Fondsmanager Alexandre Stucki fokussiert sich auf Wachstumsunternehmen mit hoher Kapitalrendite. Im Interview erklärt er, warum er die Schweizer Schwergewichte Nestlé, Novartis und Roche meidet und stattdessen auf UBS, Alcon und Richemont setzt.
Der Genfer Fondsmanager Alexandre Stucki investiert mit seinem Cadmos Swiss Engagement Fonds in rund vierzig Schweizer Unternehmen, die ihren Free Cashflow nach Investitionen nachhaltig steigern und gleichzeitig eine hohe oder verbesserte Kapitalrendite erzielen. Dabei legt er auch grossen Wert auf ESG-Kriterien, insbesondere auf die Vergütungsstruktur und die Umweltauswirkungen der Unternehmen.
Im Interview mit The Market erklärt Stucki, warum er derzeit in den Schweizer Schwergewichten Nestlé, Novartis und Roche kein attraktives Potenzial sieht und stattdessen auf Unternehmen wie Alcon oder UBS setzt. Zudem spricht er darüber, was ein Wachstumsunternehmen auszeichnet, und stellt seine besten Compounder im Fonds vor.
Herr Stucki, warum fehlen die Schwergewichte Nestlé, Novartis und Roche unter den Top-Holdings Ihres Fonds?
Diese Unternehmen machen fast die Hälfte des Swiss Performance Index aus. Der Fall von Nestlé in den letzten Jahren zeigt deutlich, dass passives Investieren oder eine Orientierung am Benchmark in der Schweiz ein erhebliches Risiko birgt.
Warum orientieren sich Investoren trotzdem häufig so stark an der Benchmark?
Pensionskassen und ihre Berater bevorzugen diesen Ansatz. Auffallend ist, dass viele Pensionskassen nicht nur Schweizer Aktien stark übergewichten, sondern innerhalb dieses Anteils rund 50% in Nestlé, Novartis und Roche halten – ein klarer Widerspruch zu anerkannten Diversifikationstheorien.
Sehen Sie bei den Schweizer Schwergewichten kein Potenzial?
Jeder kennt Nestlé, Novartis und Roche aufgrund ihrer langen Geschichte und wirtschaftlichen Bedeutung für die Schweiz. Mit Blick auf die nächsten zehn Jahre sind sie jedoch nicht unbedingt die besten Investitionen. 2025 dürfte das Wachstum von Nestlé und Novartis gering ausfallen und sich mittelfristig im einstelligen Bereich bewegen.
Trauen Sie der neuen Nestlé-Führung mit der Konzentration auf das Kerngeschäft keine Trendwende zu?
Ich war von Anfang an skeptisch gegenüber dem ehemaligen CEO Mark Schneider. Sein Ziel, Nestlé Health Science auszubauen, hat er verfehlt. Während der Pandemie vollzog er überteuerte Akquisitionen und verlor den Fokus auf die Kernbereiche des Konzerns. Umso erstaunlicher, dass er trotz ausbleibender Erfolge und steigender Vergütung so lange im Amt blieb. Enttäuschend ist auch, dass es im Verwaltungsrat keine personellen Veränderungen gab.
Von dem neuen CEO Laurent Freixe, der im August das Zepter übernahm, sind Sie nicht überzeugt?
Laurent Freixe ist eine integre und erfahrene Führungspersönlichkeit, steht jedoch kurz vor der Pensionierung. Es sind umfassende und tiefgreifende Veränderungen dringend erforderlich.
Wie radikal sollte das Management sein?
Nestlé sollte sich konsequent von Bereichen trennen, die weder die erwartete Leistung erbringen noch zur strategischen Ausrichtung passen. Dazu gehört Nestlé Health Science.
Nestlé bietet derzeit eine Dividendenrendite von 3,9%. Spricht das für eine Investition?
Ja, Nestlé ist derzeit vor allem eine Dividendenstory. Allerdings besteht weiterhin das Risiko von Enttäuschungen, insbesondere durch mögliche Abschreibungen auf teure Übernahmen aus der Schneider-Ära. Auf der anderen Seite könnte der Einstieg eines aktivistischen US-Investors für tiefgreifende Veränderungen sorgen und den Konzern wieder auf Kurs bringen.
