Strukturierte Produkte haben in der Schweiz ein gutes Jahr hinter sich. Doch gerade bei einem besonders beliebten Produkt gab es für Anleger Verluste.
Das schwierige Börsenjahr von Nestlé hatte für viele Anleger unangenehme Konsequenzen. So sind die Aktien des Nahrungsmittelkonzerns nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Altersvorsorge in Form von Säule-3a-Fonds und der Pensionskasse. In zahlreichen Schweizer Depots liegen strukturierte Produkte, welche auf Nestlé-Aktien aufbauen.
Wie viele Investoren durch den Kurssturz des Konzerns ihr investiertes Kapital verloren haben, ist unklar. Er hat jedoch dazu geführt, dass solche «Strukis» plötzlich reihenweise ihre eingebaute Barriere verletzten und Anleger als Folge die physischen Nestlé-Aktien ausgeliefert erhielten. «Kein Drama», mögen sie sich bei dem Schweizer Nahrungsmittelkonzern sagen. Doch es gibt viele strukturierte Produkte, bei denen sie im schlimmsten Fall riskieren, mit deutlich unattraktiveren Wertpapieren dazustehen als mit Aktien des Lebensmittelmultis.
Solche strukturierten Produkte, sogenannte Barrier-Reverse-Convertibles, gehören in der Schweiz seit Jahren zu den beliebtesten Strukis. Gekauft werden sie gerne, um noch etwas mehr Rendite herauszuholen, zum Beispiel wenn sich die Kurse an den Finanzmärkten seitwärts bewegen. «Hier findet im Moment viel Aktivität statt», sagt Curdin Summermatter, Leiter Verkauf strukturierte Produkte und Direktionsmitglied der ZKB.
Eine Barriere kann auch reissen
Aufgebaut sind sie auf einem Basiswert. Typischerweise nimmt man eine bis drei Aktien dazu. Neben Nestlé hierzulande gerne auch die beiden Pharmariesen Roche und Novartis. Das Gewinnpotenzial eines Barrier- Reverse-Convertible ist begrenzt. Investoren wird regelmässig ein festgelegter Zins, der sogenannte Coupon, ausbezahlt. Im Gegenzug verzichten sie auf die Aktiendividende.
Unterschreitet der Kurs des Basiswerts allerdings den im Voraus definierten Wert, die Barriere, so erhält der Anleger, falls bis zum Verfall des Produkts keine Erholung stattfindet, die Aktie mit der schwächsten Performance physisch geliefert. Wenn sie hält, wird bei Verfall des Produkts das einbezahlte Kapital ausbezahlt – ähnlich wie bei einem festverzinslichen Wertpapier.
Privatanleger sollten verstehen, wie die Produkte funktionieren. Ausschlaggebend für den Kaufentscheid eines Barrier-Reverse-Convertible ist der regelmässige Zins von typischerweise 5 bis 10 Prozent, den solche Produkte bieten. Sie müssen aber beachten, dass auch defensive Wertpapiere wie Nestlé, Roche oder Novartis derart an Wert einbüssen können, dass sie die Barriere berühren und das eingesetzte Kapital weg ist. «In diesem Fall bekommt der Anleger die Aktien ins Portfolio», sagt Georg von Wattenwyl, Präsident des Branchenverbands Swiss Structured Products Association (SSPA). Da es ja auch durchaus solide Titel sein können, sind solche Barrier-Reverse-Convertibles in der Schweiz auch so populär.
Für Claudio Topatigh, Leiter Kompetenzzentrum Strukturierte Produkte der Luzerner Kantonalbank, ist es ein guter Ansatz für Investoren, sich bei der Auswahl eines strukturierten Produktes an Aktien zu orientieren, zu denen man eine Meinung habe. Also Wertpapiere als Basiswerte zu wählen, von denen man überzeugt ist, dass sie sich positiv entwickeln. Alternativ gibt es Barrier-Reverse-Convertibles auch auf Indizes. Diese verhalten sich etwas weniger volatil als einzelne Aktien. Zu beachten bei den Finanzinstrumenten gilt es zudem die Kosten. Diese liegen höher, als wenn Investoren Aktien direkt kaufen oder in Indexfonds investieren.
