Im Schweigegeld-Prozess in New York erfolgten am Dienstag die Schlussplädoyers. Noch diese Woche dürften die Geschworenen ein Urteil fällen. Aber wie auch immer sie entscheiden – ob Schuld- oder Freispruch –, Donald Trump wird es kaum schaden.
Donald Trump akzeptiert keine Niederlagen. Das hat er bereits nach der Präsidentschaftswahl 2020 bewiesen. Bis heute hält er an der Lüge einer gestohlenen und manipulierten Wahl fest. Auch für den Fall eines Schuldspruchs im laufenden Prozess in New York hat Trump bereits eine befreiende Erklärung für sich vorbereitet. Bevor die Schlussplädoyers am Dienstag begannen, beschimpfte der ehemalige Präsident auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social den vorsitzenden Richter erneut als «korrupt». Die Anklage sei «erfunden» und von Präsident Joe Biden gesteuert: «Das ist das Werk des Weissen Hauses. Eine Einmischung in die Wahl!»
Im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl vor vier Jahren wirken Trumps Behauptungen in Bezug auf den Prozess jedoch nicht völlig haltlos. Manhattans Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg ist ein Demokrat. Im Wahlkampf hatte er versprochen, gegen Trump vorzugehen, und klagte ihn schliesslich an. In den Verhandlungen der vergangenen fünf Wochen zeigt sich jedoch, warum sich Bundesstaatsanwälte zu einem früheren Zeitpunkt entschieden hatten, Trumps Schweigegeldzahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels nicht zur Anklage zu bringen: Der Hauptzeuge Michael Cohen hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Verteidigung attackiert Hauptzeugen
Wenig überraschend zielte Trumps Anwalt Todd Blanche in seinem Schlussplädoyer am Dienstag vor allem auf den Schlüsselzeugen der Anklage: «Auf der Grundlage von Michael Cohens Worten kann man Präsident Trump nicht eines Verbrechens schuldig sprechen», erklärte Blanche den Geschworenen. Sein Mandant sei unschuldig, und Cohen lüge schlichtweg.
Cohen arbeitete einst als Anwalt für Trump und scheute dabei auch nicht vor schmutzigen Methoden zurück. Er selbst bezeichnete sich als Trumps loyalen «Schurken». Er würde sich für seinen Chef in die Schusslinie stellen, gelobte Cohen früher. Bei einer Anhörung im Kongress 2017 log er, um Trumps Russlandgeschäfte zu vertuschen. Später wurde er dafür wegen Meineids verurteilt. Trump nennt ihn heute deswegen «einen verurteilten Lügner».
Die Verurteilung zu einer dreijährigen Haftstrafe 2018 verwandelte Cohen in einen scharfen Trump-Kritiker. Bereits damals sagte er aus, dass er die Schweigegeldzahlungen an Daniels 2016 in Trumps Auftrag organisiert habe. Nun wiederholte er diesen Vorwurf im Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten in New York. Trump habe befürchtet, dass Daniels kurz vor der Präsidentschaftswahl der Presse von seinem Seitensprung mit ihr erzählen könnte. Deshalb sei das Schweigegeld von 130 000 Dollar geflossen.
Daniels trat in dem Prozess ebenfalls als Zeugin auf. Dabei schilderte sie ihren angeblichen Sex mit Trump in einem Hotelzimmer vor 18 Jahren nochmals im Detail. Allerdings gibt es keine Beweise dafür, dass dieses Treffen wirklich so stattgefunden hat. Und Blanche betonte in seinem Schlussplädoyer erneut, dass Trump den Seitensprung bestreite. Daniels selbst gestand während ihrer Zeugenaussage, dass sie Trump hasse und ihn zur Verantwortung ziehen wolle.