Wie steht es um den Pharmakonzern Roche, der am Donnerstag seine Zahlen präsentiert? Der negative Basiseffekt des Pandemiebooms ist überwunden, und Konzernchef Thomas Schinecker will die Forschung effizienter aufstellen.
Roche hat die grosse Patentklippe überwunden und verzeichnet nun ein leichtes Wachstum. Die grössten Hoffnungen ruhen auf dem Adipositas-Pipeline-Kandidaten, der mit der Übernahme von Carmot Therapeutics ins Portfolio kam. Angesichts der starken Konkurrenz ist der Erfolg jedoch ungewiss. Zudem blieben die jüngsten F&E-Ergebnisse in den Bereichen Adipositas, Parkinson und Alzheimer hinter den Erwartungen zurück. Mangels kurzfristiger Katalysatoren ist daher auf dem aktuellen Kursniveau Vorsicht geboten.
Warum sehen Sie beim Augenheilspezialisten Alcon mehr Chancen als bei Roche und Novartis?
Alcon ist ein Compounder, der nicht zu teuer ist. Der Augenheilspezialist wächst mit 5 bis 7% deutlich dynamischer als andere Pharmaunternehmen.
Seit der Auflage im Jahr 2014 hat Ihr Fonds die Benchmark deutlich übertroffen. Welche Faktoren haben zur Underperformance 2024 geführt?
Die schwache Entwicklung zahlreicher Small Caps im Portfolio, darunter Bachem oder Interroll, hat die Performance belastet. Im Gegensatz dazu besteht der Swiss Leader Index als Benchmark aus den dreissig liquidesten Schweizer Titeln. Die Underperformance der Small Caps ist ein globales Phänomen, das unter anderem durch den vermehrten Einsatz von ETF und den Rückgang der Finanzanalysten beeinflusst wird.
Welche Positionen haben Sie aufgrund veränderter Rahmenbedingungen reduziert?
2024 habe ich meine Beteiligungen an Emmi und Ems-Chemie verkauft. Emmi hat die Übernahme von Mademoiselle Desserts abgeschlossen, doch die versprochenen strategischen Vorteile und Synergien haben mich nicht überzeugt. Ems-Chemie hingegen ist stark von der kriselnden europäischen Automobilindustrie abhängig – einer Branche mit tiefgreifenden strukturellen Problemen, die sich nicht kurzfristig lösen lassen.
Sie sprechen die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland an. Welche Unternehmen sind neben Ems-Chemie betroffen?
Dazu gehören Unternehmen wie Geberit oder SFS Group, die wie Ems-Chemie über 20% ihres Umsatzes in Deutschland erwirtschaften. Als wichtigster Handelspartner der Schweiz in Europa stellt die angespannte Wirtschaftslage in Deutschland eine grosse Herausforderung dar.
Hinzu kommen die Zollsorgen um China.
Über Trump und mögliche Zölle gegen China ist bereits viel diskutiert worden. Viele Unternehmen spüren die Auswirkungen schon jetzt, und der Druck dürfte weiter steigen. Trump handelt jedoch nach einem transaktionalen Prinzip – es bleibt spannend, wie sich die Situation entwickelt.
Wir berücksichtigen sowohl finanzielle als auch ESG-Kriterien. Finanziell fokussieren wir uns auf Wachstum, Free-Cashflow-Performance und Kapitalrendite (ROIC). Auf ESG-Ebene legen wir besonderen Wert auf die Vergütungsstruktur und die Umweltauswirkungen.
Wann ist ein Unternehmen in finanzieller Hinsicht konkret ein Gewinner?
Wenn es seinen freien Cashflow nach Investitionen steigern und gleichzeitig eine hohe oder verbesserte Kapitalrendite erzielen kann. Nestlé ist ein Beispiel für ein Unternehmen, dem das nicht gelungen ist. Trotz solider Cashflows blieb die Kapitalrendite für einen Lebensmittelhersteller auf einem mittelmässigen Niveau. Im Gegensatz dazu überzeugt Geberit mit einem Geschäftsmodell, das langfristigen Erfolg auf einer starken Kapitalrendite aufbaut. Genau solche nachhaltigen, renditestarken Unternehmen sind für mich die besten Investitionen.
