Loro Piana feiert leise seinen 100. Geburtstag – mit dem Begriff «Quiet Luxury» ist das italienische Label in jüngster Zeit noch bekannter geworden. Das Augenmerk des Hauses liegt auf den Materialien, die unweigerlich dazu führen, dass man mit ihnen auf Tuchfühlung gehen will.
Gäbe es eine Art Blindverkostung mit Mode, in der man Kleidung nur danach beurteilt, wie sie sich anfühlt – Loro Piana läge ganz weit vorne. Die Cashmerepullover sind wolkenweich, ein Schal aus Vicuña ist flauschig-zart wie ein Kranz Pusteblumen, selbst das Denim wird hier mit Cashmere verwoben, damit es sich besser anfühlt auf der Haut. In Sachen Haptik kann da kaum etwas mithalten, denn genau das ist die Essenz der italienischen Marke: Der Touch ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal, die unverwechselbare Visitenkarte.
Wenn im Showroom in Mailand zweimal im Jahr die neuen Kollektionen vorgestellt werden, erinnert die Szenerie deshalb unweigerlich an Streichelzoo. Jeder Mantel, jedes Hemd, jeder Cardigan will angefasst werden – und wird angefasst! Mit dem kleinen Nebeneffekt, dass am Ende nicht nur der Träger oder die Trägerin selbst gern mit den Fingern über das Material fährt, sondern auch andere immer wieder auf Tuchfühlung gehen wollen. Die hauchdünnen Fäden, sie verbinden hier sinnbildlich.
Verzicht auf Logos
Die Familie Loro Piana aus dem Norden Triveros hatte schon Anfang des 18. Jahrhunderts mit Wolle gehandelt, aber erst Pietro Loro Piana gründete 1924 das heutige Unternehmen, das sich vor allem nach dem Krieg einen Namen als Lieferant für Cashmere in der wachsenden Haute Couture machte. In den siebziger Jahren übernahmen die Nachkommen Sergio und Pier Luigi Loro Piana das Geschäft und erweiterten das Angebot um eigene Kollektionen und Luxusprodukte. Schon damals wurde bewusst auf Logos verzichtet, die Qualität sollte das Aushängeschild sein.
Cashmere und Babycashmere wurden von Ziegen aus der Mongolei und der Inneren Mongolei gewonnen. Ausserdem wurde Vicuña eingeführt: die Faser jener kleinen Kamelart, die wild in den Anden in einer Höhe von über 4000 Metern lebt und deren Fell einerseits flauschig weich ist und gleichzeitig unglaublich warm hält.
Für die Inka-Bevölkerung war die «Faser der Götter» nur für die Könige bestimmt. In der modernen Distinktionsgesellschaft wird sie heute vor allem von den Superreichen und Ultradiskreten getragen. Wladimir Putin, der gerne vorzeigt, was gut und teuer ist, gehört genauso zu den Fans der Marke wie Jeff Bezos, Angelina Jolie oder Bernard Arnault, der 2013 schliesslich sogar die Mehrheit der Anteile kaufte und Loro Piana seinem Luxuskonzern LVMH einverleibte.
Und das war noch lange vor dem Quiet-Luxury-Trend. Durch Serien wie «Succession» lernten auch die, die nicht dazugehörten, wie sich die oberen Zehntausend vorzugsweise kleiden: kaum Logos, kein auffälliges, möglichst monochromes Design, dafür ultimatives Understatement und maximale Qualität. Vor allem Jeremy Strong alias Kendall Roy trug häufig Loro Piana, etwa einen massgeschneiderten Wildlederblouson in Staffel 4. Die Kostümdesignerin Michelle Matland beschrieb den Stil solcher Männer einmal wie folgt: «Wenn es möglichst teuer ist, muss es gut sein.»
