Die ZSC Lions verlieren auch die zweite Partie nach dem Rücktritt von Marc Crawford. Der bis Saisonende zum Cheftrainer aufgestiegene Marco Bayer wird in der Kabine erstmals deutlich. Dabei besteht beim Schweizer Eishockey-Meister wenig Grund zur Beunruhigung.
Es läuft die 11. Minute in der Swiss-Life-Arena, als im «Limmatblock», der Stehrampe des ZSC-Anhangs, am Sonntagnachmittag drei Spruchbänder entrollt werden: «Marc, your legacy will never fade. / In our hearts your mark is made! / Get well soon!» Es ist der Abschiedsgruss der aktiven Fanszene an Marc Crawford, den Ex-Trainer, der in der Altjahreswoche wegen psychischer Probleme zurückgetreten ist. Die einmal mehr ausverkaufte Spielstätte ehrte Crawford mit einer Ovation, es war der emotionalste Moment dieser Saison.
Crawford, 63, hatte den ZSC zwei Mal zum Meistertitel geführt, 2014 und 2024. Es ist ihm verwehrt geblieben, vor Ort Adieu zu sagen, aber man kann davon ausgehen, dass das noch nachgeholt wird, sobald der Kanadier sich dazu in der Lage fühlt. Von der vom Entscheid überraschten Mannschaft verabschiedete er sich in einem emotionalen Videotelefonat. Ein spektakuläres Comeback im Falle einer schnellen Genesung schliessen beide Parteien kategorisch aus – auch wenn der Vertrag noch nicht aufgelöst ist. Der Sportchef Sven Leuenberger sagt: «Er hat uns klargemacht, dass ein längerer Prozess vor ihm steht.»
Crawford hat den Wunsch nach Ruhe geäussert, intern aber signalisiert, dass er jedes Spiel schauen werde und für Zwiegespräche gerne zur Verfügung stehe. Der bis zum Saisonende als Headcoach eingesetzte Marco Bayer besprach sich am Samstag mit seinem Vorgänger und will das am Montag erneut tun. Auch die anderen Trainer ermunterte Crawford, sich ungeniert zu melden, sollten Fragen auftauchen. Es spricht für den weit gereisten Coach, dass er sich auch nach der Demission weiterhin kümmert. Möglicherweise ist ihm die Abwechslung je nach Tagesform durchaus kommod.
Bayer ist erst der fünfte Schweizer ZSC-Trainer seit der Fusion von 1997
Fakt aber bleibt, dass der ZSC einen Weg finden muss, ohne Crawford zurechtzukommen. Diesen Trainer, dessen wahrscheinlich grösste Stärke es war, wie er die Egos dieses Starensembles massierte; sein eigener Mix aus Strenge und Nachsicht. Leuenberger formuliert es so: «Er hielt die Jungs an der langen Leine. Aber es gab klare Leitplanken. Und wenn die überschritten wurden, wurde es laut. Ich wünsche ihm von Herzen, dass es ihm bald bessergeht. In meiner Karriere als Sportchef hat es noch keinen Coach gegeben, mit dem die Zusammenarbeit besser funktioniert hat.»
Es ist eine starke Aussage – Leuenberger macht diesen Job seit 18 Jahren, er hat schon ein paar Trainer beschäftigt.
Bayer ist der neueste Name in dieser Liste. Der Zürcher bewegt sich seit mehr als drei Jahrzehnten in diesem Geschäft, er war ein spielstarker Verteidiger, dessen Arbeitsort von 1992 bis 1994 das Hallenstadion war, als der Klub noch Zürcher SC hiess und der Trainer Arno Del Curto. Zwei Mal vertrat er die Schweiz an einer Weltmeisterschaft, letztmals 1996 an der B-WM, wo er sich unter dem Coach Simon Schenk mit Japan und Polen mass – lange bevor die Schweiz in die Weltspitze aufstieg.
Nach der Karriere hat Bayer verschiedene Positionen bekleidet. Er war Assistenztrainer in Kloten, Rapperswil, Bern und Langnau. Den SCL Tigers stand er als Sportchef vor, später coachte er die U-20-Nationalmannschaft und zuletzt das praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit operierende Farmteam GCK Lions. Es waren fast ausnahmslos Stationen fernab des Scheinwerferlichts, was Bayer wohl recht war, weil ihm der Geltungsdrang mancher seiner Antipoden abzugehen scheint. Wenn in der NL eine Stelle frei wurde, gehörte er nicht zu denen, die atemlos zum Hörer griffen und sich selbst portierten.
