Am Anfang ging es bloss um eine Bushaltestelle, dann wurde die Liste länger und länger.
Dies ist eine Geschichte, die so klein anfängt, dass sie unter normalen Umständen nie erzählt würde. Eine Geschichte über ein paar Quadratmeter Asphalt und die wundersame Eigendynamik staatlichen Handelns.
Sie beginnt mit einer Meldung, wie sie Behörden jeden Tag zigfach verschicken: so unbedeutend, dass sie vergessen sind, bevor sie nur schon den Rand des Bewusstseins erreicht haben. Wie ein kurzes Jucken am Rücken – was soll schon dabei sein?
Doch manchmal lohnt es sich, aufs Kleine zu achten, um das Grosse zu verstehen.
An einem Mittwoch im November beschliesst die Zürcher Kantonsregierung, einen Strassenkreisel in der Seegemeinde Zollikon instand setzen zu lassen. Es ist ihr Entscheid Nummer 1161 im laufenden Jahr und einer unter vielen an diesem Morgen. Die Sitzungen der Regierung sind geheim, deshalb weiss man es nicht mit Gewissheit, aber falls das Geschäft überhaupt zu reden gab, dann am ehesten wegen einer amüsanten Fussnote.
Der betreffende Kreisel am Dufourplatz gilt nämlich nicht nur als der älteste im ganzen Kanton, er ist mutmasslich auch in dreister Missachtung der kantonalen Regierungsgewalt gebaut worden. Seine Einweihung fand im Sommer 1935 statt. Ein halbes Jahrhundert bevor diese Art der Verkehrsführung ihren Siegeszug antrat, vor allem aber mehrere Monate bevor die Kantonsregierung der Gemeinde Zollikon den Bau genehmigte. Das hat eine Recherche der «Zürichsee-Zeitung» ergeben.
Milliardenbudgets sind die Summe solcher Einzelteile
Nicht überliefert sind die Kosten des Kreisels. Und sie dürften für die Kantonsregierung auch 89 Jahre später kaum der Rede wert gewesen sein, als die Instandsetzung für 1,42 Millionen Franken beschlossen wurde. Das klingt nach einer vernachlässigbaren Grösse angesichts eines Staatshaushalts, dem fürs kommende Jahr gerade ein Budget von 20 Milliarden Franken bewilligt worden ist.
Der Kreisel macht im Verhältnis zu den insgesamt 112 Millionen Quadratmetern Verkehrsfläche im Kanton Zürich nicht mehr aus als ein Wassertropfen in einem handelsüblichen Regenfass. Im fast 400 Seiten dicken Finanzplan der Regierung taucht er nirgends namentlich auf. Er ist auf einer einzigen Zeile versteckt, subsumiert unter einem Sammelposten namens «übrige Projekte».
Andererseits: Wenn ein Privater einen Platz von vergleichbarer Grösse asphaltieren lassen würde, müsste er dafür nur mit Kosten von etwa 300 000 Franken rechnen. Dies zeigen Offerten für reale Bauvorhaben auf einschlägigen Online-Portalen.
Der Zolliker Kreisverkehr dient deshalb als Schlüssel zum Verständnis, wie ein 20-Milliarden-Budget zusammenkommt: als Summe unzähliger Einzelteile, die jedes für sich zu klein sind, um aufzufallen. Und die darum unterhalb der Schwelle der Aufmerksamkeit bleiben.
Zumal den vom Volk bestellten Wächtern über die Staatskasse angesichts der grossen Zahlen bisweilen das Augenmass abhandenkommt. Das zeigte sich in der Debatte ums kantonale Budget, als eine linke Parlamentarierin eine Zusatzausgabe mit den Worten bewarb, es gehe nur um «läppische 600 000 Franken». Ob die Frau solche Summen privat mit der gleichen Nonchalance bewerten würde, steht auf einem anderen Blatt.
Wie kommt es nun, dass die Instandsetzung eines Kreisels, der prima vista noch brauchbar aussieht, so viel kostet wie ein Einfamilienhaus?
Die kurze Antwort lautet: Es ist das Ergebnis eines dicht gewobenen Staatswesens, in dem eines automatisch zum anderen führt. Die lange Antwort kennt der zuständige Projektleiter des kantonalen Tiefbauamts, ein freundlicher Mann namens Alex Joss.
