Mondpreise, billige Produktion und fallende Aktienkurse: Die Luxusindustrie ist unter Druck. Nun tauschen die grossen Marken ihre Kreativdirektoren aus. Ein Befreiungsschlag oder ein Akt der Verzweiflung?
«Wer ist das schon wieder?» Zwischen Champagnergläsern und gekritzelten Notizen war das die Frage, die an der Paris Fashion Week Anfang März besonders häufig gestellt wurde. Lange war es in der Modewelt Grundwissen, welcher Kreativdirektor oder welche Kreativdirektorin gerade welches Haus führt. Doch in Paris bekundeten sogar gestandene Brancheninsider Mühe.
War nun Simone Bellotti bereits von Bally zu Jil Sander gewechselt? Wann würde Louise Trotter ihre erste Kollektion für Bottega Veneta zeigen, nachdem ihr Vorgänger Matthieu Blazy zu Chanel berufen worden war? Und wer war es schon wieder, der Givenchy vor Sarah Burton geführt hatte?
Als die Modewoche vorbei und der Tross wieder nach Hause gereist war, folgte die grösste Überraschung: Demna, der seit 2021 seinen Nachnamen Gvasalia weglässt, wird das Traditionshaus Balenciaga nach zehn Jahren verlassen, um im Sommer zu Gucci zu wechseln. Auch darüber war in Paris gemunkelt worden. So richtig geglaubt hatte es aber niemand. Denn Gucci ist nach Umsatzeinbussen jüngst in vermeintlich sicherere Werte und zeitlose Langeweile geflüchtet. Mit der radikalen und provokanten Kreativität Demnas bei Balenciaga hat das wenig zu tun.
Noch nie hat sich das Kreativdirektorenkarussell in der High-End-Fashion so schnell gedreht. Kein Haus scheint davor sicher zu sein. Christian Dior, sagen manche, sei als Nächstes dran.
Das Luxusumfeld sei derzeit schwierig, sagt der Aktienanalytiker Peter Casanova, welcher für die Bank Julius Bär den Markt beobachtet. «Neben der Nachfrageschwäche mangelt es momentan auch an Innovation und Kreativität.»
Tatsächlich hat die Luxusindustrie bewegte Jahre hinter sich. Sie war die unverhoffte Gewinnerin der Pandemiezeit. Weil die Menschen ihr Geld weder für Reisen, Restaurants noch sonstige Aktivitäten ausgeben konnten, investierten sie es in opulente Dinge. Taschen, Schuhe, Kleider.
Demna provoziert auch an der Börse
Wegen der grossen Nachfrage konnten die Marken für ihre ohnehin schon teuren Produkte noch einmal deutlich mehr verlangen. Vor allem bei den Design-Klassikern trieben sie die Preise ad absurdum. So kostet die berühmte Chanel Flap Bag heute 10 400 Dollar. 2019 – also knapp vor Corona – lag der Preis noch bei 5400 Dollar.
Fast in gleichem Tempo vervielfachten sich auch die Börsenkurse, beispielsweise der Gucci-Eigentümerin Kering. Auf dem Höhepunkt 2021 war die Aktie 790 Euro wert. Heute sind es noch 203 Euro, also fast viermal weniger. Als die Berufung des Provokateurs Demna zum neuen Gucci-Chef bekannt wurde, gab der Kurs noch einmal ein paar Prozente nach.
Was ist schiefgelaufen? Die Luxusindustrie kämpft an mehreren Fronten gleichzeitig. Einerseits bekommen Louis Vuitton, Chanel, Prada und Co. die veränderten Konsumgewohnheiten zu spüren.
Nicht nur müssen die Leute wegen der allgemein gestiegenen Preise den Gürtel enger schnallen. Sie geben ihr Geld auch anders aus. Der Luxuskonsum hat sich nach der Pandemie hin zu Erlebnissen verlagert. Statt einer Handtasche gönnt man sich lieber ein schickes Hotelzimmer mit Meerblick.
Kommt hinzu, dass sich die Branche ein ernsthaftes Imageproblem eingehandelt hat. Vergangenes Jahr hoben die italienischen Behörden wegen Sweatshop-ähnlichen Arbeitsbedingungen Handtaschenfabriken aus. Diese belieferten Luxushäuser, wodurch ans Licht kam, dass eine 2600-Euro-Handtasche von Christian Dior in der Produktion gerade einmal 53 Euro kostete.
