Laurence Rasti, / Fotostiftung Schweiz, Ohne Titel, aus der Serie «There Are No Homosexuals in Iran», Türkei, 2014
Zwei Menschen, die sich lieben, sind die Antithese zum Inklusion-Dogma unserer Zeit. Sie bilden eine Welt, zu der niemand Zutritt hat. Das fasziniert und provoziert gleichermassen.
Wer will sich noch auf einen einzigen Menschen einlassen? Vieles spricht gegen das Leben als Paar. In der «Paarschaft», wie Max Frisch seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann genannt hat, sehen viele einen Freiheitsentzug.
Ist denn nicht schon die Sprache abschreckend? Man «bindet sich» an jemanden: So viele andere mögliche und womöglich passendere Partner werden dadurch ausgeschlossen. Und die Gebundenen in ihrer freien Entfaltung eingeschränkt. «Er hat mich an der persönlichen Entwicklung gehindert», heisst es dann spätestens beim Paartherapeuten als Vorwurf an den Menschen, der düster neben einem sitzt.
Das Dasein als Paar steht dem heutigen Individualismus entgegen. Sogar heiraten tut man sich selber – «Sologamie» heisst das feierliche Ritual, bei dem man sich selbst das Jawort gibt. Dass man sich am nächsten steht, zeigt sich auch am Trend zum Alleinwohnen. Man will mit niemandem den Kühlschrank teilen, die Zahnpaste oder das Bett. Die Anwesenheit eines andern mit eigenen Ansprüchen stört nur.
Das Model Linda Evangelista hat es kürzlich so gesagt: «Ich will nicht mehr neben jemandem schlafen. Ich will niemanden mehr atmen hören.»
Oder dann gehört die Paarschaft wenigstens aufgebrochen. In progressiven urbanen Kreisen ist die offene Beziehung angesagt. Damit gibt man ein Statement ab gegen Eifersucht und Besitzdenken. Solche Gefühle als toxische Begleiterscheinung der Paarbeziehung will man nun überwinden. Man lässt den anderen frei für Sex mit anderen.
Die Polyamorie, die Vielfachliebe, ist noch grosszügiger. Neben der Sexualität teilt ein Paar hier auch die Liebe zu einem Dritten oder Vierten, und zwar gleichwertig. Polyamorie ist eine inklusive Liebesform. Sie soll die Welt gerechter machen.
Die kleinste soziale Einheit
Dennoch bedeutet all dies noch nicht das Ende des Paars. Es gibt die Paarschaft weiterhin, sie wird ersehnt und eingegangen, es wird geheiratet und die Partnerschaft eingetragen. Und vielleicht sind jene besonders mutig, die sich zueinander bekennen. Die sich einlassen, indem sie sich ausliefern. Sie tun es – obwohl wenige das ganze Leben mit ein und derselben Person verbringen, obwohl es schwieriger geworden ist, in einem anderen Menschen die sprichwörtlich «bessere Hälfte» zu sehen.
Zwei Menschen, die sich lieben, sind die Antithese zum Inklusion-Dogma unserer Zeit. Sie kreisen allein auf ihrem Planeten. Das gilt vor allem für die erste Zeit der Verliebtheit. Sie gleichen einer eingeschworenen Gemeinschaft, zu der niemand sonst Zutritt hat. Sie feiern sich als unzertrennbare Einheit, trinken aus demselben Champagnerglas, findet im Nachtzug auf einer noch so schmalen Pritsche Platz.
Ein solches Paar hat in seiner Selbstbezogenheit etwas Anmassendes. Es ist unvernünftig im Glauben an die einzigartige, unverbrüchliche Liebe – so hat vor uns noch niemand geliebt, ist es überzeugt. Einwürfe zwecks Ernüchterung bewirken das Gegenteil: Das entflammte Paar sperrt die Welt noch stärker aus.
Es verhält sich subversiv, weil es immer auch etwas ausserhalb der gesellschaftlichen Konvention steht. Es will gerade nicht sein wie alle. Diese Opposition gehört zum Konzept der romantischen Liebe. Das Paar protestiert mit seiner Selbstbezogenheit, seiner Unvernunft und dem Exzess gegen die bürgerliche Ordnung. Es schert aus.
Dass sie sich in den Dienst der Gesellschaft stellen, kann man von Schwerverliebten jedenfalls nicht erwarten. Sie sind die asozialste soziale Einheit.