Auch ein Schuldspruch ist kein Nachteil
Entscheidend aber wird sein, ob die Geschworenen Cohen glauben. Unbestritten ist, dass er die 130 000 Dollar zunächst aus der eigenen Tasche an Daniels überwies. Dieses Schweigegeld ist allein noch kein Verbrechen. Doch Trump unterzeichnete in seinem ersten Amtsjahr danach monatliche Checks im Gesamtwert von 420 000 Dollar als Entschädigung an Cohen, die als Kosten für seine Rechtsberatung verbucht wurden. Die Anklage wirft Trump vor, seine Geschäftsbücher damit bewusst gefälscht zu haben, um den tatsächlichen Grund für die Zahlungen zu vertuschen.
Auch die Fälschung von Geschäftsbüchern ist indes noch kein schweres Verbrechen. Der Bezirksstaatsanwalt Bragg wirft Trump deshalb vor, die Zahlungen verdeckt gemacht zu haben, um auf unerlaubte Weise seine eigenen Wahlchancen zu bewahren. Die Anklage sieht darin einen Verstoss gegen geltende Wahlgesetze. Um dabei Trumps Absicht «über jeden Zweifel» nachzuweisen, muss sich die Anklage jedoch erneut stark auf Cohens Aussagen verlassen. Die Verteidigung betonte im Schlussplädoyer hingegen, dass Trump «als Anführer der freien Welt» im Weissen Haus keine Zeit gehabt habe, sich darum zu kümmern, wie die Checks verbucht worden seien. Überdies sei alles korrekt abgelaufen. Cohen habe Trump schliesslich in Rechtsfragen beraten.
Gegen Ende seiner Ausführungen meinte Trumps Anwalt zu den Geschworenen: «Cohen ist befangen und motiviert, euch eine unwahre Geschichte zu erzählen. Er ist buchstäblich der grösste Lügner aller Zeiten.»
Am Nachmittag versuchte die Anklage die Zweifel an Cohen in einem fast sechsstündigen Schlussplädoyer zu zerstreuen. Die Wut des Hauptzeugen sei verständlich, meinte der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Joshua Steinglass. «Er ist bis heute der einzige, der den Preis für seine Rolle in der Verschwörung bezahlt hat.» Jeder in Cohens Schuhen würde den Angeklagten zur Rechenschaft ziehen wollen.
In den vergangenen sechs Jahren habe Cohen seine Geschichte stets konsistent erzählt, meinte Steinglass. Davor habe er gelogen, um Trump zu helfen. Der ehemalige Präsident wiederum habe sich auf Cohen verlassen, weil dieser «bereit war, zu lügen und zu betrügen». Und nun benutzten Trumps Anwälte diese Lügen, um Cohen zu diskreditieren.
Steinglass aber betonte, dass es in dem Fall nicht um Cohen, sondern um Trump gehe. Dieser habe die amerikanischen Wähler getäuscht und betrogen. «Die Amerikaner hatten 2016 das Recht, darüber zu entscheiden, ob es sie kümmert oder nicht, dass Trump mit einem Porno-Star geschlafen hat.» Mit der verdeckten Zahlung des Schweigegelds sei dies jedoch verhindert worden.
Ob die Anklage die Zweifel an Cohen zerstreuen konnte, wird sich ab Mittwoch zeigen. Dann ziehen sich die Geschworenen voraussichtlich zur Beratung zurück. Für ein Urteil müssen sie sich alle einig sein. Bei einem Schuldspruch könnte es deshalb schnell gehen. Je länger die Geschworenen aber tagen, umso wahrscheinlicher wird eine «hung jury» – ein gespaltenes Geschworenengericht.
Unabhängig davon, wie das Urteil ausfällt, dürfte es Trump im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl im November jedoch kaum schaden. Bereits eine «hung jury» wird er als Freispruch feiern. Theoretisch könnte die Anklage danach einen weiteren Prozess mit einer neuen Jury anstreben, aber bis zur Wahl ist das unrealistisch. Kommt es zu einem Schuldspruch, kann Trump das Urteil einerseits anfechten. Andrerseits dürfte er es für seinen Wahlkampf nutzen, indem er sich wie bis anhin erfolgreich zum Opfer und «Dissidenten» eines angeblich korrupten Systems stilisiert.