Und weitere Nebelpetarden aus den Diskussionen um die AHV – auch solche von rechts.
An Ideen fehlt es nicht. Seit das Volk Anfang März beschlossen hat, eine 13. AHV-Rente einzuführen, überbieten sich Politiker aller Lager mit kreativen Vorschlägen. Und nun das: Der Bundesrat hat am Mittwoch beschlossen, die denkbar langweiligsten und schmerzhaftesten Massnahmen zu ergreifen. Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider plant, bereits 2026 die Lohnbeiträge zu erhöhen und allenfalls auch die Mehrwertsteuer. Gesamthaft will sie für die AHV 3,9 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr mehr einziehen.
Die Reaktionen sind teilweise heftig. Ist der Bundesrat komplett phantasielos – oder gar bösartig? Die Unterstellung macht die Runde, die Regierung wolle sich am unbotmässigen Volk rächen, das sich erfrecht hat, die AHV entgegen der Empfehlung der Obrigkeit auszubauen. Wieso nimmt der Bundesrat nicht einen der vielen Vorschläge auf, die für die Bürger weniger spürbar wären?
Leider nur Umverteilung
Eine besonders reizvolle Alternative hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) in die Welt gesetzt. Sie ist so schön, dass sie von vielen Medien wohlwollend aufgenommen wurde. Sogar in der FDP findet sie Anklang, wie ein Vorstoss von Nationalrat Peter Schilliger zeigt. Die Idee geht so: Die Kantone sollen einen Teil der Mehrkosten übernehmen, weil sie wegen der 13. Rente höhere Steuereinnahmen erzielen werden.
Das leuchtet auf Anhieb ein, die Pensionierten müssen dem Fiskus höhere Steuern abliefern, wenn ihre Renten steigen. Nationalrat Schilliger fordert bereits: «AHV-Steuergeschenke gehören dem Bund.» Laut dem SGB werden Kantone und Gemeinden jährlich 600 bis 700 Millionen Franken mehr einnehmen. Damit liesse sich zumindest ein Teil der 13. Rente bezahlen.
Wenn die Rechnung aufginge. Aber leider ist sie unvollständig: Die zusätzlichen Renten, welche die Pensionierten ab 2026 versteuern werden, fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Produkt simpler Umverteilung. Am deutlichsten wird das, wenn man von einer Finanzierung über zusätzliche Lohnbeiträge ausgeht, wie sie der Bundesrat vorsieht (und wie sie notabene gerade auch die Gewerkschaften fordern): In diesem Fall steigen zwar die Einkommen der Rentner dank der 13. Rente.
Im Gegenzug sinken aber die steuerbaren Einkommen der Erwerbstätigen, weil sie höhere Lohnabzüge abliefern müssen. Dasselbe gilt für die Gewinnsteuern der Firmen, da sie die Lohnbeiträge bei den Steuern ebenfalls abziehen können.
Mehr Frührentner – mehr Zuwanderung?
Ist die Rechnung des SGB Hokuspokus? Der Chefökonom Daniel Lampart wehrt sich: Es sei falsch, die 13. Rente isoliert zu betrachten. Vielmehr müsse man berücksichtigen, dass die Lohnbeiträge an andere Sozialversicherungen in den letzten Jahren gesunken seien und in den nächsten Jahren vor allem bei der Arbeitslosenversicherung weiter sinken dürften. Deshalb werde die Erhöhung für die 13. Rente weniger stark ins Gewicht fallen oder im besten Fall gar nicht.
«Die Leute werden davon kaum etwas merken.» Lampart betont zudem, es stehe nicht fest, dass die höheren Renten tatsächlich über Lohnbeiträge finanziert würden. Werde stattdessen die Mehrwertsteuer erhöht, könnten die Berufstätigen gar nichts von den Steuern abziehen: Dann stiegen die Steuereinnahmen bei den Kantonen markant.
Kurzfristig mag das stimmen, mittelfristig aber bremst eine höhere Mehrwertsteuer den Konsum und das Wirtschaftswachstum. Irreführend ist jedenfalls die Idee, die 13. Rente würde sich selbst finanzieren – ja sie würde sogar den Wohlstand steigern. Dazu müssten wir insbesondere mehr arbeiten. Zu erwarten ist jedoch eher das Gegenteil: Dank den höheren Renten können sich künftig mehr Personen eine Frühpensionierung leisten, was den Fachkräftemangel verschärfen dürfte. Dann hat die Schweiz die Wahl: weniger Wohlstand oder mehr Zuwanderung.
SP: Sind Junge keine Menschen?