Je länger die Experten hinsehen, desto mehr Mängel finden sie
Am Anfang, erzählt Joss, sei es in Zollikon gar nicht um den Kreisel gegangen, sondern um die Bushaltestellen, die diesen umgäben. Sie verströmten dank ihren rostbraunen Dächern mit Turmspitzen Achtziger-Jahre-Flair, hätten aber einen entscheidenden Makel.
Seit Anfang 2024 müssten Menschen mit einer Gehbehinderung den öffentlichen Verkehr überall ohne Hilfe nutzen können, so will es das Bundesgesetz. Doch der Kanton Zürich hinkt bei der Umsetzung hinterher: Obwohl er zwanzig Jahre Zeit hatte mit der Umsetzung, war am Stichtag etwa ein Drittel aller Bushaltestellen noch nicht barrierefrei.
Rund um den Zolliker Kreisel sollen die Kanten der Haltestellen nun auf 22 Zentimeter angehoben werden – und das geht nicht, ohne auch das Trottoir zu erhöhen. Das allein kann laut Joss je nach Grösse und Umfang mehrere hunderttausend Franken pro Haltestelle kosten.
Bei einem Augenschein vor Ort fiel den Fachleuten auf, dass der Asphalt im Kreisel Dellen aufweist. Ein Sanierungsfall also.
Dann entdeckten sie, dass eines der Trottoirs nicht den Normen entspricht, die der Schweizerische Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) vorgibt. Es müsste zwei Meter breit sein, damit Rollstuhlfahrer und Fussgänger aneinander vorbeikommen.
Als nächste Baustelle kamen die Fussgängerstreifen hinzu. Diese müssen samt Verkehrsinseln verschoben werden: Einer, weil er zu nah an der erhöhten Bushaltestelle liegt – Stolpergefahr. Ein anderer, weil er zu nah an der Kreiselausfahrt liegt. Hier geht es wieder um eine Norm, die verfehlt wird: Um den Verkehr flüssig zu halten, muss laut Joss zwischen Ausfahrt und Fussgängerstreifen Platz für mindestens ein Auto sein.
Und damit nicht genug. Je länger man durch Expertenaugen auf diesen Kreisel blickt, desto mehr wird er zum Mängelwesen. Auch die Einmündung eines Radwegs – der Anschluss an eine Velovorzugsroute der Stadt Zürich – erwies sich als unglücklich gelöst.
Laut Statistik des Bundesamts für Strassen (Astra) sind dort seit 2015 drei Unfälle registriert worden, bei denen Radfahrer leicht verletzt wurden. Der einzige Schwerverletzte war ein Motorradfahrer. So oder so: Für Velos wird nun eine Furt gebaut, ein separater Weg in den Kreisel.
Schliesslich fiel den Baufachleuten auch noch ein Trampelpfad auf, der hinter einer der Bushaltestellen einen Wiesenhang hinabführt. Offensichtlich ist es vielen zu blöd, dort der Strasse zu folgen. Sie nehmen lieber eine Abkürzung, um fünfzig Schritte zu sparen. Anstelle des Pfads baut der Kanton nun eine Blocksteintreppe samt Stützmauer – die Menschen sollen es möglichst angenehm haben.
So wurde die Liste der geplanten Massnahmen länger und länger. Und aus einem Projekt, dessen Kosten zu einem früheren Zeitpunkt einmal auf eine Million Franken geschätzt wurden, wurde eines für 1,4 Millionen Franken. Eineinhalb Jahre soll am Kreisel gebaut werden. Der Projektleiter Alex Joss betont, dass das «gut investiertes Geld sei».
Tatsächlich hat auch die Sanierung anderer Kreisel in anderen Kantonen 1 Million Franken und mehr gekostet. Das Preisschild hat also nichts damit zu tun, dass der älteste Zürcher Kreisverkehr mit besonderer Sorgfalt restauriert würde, als handle es sich um ein Kulturdenkmal von hohem Rang. Es ist ein Dutzendprojekt – und das ist genau das Bemerkenswerte daran.
Wer künftig um diesen Kreisel fährt und dabei die Ohren offen hält, kann ein Rauschen hören. Das sanfte Grundrauschen der Staatsausgaben.