Als Leuenberger ihn am 28. Dezember anfragte, ob er bereit wäre, zum ZSC-Cheftrainer aufzusteigen, wollte er das erst abwägen. Und sagte nicht sofort zu, obwohl es die Chance seines Lebens ist. Er sagt, er habe sich erst einmal vergewissern müssen, ob er das wirklich wolle. Weil sich schon viel ändert, vor allem der Druck und die Öffentlichkeit. Es ist eine Überlegtheit, die für ihn spricht.
Es ist selten, dass der ZSC auf Schweizer Trainer vertraut: Seit der Fusion mit GC von 1997 verantworteten einzig Christian Weber, Beat Lautenschlager (ad interim) und Arno Del Curto dieses Team; alle scheiterten krachend. Die Ausnahme ist Hans Kossmann, der am 29. Dezember 2017 den Schweden Hans Wallson ersetzte und die Mannschaft zum Titel führte. Kossmann, 62, ist ein kanadisch-schweizerischer Doppelbürger, der in Nordamerika sozialisiert wurde.
Es ist ein kompliziertes Erbe, das Bayer da antritt. Und es ist schwer abzuschätzen, ob er in seinem Auftreten nicht zu sanft ist – gerade im Vergleich zu Crawford. Leuenberger baut nicht zuletzt deshalb auf ihn, weil er die Organisation und die Spieler nach eineinhalb Jahren in Küsnacht bestens kennt. Und weil er im Winter 2015 davon angetan war, wie gut strukturiert die Elite-Junioren-Equipe des SC Bern war, bei der er Bayer als Coach beerbte.
Das Programm des ZSC bis Saisonende ist gedrängt, zumal der Klub im Champions-League-Halbfinal steht. Es war einer der Hauptgründe dafür, dass Leuenberger sich für eine interne Lösung entschied. Genf/Servette, der Gegner im CHL-Halbfinal, hat die Nachfolge ebenfalls so geregelt – es bleibt schlicht nicht genug Zeit, damit ein externer Coach seine Ideen verwirklichen kann.
Nach Verlustpunkten ist der ZSC noch immer Leader
Bayer sagt, er habe die Ideen und die Taktik Crawfords zu 95 Prozent übernommen – es gebe wenig Anlass für Veränderungen. Etwas vorsichtiger solle die Ausrichtung werden, die Mannschaft brauche jetzt Halt. Der Start allerdings ist ihm misslungen: Am Freitag unterlag der ZSC dem müden Spengler-Cup-Sieger Gottéron und am Sonntag dem Leader Lausanne 1:2. Bayer wählte nach der Heimniederlage bereits erstaunlich markige Worte, er sagte: «Für die Ansprüche dieser Organisation war das zu wenig.» Und von einem Reporter auf den Stürmer Denis Malgin angesprochen, sagte er: «Er ist nicht der Einzige, aber da muss mehr kommen.»
Es ist Anfang Januar, die Qualifikation dauert noch 21 Runden, der ZSC ist nach Verlustpunkten weiterhin Tabellenerster und stellt die mit grossem Abstand stabilste Defensive. Es gibt wenig Anlass für Unruhe, der ZSC befindet sich auf Kurs. Er hat auch unter Crawford Schwächephasen durchlebt, sieglose Wochenenden, das gehört alles zur Volatilität dieser langen Winter. «Es waren spezielle Tage, weil wir das alles in keiner Weise haben kommen sehen», sagte der Verteidiger Christian Marti. Und ergänzte: «Wir müssen uns jetzt erst einmal finden.» Dafür bleibt mehr als genug Zeit, das Polster ist komfortabel. Marc Crawford sei Dank.
Eishockey. National League. Resultate: Ajoie – Ambri-Piotta 3:4 (3:1, 0:1, 0:1, 0:1) n. V. Lugano – Fribourg-Gottéron 1:5 (0:2, 0:0, 1:3). Genève-Servette – SCL Tigers 3:2 (0:0, 3:1, 0:1). ZSC Lions – Lausanne 1:2 (1:0, 0:1, 0:1).
Rangliste: 1. Lausanne 67. 2. ZSC Lions 61. 3. Bern 61. 4. Davos 58. 5. Kloten 57. 6. Zug 52. 7. SCL Tigers 51. 8. Fribourg-Gottéron 48. 9. Rapperswil-Jona Lakers 47. 10. Genf-Servette 45. 11. Biel 43. 12. Ambri-Piotta 43. 13. Lugano 42. 14. Ajoie 30.