Von «Paris, Texas» und «Himmel über Berlin» bis zu «Perfect Days»: Die Filme des deutschen Regisseurs haben etwas Meditatives. Am 14. August feiert er den 80. Geburtstag.
«Ich reise, ich sehe»: ein einfacher Satz, gesprochen in «Bis ans Ende der Welt» (1991) von Sam Farber alias William Hurt. Mit einer Spezialbrille, der Erfindung seines Vaters, sammelt er Bilder seiner überall auf der Welt verteilten Familie: Diese Aufnahmen sollen eines Tages – gespeichert in seinem eigenen Gehirn – der blinden Mutter das Sehen ermöglichen. Vielleicht steckt in Sam auch ein Stück von Wim Wenders selbst: der Regisseur als ewiger Reisender – durch Räume, Geschichten, innere Landschaften.
Seine Filme folgen Menschen, die unterwegs sind: zwischen Ländern, zwischen Lebensphasen, oft zwischen sich selbst und der Welt. Doch geht es Wenders nicht um das Ziel, sondern ums Dazwischen. Seine Kamera hält inne, beobachtet, schweigt mit – ein Kino, das nicht erklärt, sondern erspürt. Seine bekanntesten Werke – «Alice in den Städten» (1974), «Paris, Texas» (1984), «Der Himmel über Berlin» (1987) – kreisen um Entfremdung, Erinnerung und zeichnen emotionale Landkarten.
Künstlerische Kollaboration
Dabei verströmen sie eine seltsame Ruhe: Es ist ein Kino des Schweifens, ein Kino des Hörens und Sehens. Und immer wieder: ein Kino der Zusammenarbeit. Denn sosehr Wenders’ Filme von einer persönlichen Handschrift geprägt sind, so wenig versteht er sich als Solist. Tatsächlich lässt sich sein Werk besser mit dem Blick des sogenannten Post-Auteurismus verstehen – einer Theorie, die das traditionelle Bild des Regisseurs als alleiniger Autor hinterfragt. Stattdessen rückt sie die künstlerische Kollaboration in den Mittelpunkt, das Zusammenspiel verschiedener Stimmen, Disziplinen und kreativer Kräfte, die einen Film gemeinsam prägen.
Wenders hat über Jahrzehnte hinweg genauso gearbeitet – und das mit beeindruckender Konsequenz. Robby Müller war nicht bloss Kameramann, sondern visueller Mitautor vieler zentraler Filme von Wenders. Sein Blick auf Licht, Raum und Rhythmus hat das ästhetische Vokabular dieses Kinos entscheidend mitgeprägt – «Paris, Texas» wäre ohne Müllers Bildsprache nicht jenes Roadmovie der Sehnsucht, als das es heute gilt. Ähnliches gilt für Peter Handke, der die poetischen Monologe in «Der Himmel über Berlin» verfasste – Texte, die dem Film jene leise Melancholie und existenzielle Tiefe geben, für die er so gefeiert wurde.
Hier zeigt sich Wenders nicht als klassischer Autor, sondern als jemand, der Räume für andere öffnet: für Sprache, für Musik, für Bewegung. Letzteres zeigt sich besonders in «Pina» (2011), seinem Tanzfilm über die Choreografin Pina Bausch. Wenders filmte nicht «über» Tanz, sondern versuchte, mit der Kamera in die Sprache des Tanzes einzutauchen. Es war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, ein filmisches Weiterdenken dessen, was Pina Bausch auf der Bühne verkörperte.
Auch Musik ist in Wenders’ Filmen nie bloss dekorative Untermalung, sondern ein Resonanzraum – für die Körper der Schauspieler und für die Wahrnehmung der Zuschauer. Ob Ry Cooders melancholische Slide-Gitarre in «Paris, Texas» oder Nick Caves Auftritt in «Der Himmel über Berlin»: Der Klang verwebt sich kongenial mit dem Innenleben der Figuren.
Um die Darsteller legt sich ein stilles Geflecht aus Licht, Requisiten und Stoff, das auch von aussergewöhnlichen Kollaborationen mit begnadeten Kostümbildnern erzählt. Die eindrucksvollen langen Mäntel der Engel – Bruno Ganz und Otto Sander – in «Der Himmel über Berlin», entstanden im engen Austausch mit Monika Jakobs, lassen sie ätherisch und geerdet zugleich erscheinen. Das rosa Mohair-Kleid mit tiefem Rückenausschnitt, das Nastassja Kinski als Jane in «Paris, Texas» trägt – ein Entwurf von Birgitta Bjerke –, macht sie für Travis (Harry Dean Stanton) körperlich präsent und doch unerreichbar.
In «Bis ans Ende der Welt» begleiten Yohji Yamamotos Entwürfe – von futuristischen Minikleidern aus Metallscheiben bis zu weich fliessenden Wüstenoutfits – Solveig Dommartins «Claire» durch emotionale Verwandlungen. Und selbst der schlichte blaue Arbeitsoverall von Kōji Yakusho in «Perfect Days» (2023) bringt uns einen einsamen Mann näher, der die kleinen Dinge des Lebens mit stiller Würde lebt.