Struki-Branche hat von Trump profitiert
Mit Produkten zur Renditeoptimierung hat die Struki-Branche im vierten Quartal 2024 einen Umsatz von 23 Milliarden Franken erwirtschaftet, das geht aus Zahlen der SSPA hervor. Insgesamt betrug der Umsatz im vergangenen Jahr 196 Milliarden Franken, ein Zuwachs von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Eine weitere grosse Gruppe sind Partizipationsprodukte, dazu zählen etwa unter anderem Tracker, welche beispielsweise die Bewegung eines Index oder eines Aktienkorbes nachbilden. «Diese funktionieren ähnlich wie ein Investmentfonds, rechtlich sind es aber Schuldverschreibungen einer Bank», sagt Topatigh. Sie eignen sich gut für Themen, die an den Finanzmärkten ein gewisses Momentum haben.
Der Schweizer Markt für strukturierte Produkte gilt als grösster der Welt. Im November 2024 lagen laut der Schweizerischen Nationalbank Strukis im Wert von 253 Milliarden Franken in Schweizer Depots. Es sind unzählige Kombinationen dieser Finanzinstrumente denkbar. Für die Branche ist das Umfeld momentan positiv. Die strukturierten Produkte haben im vergangenen Jahr vom Börsenboom in den Vereinigten Staaten profitiert.
Zusätzlichen Schwung gab die Wahl von Donald Trump im November zum US-Präsidenten. Investoren suchen wieder stärker nach Risiko. Sie rechnen mit einer weiteren Deregulierung und steigenden Märkten. Gekauft werden auch mehr risikoreichere Hebelprodukte, etwa auf die grossen amerikanischen Tech-Aktien, die «Magnificent Seven», oder Zertifikate auf Kryptowährungen oder ganz aktuell: chinesische Technologie-Aktien.
Eine wichtige Rolle bei den strukturierten Produkten spielt jedoch der Faktor Liquidität. Gerade für Privatinvestoren stellt dieser ein gewisses Risiko dar. Sie müssen ihre Strukis jederzeit und insbesondere bei fallenden Märkten verkaufen können. Strukturierte Produkte mit illiquiden Basiswerten sind nur bedingt für Privatinvestoren geeignet, mahnt von Wattenwyl. Zum Beispiel Produkte auf Luxusautos oder Kunst oder illiquide Privatmarktanlagen, die Anlegern unter dem Stichwort «Demokratisierung» einen Zugang zu einer Anlageklasse versprechen, die für sie zu risikoreich ist. «Für diese Anlagen gibt es selten einen Marktpreis. Privatanleger können sie im Notfall oft nur mit hohen Abschlägen verkaufen», sagt er.
Gibt es Folgen aufgrund des Nestlé-Kurssturzes?
Für Panik an den Börsen sorgte jedoch zuletzt das chinesische Startup Deepseek. Die Struki-Branche sieht in solchen Ereignissen Opportunitäten: «Strukturierte Produkte leben bis zu einem gewissen Grad von Volatilität und Phantasie in den Finanzmärkten», sagt von Wattenwyl. Interessant wird für ihn die Reaktion der Privatanleger auf die Kursschwäche von einem beliebten Basiswert wie Nestlé.
Die meisten dieser Produkte haben ein Verfalldatum. Läuft ein solches Struki ab, wird meist ein neues Produkt mit demselben Basiswert gekauft. Es wird sich zeigen, ob Anleger jetzt auf Strukis mit anderen defensiven Basiswerten ausweichen werden.
«Es war unschön, was mit Nestlé passiert ist», sagt Summermatter. Nachfolgegeschäfte würden dadurch vielleicht etwas komplizierter. Für die Industrie sieht er dadurch aber keine negativen Folgen. Die Anleger müssten verstehen, was passiere, wenn die strukturierten Produkte die festgelegten Bedingungen verletzten. Mittlerweile seien diese aber viel besser über deren Risiken informiert als noch vor ein paar Jahren.