Wie lässt sich Ihre starke Überzeugung hinsichtlich UBS in diesem Kontext erklären?
UBS zählt zu den weltweit führenden Vermögensverwaltern mit über 4 Bio. $ an verwaltetem Vermögen und ist Marktführer in der Asien-Pazifik-Region. Die Vermögensverwaltung bietet eine stabile, skalierbare und wiederkehrende Einnahmequelle. Besonders das US-Geschäft eröffnet erheblich Potenzial zur weiteren Steigerung der Rentabilität.
Welche Rolle spielt die Übernahme der Credit Suisse in Ihrer Einschätzung?
Die nahezu kostenlose Übernahme der Credit Suisse war eine einmalige Gelegenheit. Meine Einschätzung war: Solang die Aktienmärkte stabil bleiben oder steigen, wird sich dieser Deal für die UBS auszahlen. Die positive Entwicklung an den Weltbörsen hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Integration der Credit Suisse und der Abbau der Altlasten reibungslos verlaufen sind. Dank des günstigen Marktumfelds ist die UBS heute stärker denn je.
Wie bewerten Sie das regulatorische Risiko?
Die Schweiz hat die UBS zur Übernahme der Credit Suisse gedrängt – es wäre kontraproduktiv, nun strengere Vorschriften einzuführen als etwa die US-Behörden für Grossbanken wie JPMorgan oder Morgan Stanley. Zusätzliche Kapitalanforderungen könnten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der UBS beeinträchtigen. Hier ist ein pragmatischer und ausgewogener Ansatz gefragt.
Warum ist der Finanzsektor in Ihrem Portfolio generell deutlich übergewichtet?
Dies ist vor allem auf die Positionen in Swissquote und VZ Holding zurückzuführen. Auch Partners Group gehören seit Beginn zu den Kerntiteln des Fonds. Die Gewichtung anderer Unternehmen wie Swiss Life oder Zurich Insurance orientiert sich weitgehend am Index. Trotz unterschiedlicher Geschäftsmodelle profitieren Partners Group, Swissquote und VZ Holding von starken Neugeldzuflüssen.
Wie wirkt sich das gegenwärtige Zinsumfeld auf Versicherer aus?
Für den Schweizer Versicherungssektor sind 2025 zwei makroökonomische Faktoren entscheidend: Zinsen und Kreditrisiken – beide scheinen derzeit gut unter Kontrolle. Die Dividendenrenditen kotierter Schweizer Versicherer liegen deutlich über der Marktrendite und bleiben ein wichtiger Anreiz für Anleger, während die Bewertungen weiterhin attraktiv erscheinen.
Wie sehen Sie die Ausgangslage für Swiss Life und Zurich Insurance?
Zurich Insurance hat sich unter Mario Greco mit erfolgreichen Kostensenkungen und einer strategischen Neuausrichtung des Versicherungsportfolios hervorragend positioniert. Swiss Life bleibt, obwohl sinkende Zinsen für das Lebensversicherungsgeschäft herausfordernd sind, vor allem durch ihr starkes Engagement im Immobiliensektor attraktiv.
ABB hat eine prominente Position im Fonds. Wie bewerten Sie die Aktien nahe dem Rekordhoch und vor der Präsentation der Jahresergebnisse am Donnerstag?
Die Geschäftsbereiche Elektrifizierung und Antriebstechnik bleiben starke Wachstumstreiber für ABB. Die anhaltende Schwäche in der Maschinenautomation und die verhaltene Nachfrage in der Robotik belasten jedoch den Aktienkurs. Der neue CEO Morten Wierod sieht jedoch in allen Unternehmensbereichen erhebliches Verbesserungspotenzial und plant, neue, ambitioniertere Ziele zu setzen, nachdem die bisherigen weitgehend erreicht wurden.
Welche Titel in Ihrem Portfolio entsprechen am ehesten einem klassischen Compounder?