Der voyeuristische Blick
Ein Liebespaar, das sich öffentlich küsst und umschlingt, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Welch Selbstvergessenheit! Man schaut hin, und man schaut meistens verschämt und schnell wieder weg, als störte man das Paar bei seinem intimen Akt. Selbst wenn man Bilder anschaut, auf denen dieser Moment zwischen zwei Menschen festgehalten ist, kann einen das Gefühl überkommen, zum Voyeur zu werden.
Die Aufnahmen, die die Fotostiftung Winterthur in seiner aktuellen Ausstellung «Paare» zeigt, konfrontieren den Betrachter, die Betrachterin mit dieser Ambivalenz: hinschauen zu müssen, aber eigentlich dazu nicht berechtigt zu sein.
Paare in der Fotografie
Die auf diesen Seiten gezeigten Bilder sind in der Ausstellung «Paare / Couples» der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen (bis 6. Oktober 2024). Dazu erscheint das gleichnamige Buch des Filmemachers Iwan Schumacher und von Peter Pfrunder, dem scheidenden Direktor der Fotostiftung (Edition Patrick Frey).
Da ist das Paar, ausgestellt hinter der Windschutzscheibe, das sich zu einer Zärtlichkeit hinreissen lässt, wobei es die Frau ist, die ihn jetzt nicht nicht küssen kann (Foto Kurt Caviezel). Das nackte Paar unter der Decke, bei dem man sich das Vorher vorstellt (Foto Iwan Schumacher). Dabei wird der Blick immer noch stärker angezogen von zwei Männern oder zwei Frauen, die ineinander versunken sind. Die Soldatin, die sich zu ihrer Freundin hinunterbeugt, könnte auch ein Mann sein, so denkt man (Foto Laurence Rasti). Was zeigt: Gleichgeschlechtliche Liebe ist noch nicht normal.
Nerviger Pärchen-Groove
Unbeteiligte, also alle anderen als zwei innig Verliebte, fühlen sich zu Recht ausgeschlossen. Das vorgezeigte Paarglück kann einem auf die Nerven gehen. Die beiden kreisen so um sich selbst, dass es etwas Abweisendes hat. Alles wollen sie zusammen machen. Alleinstehende sprechen vom «Pärchen-Groove». Nett gemeint ist das nicht.
Ambivalente Gefühle diesbezüglich löst gerade Taylor Swift bei ihren Fans aus. Die einen sind berührt und begeistert von Swifts Beziehung mit Travis Kelce, dem Footballer der Kansas City Chiefs. Sie heissen diese Liebe gut, indem sie die beiden Namen zu «Traylor», «Tayvis» oder «Swelce» verschmelzen. Diese Anerkennung als Paar erhielten auch Brad Pitt und Angelina Jolie als «Brangelina». Aus Ben Affleck und Jennifer Lopez machen ihre Bewunderer «Bennifer».
Andere sind über die Liebschaft ihres Idols Taylor Swift nicht froh. In den sozialen Netzwerken klingen viele User, als hätte Swift sie betrogen. So wütend tönen sonst enttäuschte Liebhaber.
Swift wird unterstellt, sie führe diese Beziehung, damit sie Material für ihr nächstes Album habe, wo sie die Trennung dann zu traurigen Songs verwerten werde. Die Sängerin sei dem Sportler intellektuell weit überlegen, heisst es weiter. Dass sich das Paar um Privatheit bemüht, scheint die Fans noch mehr zu provozieren. Denn sie bleiben aussen vor.
Dorthin hat Travis Kelce die Öffentlichkeit noch einmal verwiesen, als er nach einem Match vor den Medien sagte: «Solange wir glücklich sind, können wir nicht irgendeinem Lärm von ausserhalb zuhören – das ist alles, was uns wichtig ist.»
Vielleicht provoziert manche wiederum, dass Swift und Kelce ein sehr heterosexuelles Paar sind. Sie blond, schlank, mit knallrotem Mund. Er gross, bärtig, muskulös. Frau liebt Mann, Mann liebt Frau – mit ihrer Sexualität und ihrem Geschlecht verkörpern sie die Norm. Wenn sie sich nach einem Football-Spiel umarmen, sind Millionen von Augen auf die beiden gerichtet. Sind sie dabei auch ganz bei sich?
