Brian Wilson war der brillante Kopf der Beach Boys. Doch mit der Band imaginierte er ein kalifornisches Paradies, in das er selbst nicht passte. Nun ist der Musiker 82-jährig verstorben.
Der beste Pop-Musiker der Welt wollte er sein. Und was seine Fähigkeiten als Songwriter, Arrangeur und Komponist betrifft, waren seine Ambitionen nicht unbegründet. Glücklich aber wurde Brian Wilson mit seinem herausragenden Talent nicht. Songtitel wie «Fun, Fun, Fun», «Good Vibrations» oder das unvollendete Album «Smile» beschilderten eine Karriere, die immer wieder in den Trübsinn führte.
Die Melancholie wurde dem Musiker zur zweiten Natur. Und war sie mitunter auch ein Sumpf, auf dem künstlerische Prätentionen keimten, so erwies sie sich auf die Dauer als Hemmnis für den Erfolg. Zumal man Brian Wilson die Frustrationen ansah. Dem oft kindlich verspielten Star mangelte es jedenfalls an Charisma.
Er mochte das Repertoire und den Sound der Beach Boys geprägt haben. Allein, für das Image seiner Band sorgten andere – hübsche Blonde wie der Sänger Mike Love etwa oder Brians Bruder Dennis am Schlagzeug. Brian Wilsons künstlerischem Furor standen auch die Fans im Wege, die durch jene fröhlichen Melodien bei Laune gehalten werden wollten, für die die Beach Boys seit der Gründung von 1961 berühmt waren. Wilson imaginierte oder verklärte ein kalifornisches Paradies, in das er selbst nicht passte. Andrerseits wollte er sich mit dem unendlichen Spass von Surfern, Liebespaaren, Stränden und Sonnenuntergängen nicht zufriedengeben.
Erfolgsrezept der Beach Boys
Brian Wilson wurde am 20. Juni 1942 in Inglewood, Kalifornien geboren. Als Junge soll er wie seine Brüder von einer Karriere als Baseball- oder Football-Star geträumt haben (vom Surfen hingegen war nie die Rede). Doch stellte er sich sportlich offenbar meist ungeschickt an; einem Freund brach er im Übereifer gar ein Bein.
Die Eltern erkannten bald seine musikalische Begabung. Der strenge, mitunter tyrannische Vater Murry Wilson setzte auf Drill und brachte ihn und seine Brüder als The Beach Boys in Stellung. Brian Wilsons Passion für Pop-Musik aber entbrannte erst, als er an seinem 16. Geburtstag ein Mehrspur-Aufnahmegerät geschenkt bekam. Mit diesem Werkzeug konnte er Experimente mit mehrstimmigen Gesängen durchführen. Und bald wurde der Harmony-Gesang in Verbindung mit Gitarren-Surf-Sounds und Rock’n’Roll zum Erfolgsrezept der Beach Boys.
Für den frühen Hit «Surfin’ USA» hatten sich die Beach Boys zwar bei «Sweet Little Sixteen», einem Song des Rock’n’Roll-Pioniers Chuck Berry, bedient. Sonst war Brian Wilson, der bald die Produktion der Alben übernahm, selten verlegen um eingängige Melodien. Das beweist der imposante Song-Output in der ersten Hälfte der sechziger Jahre.
Leichtigkeit und Leidenschaft
Künstlerisch bedeutender waren allerdings seine brillanten Arrangements. In der Verflechtung und Verdichtung der gesanglichen Register ebenso wie in der Kontrastierung der einzelnen Stimmen schaffte Wilson eine Balance von Leichtigkeit und Leidenschaft.
Mit dem mehrstimmigen Gesang als Markenzeichen waren die Beach Boys stilistisch näher bei Doo-Wop-Ensembles und Boy-Groups als bei klassischen Rockbands, in denen der Sänger zumeist als Galionsfigur fungierte.
In den mehrstimmigen Passagen thematisierte Brian Wilson, der das Singen in der Familie gelernt hatte, bisweilen zwar die Liebe zur Gemeinschaft. Dafür fehlte ihm, dem Bandleader, die Autorität eines Leadsängers. Kam noch dazu, dass er sich nie ganz wohl fühlte auf der Bühne, er litt schrecklich unter Lampenfieber. Mit dem Erfolg der Beach Boys aber nahm die Konzerttätigkeit zu, die Reisen wurden länger.
