Mindestens 1700 Menschen sind beim Erdbeben in Myanmar umgekommen – die Opferzahlen dürften weiter steigen. Derweil fliegt die Militärregierung weiterhin Luftangriffe auf Rebellen.
Die Todeszahlen nach dem verheerenden Erdbeben in Myanmar sind über das Wochenende weiter gestiegen. Mindestens 1700 Menschen verloren ihr Leben, weitere 3400 wurden verletzt, das kommunizierte die Militärregierung. Die amerikanische Erdbebenwarte USGS, die das Erdbeben aufzeichnete, geht davon aus, dass die Opferzahlen weiter steigen werden. Die Wissenschafter sprechen von 10 000 möglichen Todesopfern und einem ökonomischen Schaden, der das Jahreseinkommen von Myanmar übersteigen könnte.
Das Epizentrum des Bebens lag ausserhalb der Grossstadt Mandalay. Der USGS mass eine Stärke von 7,7. Zum Vergleich: Das Erdbeben, das 2023 in der Türkei enorme Schäden anrichtete, hatte eine Stärke von 7,8. Das Beben vom Freitag war bis in die thailändische Metropole Bangkok zu spüren, dort kollabierte eine Baustelle. Laut den thailändischen Behörden verloren mindestens 17 Menschen dabei ihr Leben, 76 werden noch vermisst.
Die Militärjunta in Myanmar hat inzwischen öffentlich um internationale Hilfe gebeten. Die Nachbarn Indien, China und Thailand haben bereits Hilfsgüter und Unterstützung versprochen oder geschickt. So hat die indische Armee beispielsweise bereits ein Feldspital für die Opfer in Betrieb genommen. Auch russische Truppen sind gemäss Propagandafotos der Junta im Land. Der Hilferuf ist ein Novum für die Militärjunta – das Land ist seit dem Militärputsch 2021 international weitgehend isoliert.
Schwierigkeiten, Hilfe zu senden
Auch europäische Länder haben angekündigt, Hilfsgüter nach Myanmar zu schicken. Die EU zum Beispiel stellt Satellitenaufnahmen ihres Erdbeobachtungsprogramms Copernicus zur Verfügung. Allerdings dürfte die Koordination der Hilfe eine Herausforderung werden. Nicht nur sind die entscheidenden Flughäfen in Mandalay und der Hauptstadt Naypyidaw vorläufig ausser Betrieb und die Strassen in den Süden des Landes schwer befahrbar. Es gibt auch nur wenige Kommunikationskanäle mit der Militärjunta, um Hilfe überhaupt zu koordinieren. Die Europäer haben seit dem Militärputsch in Myanmar eine untergeordnete Rolle gespielt, all ihre Versuche zu Friedensgesprächen sind bisher gescheitert.
Der Juntaführer Min Aung Hlaing, der die Bevölkerung im Staatsfernsehen zu Solidarität aufrief, wird zudem vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht. Grund sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Das Militär führt seit dem Putsch einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Regelmässig werden Zivilisten bombardiert. Der Konflikt hat bereits Tausende Todesopfer gefordert und viele weitere Menschen vertrieben.
Eine der Fronten im Bürgerkrieg verläuft nahe der betroffenen Stadt Mandalay. Die National Unity Government (NUG), eine Schattenregierung, die viele Rebellengruppen unter sich vereint, hat angekündigt, dass sie während zweier Wochen die Waffen werde ruhen lassen – ausser sie werde angegriffen. Dies, um den Zugang zu Nothilfe für die Bevölkerung zu gewährleisten. «Die NUG, zusammen mit Widerstandskämpfern, verbündeten Organisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, wird Hilfsoperationen durchführen», schrieb sie in einem Statement.
Die Militärregierung fliegt ihrerseits trotz dem Erdbeben weitere Luftangriffe auf die Rebellen: Dabei wurden in Naungcho in der nördlichen Provinz Shan sieben Menschen getötet. Die Uno nannte die Angriffe angesichts der Katastrophe «komplett empörend und inakzeptabel».
Keine Ambulanz, keine Feuerwehr
Eine Person, die aus Angst vor Repressalien der Junta anonym bleiben will, gibt gegenüber der NZZ Auskunft, wie die Situation rund um Mandalay aussieht. Die Menschen seien aus der beschädigten Stadt in die Vororte geflüchtet. Die Hotels dort hätten alle ihre Tore geöffnet und seien jetzt gefüllt mit Erdbebenflüchtlingen. Die Menschen hätten nur dabei, was sie an sich trugen, als sie aus ihren Häusern flohen. «Heute gab es ein Nachbeben. Die Leute hier sind traumatisiert, alle gerieten in Panik und weinten. Psychisch und physisch sind diese Menschen völlig am Limit.» In diesem Zustand müssten sich die Überlebenden noch um ihre Familienmitglieder kümmern und herausfinden, ob ihre Verwandten überlebt hätten.
Die Solidarität in der Zivilbevölkerung sei gross. Vom Staat erwarteten die Betroffenen keine Hilfe. «Ich habe seit dem Erdbeben keine Feuerwehr, keine Ambulanz und nicht einmal einen Polizisten gesehen.» Die Bergungsarbeiten rund um Mandalay würden nur sehr schleppend anlaufen. Es fehle an Equipment, um die Erdbebenopfer aus den Trümmern zu befreien. «Die Menschen graben mit ihren blossen Händen nach Überlebenden.» Es sei wahrscheinlich, dass viel mehr Menschen Opfer dieses Erdbebens geworden seien, als die Regierung angebe, sagt die Person.
Kamlesh Vyas arbeitet für das Schweizer Hilfswerk Helvetas in Yangon im Süden des Landes, etwas entfernt von den am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebieten. «Viele Menschen in diesen Gebieten sind noch unter Trümmern begraben», sagt Vyas. Den Überlebenden mangle es derzeit an medizinischer Versorgung, aber auch das Trinkwasser werde knapp. Die Kommunikation mit Mitarbeitern vor Ort sei schwierig, es gebe teilweise keinen Strom und kein Internet.
Vyas hofft wie viele Helfer in Yangon, dass die Militärjunta bald die Erlaubnis gibt für Reisen ins Erdbebengebiet. Bis anhin warten sie weiterhin auf die entsprechenden Lizenzen. Auch internationale Journalisten sind derzeit im Land nicht erwünscht.
Es ist zu befürchten, dass die betroffene Bevölkerung zum Spielball der Militärjunta wird. So hat zum Beispiel Taiwan bereits mehrmals öffentlich seine Hilfe angeboten, ein Rettungsteam sei bereit und könnte jederzeit nach Myanmar ausfliegen, sagte ein Regierungsvertreter gegenüber Medien. Die Junta hat die Hilfe bisher nicht angenommen – wohl um den Partner China nicht zu verärgern.