Der Krieg Russlands gegen die Ukraine erschüttert auch die Börsen. Investoren mit russischen Aktien und Obligationen drohen darauf sitzenzubleiben. Anlagefonds sind eingefroren, und gängige Börsenindizes werden angepasst.
Mit dem Ukraine-Krieg und den Sanktionen gegen Russland drohen Investoren erhebliche Verluste mit russischen Aktien und Obligationen. Da russische Aktien wie Gazprom, Lukoil oder Sberbank nicht mehr gehandelt werden konnten, hatte dies Konsequenzen für Anlageprodukte, in denen diese Titel enthalten sind. Obligationen von russischen Schuldnern werden derweil zu sehr niedrigen Kursen gehandelt.
Geschlossene Fonds
«Investmentgesellschaften haben ihre Russlandfonds und Osteuropa-Fonds aufgrund ihres hohen Anteils an russischen Aktien geschlossen», sagt Ali Masarwah, Partner bei der Fondsplattform Envestor. Während Fonds, die sich an Vergleichsbarometern wie dem MSCI Russia orientieren, komplett in russische Wertpapiere investiert sind, hätten Osteuropa-Fonds oftmals einen Anteil von mehr als 40 Prozent an russischen Titeln.
Hinzu kommen die sogenannten Bric-Fonds – die Abkürzung steht für Brasilien, Russland, Indien und China. Solche Fonds seien im Allgemeinen zu 20 Prozent oder mehr in russischen Wertpapieren investiert, sagt Masarwah. Bei einigen dieser Fonds dürfte es schwierig sein, unter den derzeitigen Umständen den Nettoinventarwert («net asset value») zu ermitteln. Auch Fonds auf Schwellenländer-Aktien und -Bonds haben oftmals einen gewissen Anteil an russischen Wertpapieren im Portfolio – und in der Folge drohen nun Abschreibungen und Verluste. «Als Investor kann man nur von Glück sagen, dass russische Aktien in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren haben und ihr Anteil in vielen Fonds gesunken ist», sagt Masarwah.
Anpassung von Indizes
Bei Exchange-Traded Funds (ETF) – dabei handelt es sich um börsenkotierte Fonds, die einen Index abbilden – kommen die jüngsten Entscheide von Indexanbietern zum Tragen. So haben die führenden Anbieter MSCI und FTSE Russell russische Aktien aus ihren breiten Indizes gestrichen. Davon sind etwa die Barometer MSCI Emerging Markets oder der MSCI-All-Country-World-Index (ACWI) betroffen. Laut einer Marktpublikation hatten russische Aktien im MSCI Emerging Markets per Ende Januar dieses Jahres einen Anteil von 3,2 Prozent, beim MSCI-ACWI waren es 0,4 Prozent. Die Anlagefondsgesellschaften müssen die Änderungen der Indexanbieter nun umsetzen.
ETF-Anbieter, welche die russischen Aktien physisch im Portfolio hatten, dürften deren Wert bei null angesetzt haben, sagt Masarwah. Sie könnten sie dann möglicherweise veräussern, wenn die russische Börse wieder aufmache. Den Investoren gehe es aber ohnehin nicht mehr um diese Frage, sagt Masarwah: «Das Thema russische Aktien ist tot!» Schliesslich sei der Handel abgeschnitten. «Westliche Anleger sollten nicht allzu optimistisch sein, dass sie ihr in russische Aktien investiertes Geld in nächster Zeit wiedersehen», sagt er.
Vergleich mit Subprime-Krise und Lehman-Kollaps
Was die Auswirkungen auf Wertpapierdepots, Pensionskassen, Banken und Versicherer in der Schweiz angehe, sei das Bild am Markt noch zu heterogen, sagt Tatjana Puhan, stellvertretende Anlagechefin des Vermögensverwalters Tobam. Hätten die Investoren aktive Manager mit grösseren Wetten in russischen Anlagen verpflichtet, sässen sie nun auf den dort investierten Geldern. Die Verluste mit Anlagen beispielsweise in den Index MSCI Emerging Markets hätten «natürlich weh getan», sagt Puhan. Bis der Indexanbieter MSCI reagiert habe, seien die Aktien zumeist schon nicht mehr handelbar gewesen.
Bei den Indizes auf Schwellenländer-Staatsobligationen sei der Anteil russischer Anleihen noch höher. «Wenn es Euro-Bonds sind, ist ja nicht klar, ob sie jemals wieder in Euro oder überhaupt zurückgezahlt werden», sagt sie. Ähnliches gelte für Indizes auf Bonds von Schwellenländer-Unternehmen.
«Das Problem ist, dass aufgrund des Renditehungers der institutionellen Anleger die Allokationen in solchen Anleihen-Portfolios – egal, ob passiv oder aktiv – in den vergangenen zehn Jahren signifikant zugenommen haben», sagt Puhan. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Rating-Agentur Fitch die Bonitätsnote von Russland erneut gesenkt hat, und zwar von «B» auf «C». Dies bedeute, dass ein Zahlungsausfall unmittelbar bevorstehen dürfte, hiess es bei Fitch.
Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank, zieht in einem Anlagekommentar einen Vergleich zur Subprime-Krise, als in den Jahren 2007 und 2008 viele Wertpapiere mit US-Hypothekaranleihen geringer Qualität («subprime») nicht mehr handelbar waren. In der Folge gaben Anlagefonds und Banken hohe Verluste bekannt, da sie in die Wertpapiere investiert waren.
Die Situation spitzte sich dann mit dem Konkurs der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 zu, und das Finanzsystem drohte zu kollabieren. Aus Sicht von Stucki dürfte dies mit den russischen Papieren nicht passieren, da das betroffene Volumen im Vergleich zum damaligen Subprime-Markt gering sei.
Schweizer Pensionskassen mit Verlusten
Laut Hansruedi Scherer von der Pensionskassen-Beratungsgesellschaft PPCmetrics dürfte der in russische Wertpapiere investierte Anteil des Anlagevermögens bei den meisten Schweizer Vorsorgeeinrichtungen zwischen 0,3 und 0,5 Prozent betragen. Bei ukrainischen Titeln dürfte er nahe bei null liegen. Bei einem Gesamtanlagevermögen von rund 1000 Milliarden Franken sei folglich davon auszugehen, dass die Schweizer Pensionskassen insgesamt rund 3 bis 5 Milliarden Franken abschreiben müssen. Wesentlich bedeutender seien aber die Anlageverluste, die sich aus den Reaktionen der weltweiten Aktienmärkte seit der Invasion ergeben hätten, sagt Scherer.
Aufgrund der sehr guten Performance in den vergangenen Jahren seien diesbezüglich bei den Pensionskassen aber keine Panikreaktionen zu beobachten, sagt Scherer. Viele Kassen waren Anfang Jahr bei ihrem Aktienengagement übergewichtet. Die jüngsten Kursverluste an der Börse hätten indessen bei vielen eine automatische Reduktion des Aktienanteils bewirkt. Noch hätten aber kaum Rebalancings (Aktienzukäufe) stattgefunden, entsprechend seien nun die Pensionskassen im Durchschnitt vermutlich leicht untergewichtet in Aktien, sagt Scherer.