Die Beach Boys konnten Brian Wilsons klangliche Entwürfe bald nicht mehr allein realisieren. Das beweist insbesondere das Album «Pet Sounds», das 1966 erschien. Brian Wilson hatte hier alle Möglichkeiten moderner Studiotechnik ausgenutzt und den Band-Sound radikal erweitert – einerseits mit Hörnern, Streichinstrumenten und einem sogenannten Theremin, andrerseits mit Fahrradklingeln, Hupen und allerlei Geräuschschnipseln (von Hundegebell bis zu fahrenden Zügen).
Damit färbte und schichtete er den schillernden Sound ähnlich wie zuvor die einzelnen Gesangsstimmen. «Pet Sounds» erkletterte weltweit die Charts; dies trifft erst recht auf die Hit-Single «Good Vibrations» zu.
John, Paul und George in einer Person
Es gab nun keinen anderen Pop-Musiker, der Song, Sound, Arrangement und Produktion künstlerisch so frei und souverän bestimmte wie Brian Wilson. Im Vergleich zu den konkurrenzierenden Beatles fungierte er bei den Beach Boys sozusagen als John Lennon, Paul McCartney und George Martin in einer Person.
Allein, die Beatles schliefen nicht. Dass sie gewillt waren, von den Beach Boys zu lernen, zeigten 1966 die gewagten Klangexperimente auf «Revolver». Umso mehr wollte Wilson seinerseits noch einen Schritt weitergehen. Er arbeitete zusammen mit dem experimentierfreudigen Texter Van Dyke Parks an einem neuen Werk, das alles Bisherige in den Schatten stellen sollte. «Smile» war der programmatische Titel einer neuen, mehrteiligen Komposition. Sie sollte Ausdruck jener Freude sein, zu der Wilson nur noch dank bewusstseinserweiternden Drogen fand.
Der Komponist imaginierte sich die Musik als eine «teenage symphony to God». Pop sollte sich nun endgültig als Hochkultur bewähren. Abermals wurden die Musiker der sogenannten «Wrecking Band» aufgeboten – einer Formation versierter Instrumentalisten, die bereits die Ideen von «Pet Sounds» umgesetzt hatten. Um sich in Stimmung zu bringen, soll Wilson auch einen Sandkasten um sein Piano angelegt haben, in den er gelegentlich seine Füsse tauchte.
Doch während «Pet Sounds» seinen Rum zementiert hatte, besiegelte «Smile» nun gleichsam seinen Untergang. Die Bandkollegen wollten die vieldeutigen Lyrics nicht verstehen. Bei der Produktion einzelner Songs verlor man sich in endlosen Versuchen. «Heroes and Villains» etwa, in einer ursprünglichen Version zwölf Minuten lang, wurde immer wieder neu eingespielt. So verzögerte sich die Produktion. Zu allem Ungemach erschien bereits wieder ein neues Beatles-Album: «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» setzte studiotechnisch und musikalisch nochmals neue Standards.
Schliesslich legte die Plattenfirma Capitol Records das Projekt auf Eis. Brian Wilson versteckte sich ermüdet und ermattet unter seiner Bettdecke. Seine Schaffenskraft war aufgebraucht. In den nächsten Jahren träumte er zwar von weiteren Grossprojekten – mit Titel wie «A World Of Peace Must Come». Doch dem Repertoire der Beach Boys fügte er nur noch wenige Songs hinzu.
Freundliche Kritiken
Seither hat sich Brian Wilson musikalisch immer wieder einmal in Szene gesetzt – als Solokünstler oder mit den Beach Boys. 2004 erschienen endlich auch die Aufnahmen zu «Smile». Lange waren sie verschollen; einem Gerücht nach hatte sie Wilson selbst zerstört. Das Album unterstrich nochmals das Können des Songwriters und Arrangeurs. Es erntete allenthalben die freundlichen Kritiken, die es gewiss verdient. Und doch: Es bleibt ein Werk für Historiker. In das kollektive Gedächtnis des Pop-Publikums ist es nicht eingegangen. Auch wenn Brian Wilson die Musik von «Smile» und «Pet Sounds» in den letzten Jahrzehnten nochmals live aufgeführt hatte.
2017 etwa auch am Montreux Jazz Festival. Die Mitmusiker legten sich ins Zeug für den Altstar. Und wenn er auch nur noch mit Mühe singen konnte, so schien ihm die eigene Musik ein Lächeln zu entlocken. Nun ist Brian Wilson im Alter von 82 Jahren gestorben. Er wird als ein trauriges Genie der Pop-Geschichte in Erinnerung bleiben.