Holcim spaltet das USA-Geschäft ab. Die neue Firma Amrize will nicht grün sein, sondern wachsen. Aber das geht nicht so schnell wie gedacht.
Wenn man an einer der grössten Umwälzungen arbeitet, welche die Schweizer Unternehmenslandschaft seit Jahrzehnten erlebt hat, bleibt wenig Zeit für Shopping. Als Jan Jenisch in dieser Woche vor Finanzanalysten in New York auf die Bühne trat, trug er weisse Sneaker zum dunklen Anzug. Der führende Manager hinter dem Erfolg des Schweizer Zementriesen Holcim war immer stolz auf diese Schuhe, weil der Farbton zu Holcim passt.
Doch Jenisch repräsentiert jetzt ein anderes Unternehmen: Unter dem Namen Amrize spaltet Holcim sein Nordamerikageschäft ab – in Radikalität und Grösse ein selten gesehenes Spin-off. Als CEO und Präsident in Personalunion wird Jenisch bei Amrize der starke Mann sein, ähnlich wie zuvor bei Holcim. Die Holcim-Schuhe nimmt er offenbar mit.
Das alte Umsatzziel ist vergessen
Ein Glücksbringer kann nicht schaden. In dieser Woche stellten die neue Amrize und die alte Holcim ihre Wachstumspläne für die Zeit nach der Trennung vor. Klar ist: Selbst für den grössten Zementhersteller in den USA werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen – zumindest nicht so hoch, wie es vor etwas mehr als einem Jahr versprochen wurde. Damals, bei der Ankündigung des Spin-offs, wurde für das Nordamerikageschäft ein Umsatz von 20 Milliarden Dollar oder mehr im Jahr 2030 in Aussicht gestellt.
Inzwischen ist von diesem Ziel keine Rede mehr. Rechnerisch setzte Amrize vergangenes Jahr 11,7 Milliarden Dollar um. Der Umsatz soll von 2025 bis 2028 zwischen 5 und 8 Prozent jährlich wachsen, wie Amrize den Investoren in dieser Woche versprach. Das ergibt im besten Fall knapp 16 Milliarden Dollar im Jahr 2028 – und damit eine recht grosse Lücke zu den 20 Milliarden Dollar im Jahr 2030.
Etwas Bescheidenheit sickert ein. Jan Jenisch hat die Abtrennung stets damit begründet, dass das Geschäft in den USA und Kanada zu gross geworden sei, um nur als eine Abteilung von Holcim geführt zu werden. Und damit, dass die Wachstumschancen herausragend seien und sich im Alleingang besser nutzen liessen.
Allerdings: Von 2021 bis 2024 legte der Nordamerika-Umsatz um jährlich durchschnittlich 13 Prozent zu, auch dank Übernahmen. Das ist deutlich mehr als die erwähnten maximal 8 Prozent, die nun jährlich bis 2028 avisiert werden. Amrize erklärt, grosse Übernahmen seien in den Zielen noch nicht eingerechnet. Warum sie zurückhaltender formuliert sind, bleibt offen.
Trump ist eher Chance als Risiko
Die Zurückhaltung bedeutet nicht, dass die neuen Amrize-Aktien, die nach der bis Ende Juni geplanten Abspaltung kotiert werden sollen, ein schlechtes Investment sein werden. Erstens hat Amrize auch Ziele zur Profitabilität genannt, die Analysten positiv überrascht haben: Der Betriebsgewinn soll deutlich stärker wachsen als der Umsatz – und am Ende ist es der Gewinn, der zählt.
Zweitens ist auch ein Umsatzplus von 8 Prozent pro Jahr nicht wenig. 2024 sei das Geschäft durch höhere Zinsen und Unsicherheiten rund um die US-Präsidentschaftswahl gebremst worden, wie Jenisch erklärte. Ab der zweiten Jahreshälfte 2025 erwartet er nach eigenen Worten ein gutes Momentum.
Auch wenn das Wort «Trump» in den Präsentationen nicht genannt wurde – der neue Präsident dürfte daran einen Anteil haben. Eine Hoffnung lautet, dass Trump Investitionen in die Infrastruktur weiter fördert und auch der politisch gewünschte Aufbau von Fabriken für Nachfrage sorgt. Dabei setzt Amrize längst nicht nur auf Zement, sondern auch auf höherwertige Baumaterialien, etwa Dachelemente.
Was den Zement betrifft, so müssen die USA traditionell einen grossen Teil dieses Baustoffs importieren. Amrize hingegen hat im Land recht viele eigene Zementwerke. Deshalb sieht sich die Firma nicht nur gut vor etwaigen Zöllen der Trump-Administration geschützt, sondern gar im Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Die Holcim-Aktionäre, welche Amrize-Aktien zugeteilt bekommen, sind positiv gestimmt: Seit der Ankündigung des Spin-offs haben die Holcim-Titel erheblich zugelegt.
Keiner redet über das Klima
Allerdings spielt ein Aspekt, der für Holcim sehr wichtig ist, für Amrize kaum eine Rolle: klimafreundliche Produkte. Die Zementproduktion ist sehr klimaschädlich. Doch das Wort «Klima» fiel in den Präsentationen am Investorentag in New York überhaupt nicht, und «Nachhaltigkeit» wurde nur erwähnt, als es um nachhaltige Preisgestaltung ging. Amerikanische Investoren legen wenig Wert auf grüne Qualitäten, und sie spielen für Amrize keine Rolle.
Ganz anders ist es in Europa. Das zeigt sich in den Plänen der künftigen Holcim ohne ihr Nordamerikageschäft, die der CEO Miljan Gutovic am Freitag präsentierte. Klimafreundliche Zement- und Betonvarianten, bei deren Herstellung 30 Prozent weniger CO2 anfällt, sollen 2030 über die Hälfte der jeweiligen Verkäufe ausmachen. Heute sind es rund 30 Prozent.
Auch soll künftig noch mehr Abbruchmaterial rezykliert werden. Beides steigert die Marge, die Holcim an den teureren Produkten verdient. Ferner werden Ziele zur Senkung der Emissionen und des Wasserverbrauchs definiert.
Grundsätzlich zielt Holcim auf eine Umsatzsteigerung zwischen 3 und 5 Prozent pro Jahr bis 2030 und ist damit gemächlicher unterwegs als Amrize. Doch abermals soll die Profitabilität überproportional wachsen. Das ist Holcim bereits im vergangenen, für die Baubranche schwierigen Jahr gelungen. Ohne das Nordamerikageschäft erzielte Holcim 2024 einen Umsatz von 16,3 Milliarden Franken und eine Marge des Betriebsgewinns (Ebit) von 17,4 Prozent.
Die mexikanische Grenze steht
Auch bei Holcim sollen höherwertige Baumaterialien und Zukäufe noch wichtiger werden. Doch es verschieben sich die geografischen Gewichte – ironischerweise in die Nähe von Amrize. Denn angesichts der hohen Nachfrage könnte für Holcim bald Lateinamerika die zweitwichtigste Region nach Europa werden, so Gutovic. Dabei zählt Mexiko weiterhin zu Holcim, nicht zu Amrize. Doch die Grenze ist klar: Konkurrenz machen wollen sich die beiden Firmen nicht.