Kleidung von Loro Piana, The Row, Hermès oder Brunello Cucinelli ist in den letzten Jahren zu einer diskreten Rüstung geworden, die ihre Träger ein Stück weit unangreifbar macht. Wenig überraschend, dass Gwyneth Paltrow deshalb ebendiese Marken wählte, als sie vor eineinhalb Jahren wegen eines Skiunfalls vor Gericht erscheinen musste. Die Bilder von ihr in einem crèmefarbenen Loro-Piana-Rolli (um 1300 Franken) gingen um die Welt. Plötzlich berichtete selbst der «Spiegel» von der Sehnsucht nach dem Old Money Style und jungen Menschen, die so aussehen wollten wie reiche Menschen, die nicht reich aussehen wollen.
Wer daraufhin einmal neugierig in einer Loro-Piana-Boutique vorbeischaute, sah dort sehr viele Kunden, aber vergleichsweise wenig Ware. 2000-Franken-Pullover und 1000-Franken-T-Shirts flogen förmlich aus den Regalen. Modeleute finden das ästhetisch bisweilen ein bisschen langweilig, Kritiker halten die Preise für dekadent, Fans sagen dazu nur, dass es nach einem Mal tragen schlicht kein Zurück mehr gebe.
Das «André»-Hemd (links) und die «Horsey»-Jacke gehören zu den ikonischen Kleidungsstücken des Hauses.
Dieses Jahr feiert die Marke ihren 100. Geburtstag, betont leise, versteht sich. Im November wird es ein «take over» bei Harrods in London geben, in Mailand wurde im September die bislang umfangreichste Kollektion präsentiert. Letzteres soll jedoch kein Geschenk ans eigene Jubiläum sein, sondern nur die wachsende Nachfrage bedienen. Zahlen werden zwar nicht veröffentlicht, aber ganz offensichtlich gibt es sehr viele Kunden, die im Winter nicht mehr nur ein Double-faced-Cashmerecape, sondern auch eine Skijacke von Loro Piana tragen möchten und im Sommer zum Loafer gleich noch den Sneaker nehmen. Sogar Fine Jewelry bietet Loro Piana mittlerweile an.
Was Kunden immer wieder erwähnen, ist, dass ihnen die Marke ein doppelt gutes Gefühl vermittele. Nicht nur weil sich die Stoffe so angenehm tragen, sondern weil sie der Firma glauben, die Tiere und ihre Zulieferer gut zu behandeln beziehungsweise fair zu bezahlen. Auch hier gilt: Wenn es möglichst teuer ist, muss es gut im Sinne von vorbildlich sein. Tatsächlich hat sich Loro Piana seit 2019 für neue Zertifizierungsprotokolle insbesondere in China eingesetzt, um eine «verantwortungsvolle Lieferkette» für Cashmere zu gewährleisten, wie es heisst. Die «Loro Piana method» beinhaltet auch den Aufbau einer eigenen Herde mit lokalen Partnern, um der qualitativen Verschlechterung des Cashmerevlieses entgegenzuwirken. Als ein Bericht des Nachrichtendienstes Bloomberg im März die Produktionsbedingungen von Vicuña in Peru infrage stellte, verteidigten die Bauern vor Ort umgehend die Firma und ihre Geschäftsbeziehungen. Negative Auswirkungen auf die Verkäufe soll der Report angeblich nicht gehabt haben.
Was die Marke ebenfalls anders macht als andere: Es gibt keinen Kreativdirektor. Eine Zeitlang kursierten Gerüchte, Phoebe Philo würde zu Loro Piana wechseln. Die Engländerin hat aber bekanntlich mittlerweile – mithilfe von LVMH – ihre eigene Marke gegründet, und der CEO von Loro Piana, Damien Bertrand, bekräftigte kürzlich gegenüber der «Financial Times» noch einmal, dass es keinerlei Pläne gebe, einen Kreativdirektor einzustellen. Jedenfalls niemanden, den man nach aussen hin kommunizieren würde. Auch das gehört zum stillen Image der Marke. Keine Logos, kein Designer, keine Zahlen – kein Grund, daran etwas zu ändern.