Zu guter Letzt tauchte auch noch der chinesische Markt, der als der Motor der Luxusindustrie gilt. 2024 sind die Umsätze wegen der dortigen Wirtschaftskrise um 20 Prozent eingebrochen.
Die grossen Labels sehen sich also zum Handeln gezwungen. Und den grössten Hebel haben sie bei den Kreativdirektoren, früher auch Chefdesigner genannt.
Vor ein, zwei Jahren sei in der Uhrenindustrie etwas Ähnliches passiert, sagt Karine Szegedi, Konsumgüterspezialistin der Unternehmensberatung Deloitte. «Das Wirtschaftsumfeld war schwerer, und viele CEO haben innerhalb der Branche den Job gewechselt.»
In der Uhrenwelt seien CEO das, was in der Mode die Kreativdirektoren sind. «Sie repräsentieren die Marke und stehen für Erfolg oder Niederlage.»
Doch was tut ein Kreativdirektor, eine Kreativdirektorin eines Modehauses? Die Bezeichnung sei «leicht nebulös», sagt Dal Chodha, Autor und Dozent an der Londoner Modeschule Central Saint Martins. Er vergleicht die Rolle mit der eines Dirigenten, der vor seinem Orchester – zusammengesetzt aus Designerinnen, Schneidern, Fotografinnen, Inneneinrichtern, PR-Beraterinnen, Archivisten und mehr – steht.
Ein guter Kreativdirektor lege seine Handschrift über jedes Element eines Hauses, von internationalen Werbekampagnen und der Einrichtung der Geschäfte bis hin zum Schnitt eines Ärmels. «Diese Person muss zunächst eine eigene Sichtweise haben und dann verstehen, wie sie die Fähigkeiten anderer Menschen nutzen kann, um diese Sichtweise zum Ausdruck zu bringen», sagt Chodha.
Bis zu zehn Kollektionen pro Jahr
Bis zu zehn Kollektionen entwerfen die grossen Modehäuser pro Jahr. Es ist der Kreativdirektor, der sich nach deren Präsentation auf dem Laufsteg verbeugt und backstage Interviews dazu gibt. Im besten Fall prägt er eine neue Ästhetik, die den Zeitgeist trifft und die Kundinnen und Kunden begeistert. So, wie das Alessandro Michele bei Gucci tat –der Vorvorgänger von Demna. Unter dessen Ägide verdreifachten sich die Umsätze zwischen 2014 und 2022 auf fast zehn Milliarden Euro.
Im schlimmsten Fall aber muss er dafür geradestehen, wenn seine Vision nicht ankommt. Zunehmend ist das bereits nach kurzer Zeit der Fall. Micheles Nachfolger bei Gucci, Sabato De Sarno, musste das nun von erheblichen Umsatzeinbussen und lauwarmen Kritiken geplagte Label Anfang 2025 nach nur zwei Jahren verlassen.
Der Superstar Demna soll Gucci, mit Abstand die wichtigste Marke des Kering-Konzerns, also retten. Doch er startet unter schwierigen Vorzeichen. «Der Markt ist nicht geduldig und verlangt eine schnelle Trendwende, was in der Luxusrealität selten ist», sagt Peter Casanova von Julius Bär.
Die grosse Frage bei den Designer-Debüts im kommenden Jahr wird sein, wie viel Spielraum die neuen Kreativdirektoren erhalten und was sie damit tun. Die Zeiten, in denen ein Hedi Slimane seine Ankunft bei Celine mit dem Herausreissen von Boutique-Böden und dem Entfernen des Accent aigu im Markennamen zelebrierte, scheinen vorüber. Zu nervös seien die CEO heutzutage, sagt Dal Chodha.
Andererseits setzen die Labels wieder vermehrt auf grosse Namen, die sich nicht auf das sanfte «Erneuern von Markencodes» beschränken möchten. Und Fans, die ihnen folgen, wo auch immer sie hingehen.
Am Ende werden weder der Schnitt eines Ärmels noch die Wandfarbe in den Filialen noch die Markenbotschafter über Sein oder Nichtsein der Kreativdirektoren entscheiden. Sondern die nackten Zahlen: Umsatz, Gewinn und Börsencharts.
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