den kommenden Wochen noch intensiv beschäftigen. Am 20. Januar wird Donald Trump auf den Treppen des Capitols in Washington den Amtseid leisten und wieder ins Weisse Haus einziehen.
Danach wird er rasch Farbe bekennen müssen und zeigen, welche Prioritäten er in seiner Politik setzen wird. Und dann wird sich zeigen, ob diese von den Finanzmärkten als inflationär interpretiert werden oder nicht. In seiner Anhörung vor dem Senat verteidigte der designierte Finanzminister Scott Bessent am Donnerstag erwartungsgemäss bereits die von Trump angekündigten Importzölle und sprach sich für niedrigere Unternehmensgewinnsteuern aus.
Mit einer Portion Bange blicken die Märkte zudem auf die Sitzung der Bank of Japan vom 24. Januar. Die Führung der japanischen Notenbank liess durchsickern, dass sie eine Erhöhung des Leitzinses beschliessen könnte. Das letzte Mal hatte die BoJ den Leitzins Ende Juli erhöht – und damit prompt ein heftiges Beben im Weltfinanzsystem provoziert.
Chinas Aktienmarkt, gemessen am MSCI China Index, hat derweil seit Ende September mehr als 20% verloren. Ein Grossteil der Euphorie nach der Ankündigung grösserer Stimulusmassnahmen Ende September ist verpufft.
Chinas Wirtschaft ist krank. Und weil die zweitwichtigste Volkswirtschaft der Welt als Taktgeberin für weite Teile der globalen Konjunktur – von Emerging Markets wie Brasilien bis zu Industrienationen wie Deutschland – fungiert, ist ihr Zustand für Investoren von grosser Relevanz. Aus diesem Grund unterziehen wir China im dieswöchigen «Big Picture» einem Gesundheitscheck.
Wie uns Schweizer Fondsmanager berichten, äussern sich in China tätige Unternehmen – beispielsweise Lem, Sulzer, Tecan, Schindler, Bossard oder Burckhardt Compression – derzeit sehr zurückhaltend zum wirtschaftlichen Umfeld in der Volksrepublik. Auch der Luxusgüterkonzern Richemont, der am Donnerstag glänzende Zahlen publizierte, sprach von weiterhin schwacher Nachfrage aus China.
Offiziell hat es China 2024 zwar geschafft, das von der Parteiführung gesetzte Ziel von 5% Realwachstum zu erreichen. Im vierten Quartal wird das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) mit 5,4% beziffert. Die Detailhandelsverkäufe expandierten im Dezember im Vergleich zum Vorjahr um 3,7%, die Industrieproduktion wuchs um 6,2%. Diese Werte lagen leicht über den Erwartungen der Ökonomen.
Die heute Freitag publizierten Daten waren nun für mehr als zwei Monate die letzten «sauberen» Indikatoren, die Investoren erhalten haben. Am 29. Januar beginnen die Feierlichkeiten zum Neujahrsfest – das Jahr der Schlange beginnt –, und typischerweise sind die Konjunkturdaten im Januar und Februar dadurch erheblich verzerrt.
Doch unter der polierten Oberfläche der offiziellen Daten dürfte die Dynamik deutlich schwächer sein. Eine Indikation dafür liefert die Rendite zehnjähriger chinesischer Staatsanleihen, die mit 1,6% auf das niedrigste je gemessene Niveau gefallen ist.
In China herrscht Deflation. Der Index der Produzentenpreise bewegt sich seit zwei Jahren im negativen Bereich, die Teuerung der Konsumentenpreise schwankt um die Nulllinie. Der offizielle BIP-Deflator verharrt seit mittlerweile sieben Quartalen in negativem Territorium; das nominale Wirtschaftswachstum liegt damit deutlich unter dem von der Parteiführung gesetzten Ziel.
Der Li Keqiang Index, der das Wachstum der Bankkredite, der Frachtvolumen im Bahnverkehr sowie des Elektrizitätsverbrauchs als inoffiziellen Massstab für das Nominalwachstum nimmt, liegt unter 4%.
Der China Credit Impulse Index von Bloomberg, der die neue Kreditschöpfung in Relation zum BIP misst, ist im Dezember ebenfalls tiefer in den negativen Bereich gerutscht. Es ist offensichtlich, dass der Kreditschöpfungs-Mechanismus nicht anspringt.
Augenfällig ist der Unterschied der Wirtschaftsleistung Chinas im Vergleich mit den USA über die vergangenen fünf Jahre, wie die Ökonomen von Goldman Sachs vorrechnen. Während das BIP-Wachstum in den USA längst auf den vor der Covid-Pandemie herrschenden Trend zurückgekehrt ist, ist in China eine signifikante Verlangsamung festzustellen.