Grundsätzlich sollen alle Titel im Fonds das Potenzial eines Compounders haben. Angestrebt wird ein langfristiges durchschnittliches Wachstum von 8 bis 10% pro Jahr. Besonders hervorzuheben sind diesbezüglich Belimo und VZ Holding. VZ Holding verzeichnet kontinuierliche Zuflüsse von 2 bis 3 Mrd. Fr. pro Jahr und zeigt eine beeindruckende Stabilität – fast wie ein Schweizer Uhrwerk. Belimo hingegen überzeugt durch ein starkes Umsatzwachstum und eine eindrückliche Erfolgsgeschichte.
Was zeichnet für Sie ein echtes Wachstumsunternehmen aus?
Ein echtes Wachstumsunternehmen definiert sich nicht nur über steigende Umsätze, sondern auch über Volumenwachstum und einen attraktiven Produktmix. Preissetzungsmacht ist zwar vorteilhaft, reicht aber allein nicht aus. Margenverbesserungen sind hilfreich, aber ohne nachhaltiges Umsatzwachstum langfristig kaum realisierbar.
Givaudan ist im Fonds ebenfalls übergewichtet. Wie passt das Unternehmen in Ihre Definition der Wachstumswerte?
Givaudan strebt ein jährliches Umsatzwachstum von 4 bis 5% sowie eine Free-Cashflow-Rendite von mindestens 12% an. Dies wird durch die Fokussierung auf zentrale Wachstumsmärkte und verschiedene Kundensegmente erreicht. 2024 soll das Umsatzwachstum, angetrieben von Fine Fragrance, über 10% betragen.
Das Medtech-Unternehmen Ypsomed erlebt gerade jetzt einen extremen Wachstumsschub.
Der Boom rund um Abnehmspritzen wird nicht verschwinden. Selbst mit dem Aufkommen von Generika bleibt ein Liefersystem zur Medikamentenverabreichung essenziell – und Ypsomed spielt hier eine Schlüsselrolle. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn die aktuellen Prognosen sind ambitioniert, und die Bewertung ist entsprechend hoch. Letztlich bleibt Ypsomed ein Hardware-Unternehmen. Medtech-Firmen wie Straumann oder Sonova sind hervorragend, aber sie sind nicht die Googles oder Amazons dieser Welt.
Der Schmuck- und Uhrenhersteller Richemont überrascht mit starken Umsatzzahlen. Sind Sie erstaunt?
Als eine der stärksten und renommiertesten Marken im Luxussegment ist Cartier das Herzstück von Richemont. Die Übernahme war für die Familie Rupert ein Glücksgriff. Wer in Richemont investiert, tut dies wegen Cartier und Van Cleef & Arpels, die langfristiges strukturelles Wachstum versprechen.
Ein starker Kontrast zu Swatch Group – der Konkurrent leidet unter der schwachen Nachfrage aus China.
Swatch Group zeigt einmal mehr, dass sie eigentlich nie börsenfähig war. Die jüngsten Unternehmensentscheidungen und die Kommunikation mit Investoren wie mir belegen dies eindrucksvoll.
Welches Unternehmen könnte in den kommenden Wochen mit seinen Zahlen ebenfalls überraschen?
Belimo und Swissquote haben bereits bemerkenswerte Ergebnisse für 2024 vorgelegt. Straumann könnte mit vielversprechenden Aussichten in Nordamerika überraschen, während UBS von der anhaltenden Stärke der Aktienmärkte profitieren dürfte.
Zur Person
Alexandre Stucki
Der 52-jährige Schweizer Alexandre Stucki gründete AS Investment Management im Jahr 2006 und ist als geschäftsführender Gesellschafter für das Portfoliomanagement der Unternehmensfonds verantwortlich. Er hat umfassende Erfahrung in der Vermögensverwaltung und bekleidete zahlreiche Führungspositionen, unter anderem als Leiter der Research-Abteilung und des Fondsmanagements bei Mirabaud & Cie in Genf sowie als Fondsmanager für europäische Aktien bei WP Stewart & Co in New York und London. Alexandre Stucki hat ein Jurastudium an der Universität Genf abgeschlossen und ein Nachdiplomstudium in Rechnungswesen und Finanzen an der London School of Economics absolviert.