Und wieder bleibt alles beim Alten. Die beiden freien Sitze in der St.Galler Exekutive bleiben bei der SVP und der SP. Die SVP scheitert mit ihrem Angriff auf den zweiten Sitz der Sozialdemokraten. Unter Druck gerät nun der Freisinn.
Es war eine Aufholjagd, wie sie der Kanton selten gesehen hat: Im Kampf um die beiden freien Sitze in der St.Galler Regierung lag SP-Kandidatin Bettina Surber nach dem ersten Wahlgang 10 000 Stimmen hinter den beiden SVP-Kandidaten Danuta Zemp und Christof Hartmann.
In den vergangenen Tagen warf Surber noch einmal alle Kräfte in den Wahlkampf. Sie inszenierte sich in den Sozialen Medien, weibelte durch den Kanton, war dauerpräsent in der Öffentlichkeit. Die Mobilisierung funktionierte. Die 42-Jährige sicherte der SP am Sonntag den zweiten Sitz und tritt damit die Nachfolge von Fredy Fässler an.
Die SVP hatte sich deutlich mehr erhofft. Zum ersten Mal seit Jahren lag ein zweiter Sitz in Griffweite. Nun zieht sie einzig mit dem 48-jährigen Hartmann in die Regierung ein. Dass sich Zemp geschlagen geben muss, hat eine gewisse Logik. Ihr politischer Leistungsausweis tendiert gegen null, ihre Bekanntheit verdankt sie allein ihrer Zeit als Kantonsärztin während der Pandemie.
In die SVP trat Zemp erst vor wenigen Monaten ein, im Wahlkampf zeigte sie eine gewisse politische Unberechenbarkeit. Ihre hohe Stimmenzahl im ersten Wahlgang verdankte sie der starken Mobilisierung von SVP-Wählern, die am 3. März wegen der 13. AHV-Rente an die Urne gingen.
Der Bankkundenberater Hartmann politisiert dagegen seit Jahren im Kantonsrat. Neben der schwierig einschätzbaren Zemp wirkte er damit wie ein sicherer Wert. Stimmen gekostet hat Zemp auch die Parteilose Sarah Bösch, die sich als Dauerkandidatin in den vergangenen Jahren rechts der Mitte eine Wählerschaft aufbauen konnte.
Den Tabubruch gewagt
Surbers Erfolg im zweiten Wahlgang ist nicht nur ein Ad-hoc-Effort, sondern das Resultat ausdauernden politischen Wirkens. Die Juristin ist ein politisches Schwergewicht im Kanton. Als langjährige Fraktionschefin gehört sie zum innersten Machtzirkel der Partei, sie zählt zu den bekanntesten Figuren der St.Galler Politik.
Das einst freisinnige «St.Galler Tagblatt» wagte Anfang April den Tabubruch und gab eine Wahlempfehlung für Hartmann und Surber ab. Der Kanton St.Gallen sei ohnehin durch und durch bürgerlich. «Es wäre unklug, das links-grün-liberale Lager, das auf knapp 30 Prozent Wähleranteil kommt, noch stärker in die Opposition zu drängen.» Um die Rechnung auszugleichen, müsse der Freisinn bei der nächsten Gelegenheit einen Sitz an die SVP abgeben.
Damit bleibt die seit 2008 bestehende Parteienkonstellation in der Regierung unverändert. Die fünf Bisherigen, Marc Mächler und Beat Tinner (beide FDP), Bruno Damann und Susanne Hartmann (beide Mitte) und Laura Bucher (SP), schafften die Wiederwahl wie erwartet im ersten Wahlgang im ersten Wahlgang.
Für die SVP ist es ein bitteres Déjà-vu. Seit über zwei Jahrzehnten gehört sie den tonangebenden Kräften im Kanton, doch sie konnte diese Position bisher nur bedingt in exekutive Kraft ummünzen. Im Jahr 2000 stieg sie zur zweitstärksten Kraft hinter der CVP auf, 2008 überflügelte sie die Christlichdemokraten endgültig. Im gleichen Jahr zog sie mit Stefan Kölliker in die Regierung ein. Obwohl die Partei seither jedes Mal versuchte, einen zweiten Sitz zu erobern, blieb Kölliker blieb bis heute der einzige SVP-Vertreter in der St.Galler Exekutive.
Surber auf Rechsteiners Spuren
Für die St.Galler SP ist die Genugtuung umso grösser. Ende April 2023 verloren die Sozialdemokraten ihren Sitz im Ständerat an die SVP. Nach dem Rücktritt von Paul Rechsteiner trat die Partei mit Nationalrätin Barbara Gysi an, die SVP schickte Esther Friedli in den Ring. Der zweite Wahlgang wurde zu einer Demütigung für die SP, Gysi büsste mehr als 25 000 Stimmen auf Friedli ein.
Dass ausgerechnet Surber die Revanche gelingt, dürfte in der SVP unangenehme Erinnerungen wecken. Surber arbeitet in derselben Anwaltskanzlei wie Rechsteiner, der bei den Ständeratswahlen 2011 Toni Brunner besiegte. Wie Surber lag Rechsteiner nach dem ersten Wahlgang mehr als 10 000 Stimmen hinter Brunner und fing ihn im zweiten Wahlgang vor der Ziellinie ab.
Die Konstellation war damals allerdings eine andere. Die Bürgerlichen waren heillos zerstritten, die SVP war der Störenfried, der die jahrzehntelange Dominanz von CVP und FDP durchbrochen hatte. Etliche Bürgerliche legten ihre Stimme nicht aus Überzeugung für Rechsteiner ein, sondern einzig, um Brunner zu verhindern.
Mittlerweile hat die SVP die Rolle des Pausenplatz-Rabauken im Kanton abgelegt. Doch häufig fehlen ihr die profilierten Köpfe, um Exekutivwahlen zu gewinnen. Dass sie es aber kann, wenn sie mit den richtigen Kandidaten antritt, bewies sie zuletzt bei den Ständeratswahlen.
Das muss vor allem die FDP beunruhigen. Der Freisinn hat bei den Kantonsratswahlen im März am meisten Stimmen eingebüsst und kommt noch auf 15,7 Prozent Wähleranteile. Das ist nur wenig mehr als die Hälfte der SVP, die ihren Anteil auf 31,5 Prozent ausbauen konnte.
Die Mitte kommt immer noch auf 21 Prozent, ebenso das linke Lager, wenn man SP und Grüne zusammenzählt. Spätestens bei den nächsten Gesamterneuerungswahlen in vier Jahren dürfte die Zusammensetzung der Regierung damit erneut zur Disposition gestellt werden.