USA: Reales BIP-Wachstum (indexiert; 4. Quartal 2019 = 100):
China: Reales BIP-Wachstum (indexiert; 4. Quartal 2019 = 100):
Der kranke Zustand der Wirtschaft Chinas ist augenfällig.
Doch es stellt sich zunächst die Frage, ob die Parteiführung in Peking dies überhaupt erkannt hat. Das ist alles andere als selbstverständlich, zumal Kenner des Parteiapparats – beispielsweise Kevin Rudd im sehr lesenswerten Buch «On Xi Jinping» – berichten, dass sich Generalsekretär Xi zunehmend in einer Echokammer bewegt. Auch der langjährige, mittlerweile in Washington lebende China-Kenner Jörg Wuttke hat wiederholt für The Market berichtet, wie unter Xi die Ideologie wichtiger als die Wirtschaft geworden ist.
Immerhin zeigen sich Signale, dass die Parteiführung erkennt, dass sie ein Problem hat. Die ausserordentliche Sitzung des Politbüros zur Wirtschaftspolitik Ende September sowie die Central Economic Work Conference im Dezember wurden mit Communiqués abgeschlossen, die das Bekenntnis enthielten, die Wirtschaft zu unterstützen.
Aber was ist eigentlich das Problem? Und wie lässt es sich lösen?
China leidet unter diversen Faktoren, von der demografischen Entwicklung bis zur hohen allgemeinen Verschuldung, doch vereinfacht gesagt lässt sich die Misere mit zwei Problemen beschreiben: mit einem chronischen und einem akuten.
Chinas Wirtschaft hat extreme Schieflage. In den vergangenen drei Jahrzehnten waren Investitionen – hauptsächlich in Infrastruktur und Immobilien – der primäre Wachstumstreiber. Im Nachgang der globalen Finanzkrise von 2008 halfen diese Investitionen, die Weltwirtschaft aus den Loch zu hieven.
Noch heute sind Investitionen für mehr als 40% des BIP in China verantwortlich, verglichen mit 24% im Rest der Welt, wie der seit mehr als zwanzig Jahren an der Peking University lehrende US-Ökonom Michael Pettis vorrechnet. Der Konsum der privaten Haushalte liegt dagegen mit weniger als 40% des BIP weiter unter dem Durchschnitt der OECD-Länder von 54%.
Das zählt zum grundlegenden «Design» des chinesischen Wirtschaftsmodells: Die Einkommen der privaten Haushalte liegen mit 61% des BIP deutlich unter den Werten, die in westlichen Volkswirtschaften wie den USA, Grossbritannien oder in Europa üblich sind, wie eine Studie der auf China spezialisierten Research-Boutique Rhodium Group zeigt.
Die privaten Haushalte erhalten also einen vergleichsweise geringen Teil der in China erarbeiteten Wertschöpfung. Weil die staatliche Alters- und Gesundheitsvorsorge zudem schwach ausgebaut ist und Wanderarbeiter in den grossen Städten keine soziale Absicherung erhalten, müssen die Haushalte einen erheblichen Teil ihres Einkommens sparen – was zur geringen Konsumquote führt.
Simpel gesagt: «Sozialismus mit chinesischen Charakteristika» bedeutet, dass die Menschen nur einen geringen Teil ihrer erarbeiteten Wertschöpfung erhalten. Mit ihren unterdrückten Einkommen und aufgeblähten Ersparnissen subventionieren sie die staatseigenen Unternehmen und die korrupten Lokalregierungen.
Dieses chronische Problem ist längst bekannt. Die Central Economic Work Conference der Parteiführung sprach im Dezember 2004 erstmals von der Notwendigkeit eines «Rebalancing», hin zu einer stärkeren Rolle des Konsums. Passiert ist seither wenig. Das chronische Missverhältnis zwischen Investitionen und Konsum hat sich kaum verändert.
Im Verlauf der vergangenen gut vier Jahre ist – teilweise verdeckt von, teilweise verursacht durch die Pandemie – ein akutes Problem hinzugekommen. Die Regierung hat im Herbst 2020 mit der Strategie der «drei roten Linien» begonnen, den überhitzten Immobilienmarkt abzukühlen. Daraus erwuchs eine Immobilienkrise, die bis heute anhält. Christopher Wood, Stratege in Diensten des US-Brokerhauses Jefferies, geht davon aus, dass die Immobilienpreise in den urbanen Zentren seit ihrem Höhepunkt um bis zu 40% gesunken sind.
Gemäss Schätzungen von Logan Wright von Rhodium halten die privaten Haushalte 60 bis 80% ihres Vermögens in Immobilien; der Preisrückgang in der bisher grössten und längsten Krise seit der Privatisierung des Immobilienmarktes Mitte der Neunzigerjahre ist für sie deshalb eine überaus schmerzhafte Erfahrung.
