Der Volkswagen-Konzern hat es endlich geschafft, sein umstrittenes Werk im chinesischen Urumqi loszuwerden. Dem Management hing es seit Jahren wie ein moralischer Mühlstein um den Hals. Für die in dieser Region unterdrückten Uiguren ist die Sache zweischneidig.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Michael Rasch, Wirtschaftskorrespondent der NZZ in Frankfurt am Main. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Für global tätige Konzerne sind Aktivitäten in Autokratien und Diktaturen eine Gratwanderung. Das gilt besonders für China, denn aufgrund der Grösse und der erreichten Wirtschaftskraft können es sich Unternehmen nicht leisten, das Land links liegen zu lassen, wenngleich dort die Menschenrechtsstandards allgemein und in bestimmten Regionen besonders bei weitem nicht westliches Niveau erreichen.
Unterdrückung der Uiguren
Wohl kaum ein anderes europäisches Unternehmen hat im Reich der Mitte so grosse Erfahrung wie der Volkswagen-Konzern, der dort bereits vor rund vierzig Jahren ein erstes Joint Venture mit dem Staatskonzern SAIC schloss. Inzwischen hat Volkswagen in China fast vierzig Produktionsstandorte. Diese Kooperationen waren bis vor kurzem die einzige Möglichkeit, dort zu produzieren.
Gemeinsam mit SAIC eröffnete VW im Jahr 2013 auch ein kleines Werk im Nirgendwo im Nordwesten Chinas, nämlich in Urumqi, der Hauptstadt der strukturschwachen Provinz Xinjiang. Die Fabrik fernab aller anderen Werke soll der Preis der Regierung dafür gewesen sein, dass VW einen sehr viel grösseren Standort im 4000 Kilometer entfernten Foshan eröffnen durfte. So wurde es zumindest seinerzeit kolportiert. Und schon damals war klar, dass die Werkeröffnung ein Risiko ist, denn die Provinz galt bereits zu dieser Zeit als Herd ethnischer Unruhen.
Tatsächlich gingen die Machthaber in Peking kurze Zeit später immer stärker gegen die in Xinjiang lebenden muslimischen Uiguren vor. Glaubwürdige Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsarbeit und Umerziehungslager setzten in der Provinz tätige Konzerne unter Druck. Die Kritik kam nicht nur von Menschenrechtsorganisationen, sondern im Fall von VW auch von Investoren. Die Regierung in Peking hat die Vorwürfe immer abgestritten.
Die Kritik tat dem Konzern weh, doch ein Ausstieg gegen den Willen des Partners SAIC und der Regierung war ohne erhebliche Konsequenzen für die Tätigkeiten im ganzen Land wohl nicht möglich. Das Management beteuerte zwar immer wieder, keine Kenntnis von Zwangsarbeit im Werk zu haben und den Mitarbeitern Raum zu lassen, um zu beten und so ihren religiösen Verpflichtungen nachzukommen, auch gegenüber der NZZ. Doch spätestens ausserhalb der Werktore versiegte der Einfluss des Konzerns.
Die schon immer wirtschaftlich belanglose Fabrik mit den noch 170 Mitarbeitern inklusive der rund 40 Uiguren wurde spätestens nach der Pandemie zudem völlig irrelevant. Autos werden dort schon seit 2019 nicht mehr produziert, sie diente zur Inbetriebnahme von Fahrzeugen. Für das Management war das Werk vor allem ein moralischer Mühlstein um den Hals. Deswegen ist es für VW eine Befreiung, die Fabrik und zwei Teststrecken in der gleichen Provinz nun verkauft zu haben. Die wirtschaftlichen Gründe sind zwar wohl zutreffend, deren Betonung diente jedoch sicherlich primär einer gesichtswahrenden Formulierung für Peking.
Auch BASF zog sich aus Xinjiang zurück
Die Massnahme passt zugleich zu den Bemühungen des Konzerns, im Heimmarkt Deutschland und in Brüssel Werke zu schliessen. Auch in China will Volkswagen die Produktionskapazitäten für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in den kommenden Jahren reduzieren. In Urumqi übernimmt der Käufer, der im Gebrauchtwagengeschäft tätige Staatskonzern SMVIC, immerhin die Mitarbeiter des Werks.
Mit BASF hatte bereits ein anderes deutsches Unternehmen vor rund einem Jahr mitgeteilt, es verkaufe die Beteiligungen an zwei Joint Ventures in der Provinz Xinjiang. Mit dem Abschied von VW zieht sich nun der zweite grosse westliche Konzern von dort zurück. Für die Unternehmen mag das vor allem eine Erleichterung sein, doch es gibt auch eine Schattenseite.
Die Präsenz globaler Konzerne in heiklen Regionen sorgt oftmals für Scheinwerferlicht auf die vor Ort bestehenden Missstände. Das galt auch für die angeprangerten Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Mit dem Verschwinden der Unternehmen besteht nun die Gefahr, dass das Scheinwerferlicht schwächer wird oder sogar erlischt.
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