Nach seiner Flucht in die Schweiz musste der jüdische Kunstsammler Carl Sachs Monets «L’homme à l’ombrelle» an das Kunsthaus Zürich verkaufen. Nun gibt es dazu eine Vereinbarung mit den Rechtsnachfolgern.
Claude Monets Gemälde «L’homme à l’ombrelle», entstanden 1865–67, war einst Bestandteil der Sammlung des jüdischen Textilunternehmers Carl Sachs. Er und seine Frau Margarete Sachs waren wichtige Förderer des kulturellen Lebens in ihrer Heimatstadt Breslau. 1934 gelangte Monets Bild zusammen mit weiteren Werken der Sammlung Sachs als Leihgabe ans Kunsthaus Zürich.
1939 verkaufte Carl Sachs das Bild an das Kunsthaus. Es war der erste Bildverkauf, den das Ehepaar Sachs aufgrund seiner akuten finanziellen Notlage tätigen musste. Nur wenige Wochen nach ihrer Flucht aus NS-Deutschland, bei der Carl und Margarete Sachs je nur 10 Reichsmark mitführen durften, sahen sie sich gezwungen, das Gemälde zu veräussern.
Um überhaupt in die Schweiz einreisen zu können, mussten sie überdies ihre im Kunsthaus befindlichen Kunstwerke beleihen. Bis zu seinem Tod im Dezember 1943 verkaufte Sachs nachweislich dreizehn weitere Kunstwerke, die er vor seiner Flucht in der Schweiz eingelagert hatte.
Akute Notlage
Der kurzfristige Verkauf der Monets erfolgte aufgrund einer eindeutigen Zwangslage: Zu diesem Ergebnis kommt jetzt das Kunsthaus Zürich. Gemäss Beurteilung der Faktenlage und des historischen Sachverhalts handelt es sich bei dem Fall um verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Auf dieser Grundlage suchte die Zürcher Kunstgesellschaft den Dialog mit der Vertretung von Carl Sachs’ Familie. Mit dieser wurde nun eine gütliche Einigung gefunden, wie das Kunsthaus am Mittwoch bekanntgab.
Die Zürcher Kunstgesellschaft, Eigentümerin der Sammlung des Kunsthauses Zürich, verständigte sich mit den Erben des deutschen Industriellen und Kunstsammlers Carl Sachs auf eine «faire und gerechte Lösung». Gemäss dieser soll das Bild verkauft werden. Der Schritt erfolgt im Rahmen der neuen Provenienzstrategie, die sich das Kunsthaus Zürich im vergangenen Jahr auferlegt hat.
Über den Anteil des Verkaufserlöses, der den Erben zufliessen soll, gibt das Kunsthaus keine Auskunft. Der Teil zugunsten der Zürcher Kunstgesellschaft wird in den Sammlungsfonds des Kunsthauses einfliessen. Das sehen die ethischen Richtlinien des Internationalen Museumsrats (Icom) vor. Diese verpflichten die Mitglieder, Gelder durch Verkäufe von Sammlungsbeständen nicht anderweitig zu verwenden.
Ein Präzedenzfall
Das Kunsthaus Zürich prüft gegenwärtig Kunstwerke seiner Sammlung auf ihre Provenienz, die vor 1945 entstanden sind und in der Zeit von Januar 1933 bis Mai 1945 ihren Besitzer gewechselt haben. Die Untersuchungen sind Teil einer neuen Provenienzstrategie, die 2023 unter dem Direktorium von Ann Demeester eingeführt wurde. «Als Museum tragen wir eine grosse gesellschaftliche Verantwortung», sagte damals die neue Direktorin.
Mit der Verabschiedung der Washingtoner Richtlinien 1998 bekräftigte die Schweiz zwar ihren Willen zur Aufarbeitung der NS-Raubkunst-Problematik. Die Meinungen gingen aber darüber auseinander, ob als Fluchtgut zu bezeichnende Kunstwerke ebenfalls in den Anwendungsbereich des Washingtoner Abkommens fallen.
Unter Fluchtgut werden Kunstwerke von jüdischen Vorbesitzern verstanden, die diese zur Finanzierung ihrer Flucht in Drittländer auf dem Schweizer Markt verkaufen mussten oder durch deren Veräusserung sie nach erfolgter Flucht ihren Lebensunterhalt in der Schweiz zu bestreiten gezwungen waren. Lange vertrat die Schweiz die Auffassung, dass Restitution im Fall von Fluchtgut ausgeschlossen sei.
Mit der 2009 erfolgten Erklärung von Theresienstadt, deren Richtlinien die Schweiz ebenfalls unterzeichnet hat, fielen zwar auch «NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstgegenstände» unter die Regelungen der Washingtoner Prinzipien. Dennoch war nicht klar, was das im Fall von Kunstwerken bedeutete, die von jüdischen Flüchtlingen aus mehr oder weniger freien Stücken auf dem Schweizer Markt veräussert worden waren.
Mit seiner neuen Provenienzstrategie hat sich das grösste Kunstmuseum der Schweiz klar dazu verpflichtet, proaktiv mit Werken umzugehen, die als NS-Verfolgungs-bedingt entzogenes Kulturgut eingestuft werden.
Eine neue Interpretation des Washingtoner Abkommens durch das amerikanische State Department in diesem März hat zusätzlich für etwas mehr Klarheit gesorgt: Unter die Washingtoner Richtlinien sollen neu insbesondere auch Kunstwerke aus sogenannter NS-verfolgter Eigentümerschaft fallen. Eine solche Eigentümerschaft stellte das Ehepaar Sachs dar.
Durch die Einigung im Fall von Monets «L’homme à l’ombrelle» auf eine «faire und gerechte Lösung» mit den Rechtsnachfolgern von Carl und Margarete Sachs untermauert das Kunsthaus Zürich nun die Ernsthaftigkeit seiner Provenienzstrategie, die einen transparenten und lösungsorientierten Umgang mit problematischen Werken der Sammlung ermöglichen soll. Mit diesem Schritt schafft das Kunsthaus Zürich aber auch einen Präzedenzfall für Schweizer Museen, was die Aufarbeitung der eigenen Sammlungsbestände betrifft.
Was dies für andere Häuser bedeuten kann und um welche Dimensionen es sich handelt, davon gibt das Kunsthaus ebenfalls eine Vorstellung. Von den Untersuchungen in seiner hauseigenen Sammlung sind rund 200 Kunstwerke betroffen.