«Wenn Sie in China zur Millennials-Generation gehören, haben Sie in den letzten zehn Jahren wahrscheinlich eine Immobilie zu einem viel zu hohen Preis gekauft. Jetzt ist der Wert Ihrer Wohnung um 30% gesunken, und Sie sind überschuldet. Also konsumieren Sie nicht», sagt Louis-Vincent Gave von der Research-Boutique Gavekal.
Die Erfahrungen mit den harschen Lockdown-Massnahmen im Pandemiejahr 2022, als die Regierung mit der Omikron-Variante des Coronavirus überfordert war, haben zudem bleibende Wunden hinterlassen. Der Index der Konsumentenstimmung hat sich vom Absturz nie erholt.
Die von Immobilienkrise und Pandemie traumatisierten privaten Haushalte stecken in einer schweren Vertrauenskrise. Als Reaktion darauf horten sie Geld und stottern ihre Schulden ab.
Die Bankeinlagen der Haushalte haben sich seit 2022 mehr als verdoppelt…
…während das Volumen der ausstehenden Hypothekarkredite sinkt:
Das ist ein typisches Muster, das in jeder Immobilienkrise von Japan in den Neunzigern bis zu den USA nach 2008 zu sehen war: Überschuldete Haushalte sparen und zahlen ihre Schulden ab. Die Geldpolitik ist in diesem Umfeld wirkungslos. Egal, wie oft die People’s Bank of China (PBoC) die Zinsen senkt, die Haushalte sind nicht an der Aufnahme neuer Schulden interessiert.
Eine ähnliche Vertrauenskrise herrscht unter den privaten Unternehmen, die besonders ab 2021 wiederholt auf unerwartete Weise von der Regierung schikaniert wurden. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendein Unternehmer oder ein Manager von der Bildfläche verschwindet.
Die schwache Kreditschöpfung ist Ausdruck dieser Vertrauenskrise.
«New Quality Productive Forces» lautet die geflügelte Formulierung, die Xi Jinping der Wirtschaftspolitik Chinas ab Ende 2023 verordnet hat. Hinter dem wie üblich schwammig definierten Konzept steht die Strategie, sich in Branchen wie Automobil, Solarenergie und Batterietechnologie eine weltweit führende Position zu erarbeiten und über Exporte zu wachsen.
Das hat in gewisser Weise funktioniert, zumal die Exporte in den vergangenen fünf Jahren als einziger Sektor in Chinas Wirtschaft deutlich gewachsen sind (rote Kurve). Die Investitionen in den Immobiliensektor (schwarz) sind eingebrochen, und die Detailhandelsverkäufe (grün) sind unterdurchschnittlich gewachsen, wie eine Studie der kanadischen Research-Boutique Alpine Macro zeigt:
Deutschlands Autoindustrie leidet ebenso unter dieser Offensive wie der Schweizer Solar-Spezialist Meyer Burger.
Bloss: Diese auf eine Steigerung der Produktion ausgerichtete Strategie kann aus drei Gründen nicht funktionieren. Erstens ist Chinas Problem nicht ein Mangel an Produktion, sondern ein Mangel an inländischer Nachfrage.
Zweitens sind die forcierten Branchen Automobil (8% des BIP gemäss Rhodium), Solar (2% ) und Batterietechnologie (weniger als 1%) viel zu klein, um den Einbruch des Immobiliensektors zu kompensieren.
Und drittens, das ist der wichtigste Punkt, knallt diese merkantilistische, auf Maximierung der Exporte ausgerichtete Strategie nun gegen die Wand der angedrohten Importzölle von Trump.
Nicht nur in den USA stösst die Exportoffensive Chinas auf Widerstand: Auch die Europäische Union sowie Staaten des sogenannten Globalen Südens wie Brasilien, die Türkei, Chile, Südafrika, Thailand oder Indonesien haben Massnahmen zur Abwehr von Gütern aus China beschlossen. «Die Welt ist nicht gewillt, die gigantische Überproduktion aus China zu absorbieren», sagt der Ökonom Pettis.
Es wäre zwar falsch, zu diagnostizieren, dass die Regierung zur Behebung der inländischen Probleme gar nichts unternommen hat. Überschuldete Lokalregierungen werden von der Zentralregierung refinanziert, das marode Bankensystem wird rekapitalisiert. Mit diversen Stützungsmassnahmen ist es zudem gelungen, die Lage am Immobilienmarkt immerhin zu stabilisieren. Die Immobilienverkäufe in den grössten urbanen Zentren steigen seit Herbst wieder leicht:
Aber die verordnete Medizin zeigt entweder zu üble Nebenwirkungen – weltweiter Widerstand gegen Chinas Exporte –, oder sie ist zu schwach dosiert. Sie reicht nicht, um die Dynamik des akuten Vertrauensverlustes zu durchbrechen.