Auch die SP versucht nach Kräften, die 13. Rente schönzurechnen und ihre Folgekosten zu verharmlosen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Rhetorik am Mittwoch. Kaum hatte der Bundesrat erklärt, dass er die Lohnabzüge und vielleicht auch die Mehrwertsteuer erhöhen wolle, jubelte die SP in ihrer Stellungnahme: «Die 13. AHV-Rente wird ab 2026 die Kaufkraft der Menschen stärken.» Das stimmt, sofern man findet, nur Pensionierte seien Menschen. Bei allen anderen wird die Kaufkraft geschmälert.
Eine weitere Nebelpetarde von links hat der Gewerkschaftspräsident und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard via «Blick» abgefeuert. Er greift den Bundesrat an, der den Bundesbeitrag an die AHV vorübergehend senken will: «Was mich ärgert: Für die Armee macht der Bundesrat Milliarden zusätzlich locker, aber für die AHV reut ihn das Geld.»
Tatsächlich sollen die jährlichen Ausgaben für die Armee stark steigen: von heute 5,7 auf 7,8 Milliarden Franken bis 2030. Doch auch bei der AHV ist trotz dem Eingriff, den der Bundesrat vorsieht, eine ähnliche Steigerung geplant, allerdings auf deutlich höherem Niveau: von 10,1 auf 12 Milliarden Franken.
SVP: Zwei Drittel des Bundespersonals entlassen?
Die emotionale Diskussion um die AHV treibt nicht nur links interessante Blüten. Die SVP bekräftigte am Mittwoch ihre Forderung, die 5 Milliarden Franken für die 13. Rente müssten durch Einsparungen in den Bereichen Asyl, Entwicklungshilfe, Kultur und Bundespersonal finanziert werden. Dasselbe verlangt sie zur Tilgung der drohenden Defizite beim Bund von 4 Milliarden.
Obendrein will die Volkspartei das Armeebudget noch stärker erhöhen als der Bundesrat, 2030 liegt die Differenz bei 1,6 Milliarden. Macht total gut 10 Milliarden. Für die Bereiche, in denen die SVP sparen will, gibt der Bund total etwa 14 Milliarden aus. Man müsste also im grossen Stil Bundesangestellte entlassen oder die Entwicklungshilfe massiv reduzieren, um so ans Ziel zu kommen.
FDP: Ist der «Bankrott» plötzlich abgesagt?
Aufgefallen ist auch die FDP, die seit Annahme der 13. Rente einen ungewöhnlich scharfen Kurs fährt. Auch sie verlangt Einsparungen wie die SVP. Darüber hinaus argumentieren die Freisinnigen, es eile nicht. Man müsse nicht sofort Zusatzeinnahmen für die AHV beschliessen, sondern könne die nächste grosse Reform abwarten. Diese will der Bundesrat 2026 präsentieren, womit sie inklusive Übergangsfristen auch im besten Fall erst nach 2030 Wirkung entfalten dürfte.
Anders tönte die FDP im Vorfeld der Abstimmungen vom 3. März, als sie noch für die Initiative für ein höheres Rentenalter kämpfte, die schliesslich scheiterte. Damals erklärte die Partei, die AHV stehe «vor dem Bankrott». Nichtstun führe zu ungedeckten Schulden zulasten der kommenden Generationen. Als die FDP so argumentierte, konnte man noch davon ausgehen, dass die AHV bis 2030 sicher finanziert ist.
Heute weiss man mehr. Wegen der 13. Rente kippt die AHV-Umlagefinanzierung bereits 2026 ins Minus und häuft wachsende Defizite an, 2030 fehlen bereits 3,7 Milliarden. Heute aber findet die FDP: «Überstürztes Handeln ist nicht angebracht.»
Mitte: Für Ehepaare ist plötzlich Geld da?
Bleibt noch die Mitte-Partei, die im Parlament den Ausschlag geben kann. Sie dürfte pragmatisch Hand bieten für eine Finanzierung über höhere Lohnprozente und Steuern. Die Widersprüche der Mitte im Rentendossier liegen schon so lange offen zutage, dass man sich fast daran gewöhnt hat: Die Partei lehnte zwar die 13. Rente ab, gleichzeitig will sie aber mit einer eigenen Initiative die Ehepaarrenten erhöhen. Das würde die AHV 3 Milliarden Franken im Jahr kosten, die sie ebenso wenig hat wie das Geld für die 13. Rente.
Man darf gespannt sein, welche Volten die Diskussion über die Finanzierung der AHV noch bringt. Stand heute sieht es so aus, als werde sich eine Mitte-links-Allianz bilden. Das wäre erfreulich für Ehepaare. Für die Jungen weniger.