Die Wohlstandsinsel Schweiz leidet auf hohem Niveau. Die Ansprüche für Zusatzgelder aus der Bundeskasse sind enorm. Ohne markante Einsparungen oder höhere Steuern wird dies auf Dauer nicht gehen. Ausser man hängt den nächsten Generationen noch mehr Hypotheken an.
Die Wünsche sind unendlich gross, doch die Mittel sind begrenzt. Dieses Spannungsfeld des Lebens muss die Finanzministerin des Bundes von Berufs wegen aushalten. Zurzeit grassiert in Bundesbern die Inflation der Ansprüche wieder besonders stark. Hier nur einige Stichworte: Die AHV verschlingt laufend mehr Steuergelder; die Armee verlangt die Friedensdividende zurück, weil in Europa kein Friede mehr herrscht; eine chancenreiche Volksinitiative fordert eine massive Ausweitung der staatlichen Verbilligung der Krankenkassenprämien; und in der Klimapolitik soll es ein weiterer Ausbau der Subventionen richten, weil eine Erhöhung der effizienteren Lenkungsabgaben unpopulär ist.
Es geht nicht ohne Zahlen. Die beste Illustration liefert die AHV, der mit Abstand grösste Ausgabenposten des Bundes. Im Jahr 2000 subventionierte die öffentliche Hand die AHV mit gut 7 Milliarden Franken, 2022 waren es schon 13 Milliarden, und 2033 dürften es fast 19 Milliarden sein. Und ein weiterer massiver Ausbau steht beim kommenden Urnengang vom 3. März zur Diskussion.
Nach dem Muster der EU
Der Bundesrat hat diesen Mittwoch daran erinnert, dass ohne Sanierungsmassnahmen ab 2025 jährliche Defizite von 2,5 Milliarden oder mehr zu erwarten sind. Er beschloss «Sparmassnahmen» für 2 Milliarden Franken. Das Bezeichnende daran: Glaubt man der Regierung, war das eine schmerzlose Operation – eine Einschränkung staatlicher Leistungen sei nicht zu erwarten. Denn es ging vor allem um Buchhalterkniffe, Reduktion von Reserven in unterstützten Institutionen und um Aufschiebungen.
Ins Auge sticht der grösste «Sparposten» von rund einer Milliarde Franken: Der Bundesrat deklarierte die Kosten für die Ukraine-Flüchtlinge für 2025 erneut als «ausserordentlichen Aufwand», obwohl es bereits das vierte Jahr mit solchen Kosten sein wird. Damit hat die Regierung nicht nur die ordentlichen Regeln der Schuldenbremse locker ausgehebelt, sondern einen weiteren Schritt getan, die Schuldenbremse ad absurdum zu führen. Bis 2027 soll noch ein Teil dieser Kosten als ausserordentlich verbucht werden.
Einen ähnlichen Handstreich gab es im vergangenen Jahr auch in Sachen SBB, als die Politik einen Bundeszuschuss für die Bahn von knapp 1,2 Milliarden Franken dreist als «ausserordentliche» Ausgabe deklarierte. Die Schuldenbremse lässt im Prinzip unbegrenzt hohe «ausserordentliche» Ausgaben zu.
Die Schweiz scheint der EU nachzueifern. Die EU-Haushaltsregeln für die Mitgliedstaaten wurden so oft missachtet, dass sie am Ende niemand mehr ernst nahm. Die Finanzminister der EU haben sich jüngst im Prinzip auf neue Regeln geeinigt. Ob diese ernster genommen werden, ist abzuwarten.
Für jeden zusätzlichen Anspruch an die Schweizer Bundeskasse lassen sich Begründungen finden. Aber wenn die Mehrheit in Parlament und Volk zusätzliche Ansprüche durchsetzt, gibt es im Prinzip nur drei Möglichkeiten: Man spart an anderen Orten, erhöht die Steuern oder die Bundesschulden.