In einem besonderen Dilemma steht die Zentralbank, die PBoC. Sie versucht zwar einerseits, für Chinas Binnenwirtschaft üppig Liquidität bereitzustellen, doch sie muss gleichzeitig den Wechselkurs des Yuan zum Dollar pflegen. Es ist kein Geheimnis, dass die PBoC grosse Furcht vor Kapitalflucht-Bewegungen hat. Der harte Dollar zwingt der PBoC deshalb eine für Chinas Binnenwirtschaft zu restriktive Geldpolitik auf, was den Deflationsdruck verschärft.
Theoretisch ist der Befund klar: Der inländische Konsum in China muss gestärkt werden. Doch das ist einfacher gesagt als getan, wie die mittlerweile zwanzigjährige Erfahrung mit dem versuchten «Rebalancing» zeigt. «Sollen die privaten Haushalte einen grösseren Teil der Wertschöpfung erhalten, muss zwangsläufig eine andere Anspruchsgruppe, entweder die staatseigenen Unternehmen oder die Lokalregierungen, einen Teil abgeben», sagt Pettis. Doch diese wehren sich vehement dagegen.
Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass Xi Jinping offenbar der festen Meinung ist, dass Produktion und Investitionen Ausdruck von Tugendhaftigkeit, während Konsum und Umverteilung von Einkommen Ausdruck von Frivolität sind. Im Parteiorgan «Qiushi» schrieb der Generalsekretär Ende 2022: «Um gemeinsamen Wohlstand zu erreichen, dürfen wir keine Wohlfahrt betreiben. Das bringt, wie in einigen lateinamerikanischen Ländern zu sehen war, eine Gruppe von Faulenzern hervor, die etwas für nichts bekommen. Wenn die Sozialleistungen einmal gestiegen sind, können sie nicht mehr gesenkt werden.»
Gleichzeitig hat die Parteiführung aber die Erfahrung mit den beiden «verlorenen Jahrzehnten» Japans vor Augen. Sie zeigt, dass es extrem schwierig ist, eine Vertrauenskrise zu bekämpfen, wenn sie sich einmal festgesetzt hat.
Im Communiqué der Central Economic Work Conference von Mitte Dezember bekannte sich die Parteiführung dazu, den Konsum «rigoros» zu unterstützen. Das ist eine Formulierung, die in dieser Deutlichkeit bislang nicht zu lesen war.
Es ist offensichtlich, dass die bisher angekündigten Massnahmen nicht ausgereicht haben, um den Vertrauensschwund zu beheben. Die nächste Gelegenheit erhält die Parteiführung am Nationalen Volkskongress, der am 5. März beginnt. Das ist traditionellerweise der Anlass, an dem die Regierung ihre Wirtschaftspolitik für das neue Jahr vorstellt und das Wachstumsziel setzt.
Insofern sind Investoren mit Blick auf 2025 mit einer binären Situation konfrontiert: Stellt die Regierung im März gross angelegte Stützungsprogramme für die privaten Haushalte in Aussicht – beispielsweise Formen von «Helikoptergeld», mit dem die Menschen direkte Gutschriften erhalten –, würde Chinas Aktienmarkt voraussichtlich eine explosionsartige Aufwärtsbewegung vollziehen. Ideal wäre es, wenn zudem strukturelle Reformen der staatlichen Alters- und Gesundheitsvorsorge sowie des Systems der «Hukou»-Aufenthaltsbewilligungen für Wanderarbeiter aufgegleist würden.
Sollte die Parteiführung um Xi dagegen einmal mehr mit zu kleinen Schritten enttäuschen und damit manifestieren, dass sie schlicht nicht begriffen hat, woran Chinas Wirtschaft krankt, dann wird die Volksrepublik dem Beispiel Japans in den Neunzigerjahren folgen und sich tiefer in eine desaströse Deflation schrauben.
Wir massen uns keine Prognose an, welchen Weg Xi und seine Kollegen wählen werden. Aber die Erwartungen der Finanzmärkte sind gering. Der MSCI China handelt zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10 und einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,3.
«China ist heute wie eine gespannte Feder. Wenn sich nur eine leichte Verbesserung der Aussichten einstellt, werden wir erleben, dass Rekordsummen von Bankkonten in China, Hongkong und Singapur in Investitionen und Konsum fliessen», sagt Louis-Vincent Gave.
Im Jahr der Schlange wird sich weisen, ob sich die günstige Bewertung von Chinas Aktienmarkt für Investoren als hervorragende Kaufgelegenheit (Value) oder als Falle (Value Trap) entpuppt.
Xi Jinping hat es in der Hand.