Als wäre man ein halber Mensch
Alte Paare wecken weniger Schaulust, dafür rührt ihr Anblick umso mehr. Man bewundert diese Paare für ihre Ausdauer und Loyalität. Selbst die Paare, die im Bus statt nebeneinander lieber getrennt hintereinander am Fenster sitzen, damit sie hinausschauen können, gehören unverbrüchlich zusammen, so ahnt man. Sie haben sich nicht mehr viel zu sagen, gerade auch, weil sie sich blind verstehen.
Langjährige Paare beginnen sich in Mimik und Gestik sogar zu gleichen. Das Paar im Coffee Shop auf dem Bild von Iwan Schumacher blickt ähnlich schicksalsergeben drein, um den Mund zeigt es dieselben Züge. Es ist klar, dass der Mann den Rechnungsbetrag für den Kaffee prüft und bezahlen wird. Ohneeinander wären sie verloren, wie in jeder Beziehung mit strenger Aufgabenteilung, was 1972 noch eher der Fall war, als das Bild entstand. Er macht die Finanzen, sie vielleicht den Znacht.
Paare, die das Leben miteinander verbracht haben, sind verloren, wenn der eine stirbt. Oft hört man von verwitweten Leuten: Es sei, als gebe es sie nur noch zur Hälfte, der andere fehle so sehr. Das Schriftstellerpaar Paul Auster und Siri Hustvedt war zweiundvierzig Jahre verheiratet. Als er Ende April starb, bedankte sich Hustvedt auf Instagram bei ihren Fans «für die netten Gedanken für mich, die nun ohne ihn leben muss».
Ein einfacher Satz, dessen Bedeutung wohl nur erfasst, wer das selber erlebt. Die körperliche Bezogenheit mag sich bei vielen älteren Paaren darauf beschränken, dass sie ihm den Hemdkragen richtet und er ihre Hand wegschiebt. Aber man hat sich so aneinander gewöhnt, dass nach dem Tod des einen die Leere dröhnt – sowohl im Inneren des Hinterbliebenen wie im Haus.
Das Fehlen kann so stark empfunden werden, dass man Täuschungen erlebt. Joan Didion, die eine Hälfte eines anderen amerikanischen schreibenden Paars, hat das Buch über diesen Zustand «Das Jahr magischen Denkens» genannt. Sie war mit John Gregory Dunne vierzig Jahre verheiratet. Kurz nach seinem plötzlichen Herztod dachte Didion, dass sie das Vorgefallene mit ihm besprechen möchte. Wie alles, was sie einander erzählt, worüber sie geredet, diskutiert und gestritten haben.
Wer zu zweit durchs Leben geht, muss deshalb ständig damit rechnen, dass dieser Zustand von einem Moment auf den andern enden könnte. Nicht nur, weil der eine vielleicht aus dem Bund austreten möchte, um einen neuen Bund einzugehen. Sondern auch durch den natürlichen Lauf, auf den man keinen Einfluss hat.
Zusammengehören
Der drohende Verlust ist also immer Teil der Liebe. Doch wenn man sich lebensverändernd verliebt, sind solche Gedanken weit entfernt. Dabei endet die Liebe auch nicht immer tragisch. Sie endet oft genug banal.
Wie die älteren Paare haben sich auch jüngere oft nicht viel zu sagen, so jedenfalls mutet das Bild an, das sie von sich abgeben. Sie sitzen zusammen im Restaurant, im Zug oder der Wartehalle und blicken gebannt auf das kleine Gerät in ihren Händen. Seit es das Mobiltelefon gibt, buhlt nun etwas Drittes in einer Beziehung um die Aufmerksamkeit des andern. Von aussen besehen, gewinnt es meistens.
Das Handy trennt Paare. Es macht sie selbstvergessen. Wie damals, als sie nur Augen füreinander hatten und es sie nicht interessierte, was andere über sie denken. Nur sind sie nun nicht mehr als Zweiheit ganz bei sich. Vielmehr scheinen sie auch den Menschen neben sich vergessen zu haben. Zweisamkeit wird zu Einsamkeit.
Aber wer weiss das schon. Vielleicht ist auch diese Deutung ungenügend. Jedes Paar teilt eine Welt, zu der Unbefugte keinen Zutritt haben. Also 8 Milliarden minus zwei.