Der bequemste Weg
Die ersten zwei Varianten sind redlich. Sie entsprechen dem Prinzip «Wer entscheidet, soll die Konsequenzen tragen». Aber genau deshalb sind sie unpopulär: Sie führen zu Belastungen hier und heute. Viel bequemer ist der dritte Weg: die Verschiebung von Lasten auf kommende Generationen. In der AHV funktioniert dies bereits glänzend. Aber dummerweise gilt bei den Bundesfinanzen im Unterschied zur AHV die erwähnte Schuldenbremse – exakt zwecks Verhinderung des bequemsten Wegs.
Doch gibt es zwei bequeme Wege im Umgang mit der Schuldenbremse: Man missbraucht wie vom Bundesrat vorexerziert die Ventilklausel der Schuldenbremse durch eine exzessive Definition der «ausserordentlichen» Ausgaben, oder man lockert die Regeln offiziell.
Die Linke will die Schuldenbremse seit langem offiziell lockern. Die Grünen haben diese Woche dazu drei neue Vorstösse angekündigt. Die geltenden Regeln sind relativ streng: In normalen Zeiten verhindern sie nicht nur einen Anstieg der Bundesschulden, sondern sie senken in der Tendenz die nominalen Schulden in absoluten Zahlen und erst recht gemessen an der Wirtschaftsleistung. Eine nachhaltige Finanzpolitik wäre auch bei einer gewissen Lockerung noch möglich.
So hat der Bund seine Bruttoschulden seit Einführung der Schuldenbremse von 2003 von rund 124 Milliarden auf knapp 100 Milliarden Franken reduziert. Doch die Corona-Krise führte zu vielen «ausserordentlichen» Bundesausgaben und einer Erhöhung der Schulden auf wieder über 120 Milliarden. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist der Schuldenstand allerdings immer noch deutlich tiefer als 2003.
Tanz um das Sonderkonto
Der Bund führt ein Sonderkonto für «ausserordentliche» Geldflüsse. Gemäss normalen Regeln wäre ein Negativsaldo dieses Kontos innert sechs Jahren abzubauen. Wegen der hohen Corona-Schulden beschloss aber das Parlament, den Negativsaldo langsamer (bis 2035) abzubauen, was mithilfe von Nationalbank-Ausschüttungen und ungeplanten Überschüssen kraft nicht gebrauchter Budgetkredite schmerzfrei geschehen sollte. Doch der Negativsaldo nimmt vorderhand nicht ab, sondern zu – wegen neuer «ausserordentlicher» Ausgaben und des vorläufigen Ausbleibens von Nationalbank-Ausschüttungen.
Der Saldo des Kontos könnte nach geltendem Stand von knapp 23 Milliarden im Jahr 2022 auf knapp 27 Milliarden im Jahr 2025 wachsen. Ein schmerzfreier Abbau bis 2035 ist damit unwahrscheinlich geworden. Das Parlament dürfte in einem solchen Szenario den Abbau mit einer Verlängerung der Frist verzögern, weil es das Bequemste ist. Via Gesetzesänderung lässt sich die Sache beliebig lange verzögern.
Die Corona-Krise und die Neigung der Politik zum Missbrauch der Möglichkeit unbegrenzter «ausserordentlicher» Ausgaben illustrieren, weshalb die tendenziell restriktiven Regeln der Schuldenbremse für normale Zeiten keine dumme Idee sind.
Immerhin wäre eine offizielle Lockerung der Regeln der Schuldenbremse ehrlicher als die Fortsetzung des derzeitigen Kurses mit einer weiteren Expansion des Begriffs «ausserordentlich» zum Beispiel auf Ausgaben für Armee, AHV, Ukraine-Hilfen oder Klima-Subventionen. Doch ob inoffizielle oder offizielle Lockerung: In beiden Fällen geht es im Kern um eine Lastenverschiebung von heute auf die Steuerzahler von übermorgen.