Wenn ein Unternehmen wie die SBB neue Wege mit neuen Technologien gehen will, gilt es selbstverständlich ganz genau hinzusehen. Leider werden Digitalisierungsbemühungen zu oft von Daten-Paranoia überschattet.
Die Eidgenossenschaft hat eine neue Datenkrake: die SBB. Vor einer Woche veröffentlichte das Konsumentenmagazin «K-Tipp» einen internen Beschaffungsplan der Schweizerischen Bundesbahnen. Darin hiess es, das Staatsunternehmen wolle an 57 Bahnhöfen Kameras zur Gesichtserkennung einsetzen.
Seither herrscht Panik. In einigen Medien ist von einem «Angriff auf SBB-Reisende» die Rede – oder vom «totalen Überwachungsbahnhof». Der Aufschrei in den sozialen Netzwerken war wie üblich besonders laut. Sofort wurde der Vergleich zu Chinas digitalen Bürger-Überwachungs-Systemen gezogen. China hat in manchen Städten Tausende Kameras installiert, um Gesichter zu analysieren. Die örtliche Polizei kann damit in Echtzeit verfolgen, wer sich wo mit wem trifft – und direkt einschreiten, wenn ihr etwas nicht gefällt.
Die SBB machen mit den Daten nur ihren Job
Die Bilder, die hier in den Köpfen entstehen, sind stark. So stark, dass manche vergessen, worum es eigentlich genau geht: Die SBB möchten mit ihrer Initiative nämlich nichts anderes tun als ihren Job. Das oberste Ziel der Schweizerischen Bundesbahnen lautet nämlich: «Sicherheit, Pünktlichkeit, Sauberkeit und Zuverlässigkeit stärken und die Resilienz im Bahnsystem erhöhen.» Und: «Bahnhöfe und deren Umfeld zu lebendigen Stadtquartieren entwickeln und einen attraktiven Zugang zur Bahn sicherstellen.» Das geht in unseren digitalen Zeiten nun einmal am besten, wenn man möglichst viele Daten zur Verfügung hat.
Nein. Es geht den SBB nicht darum, jeden Einzelnen von uns auf Schritt und Tritt zu überwachen. Es kommt auch keine Gesichtserkennung zum Zug – eine Behauptung, die irrtümlich in die internen Dokumente hineininterpretiert wurde. Es gibt tatsächlich Technologien, die beispielsweise das Alter einer Person anhand ihres Ganges ermitteln können.
Aber warum sollten die SBB überhaupt Big Brother spielen wollen? Um seine Ziele zu erreichen, ist das Unternehmen SBB nicht an einzelnen Personen interessiert, sondern daran, zu verstehen, wie seine Kundschaft als Ganzes den Bahnverkehr nutzt. Die Bundesbahnen wollen ihren Passagieren möglichst viel Komfort beim Reisen bieten und dafür sorgen, dass alle rechtzeitig ans Ziel kommen.
Die Bahn muss sich jetzt erklären
Selbstverständlich sind die SBB derzeit in Erklärungsnot, das haben sie sich selber zuzuschreiben. Die bisherige Kommunikation war katastrophal. Die Bahn muss nun dringlichst transparent machen, wie sie in der Lage ist, die gewünschte Statistik zu erstellen, ohne dabei personenbezogene Daten zu sammeln; und zwar nicht nur im Endprodukt, sondern in allen Phasen der Erhebung. Und sie muss erklären können, inwiefern alle SBB-Reisenden davon profitieren werden. Denn die Frage der meisten Bürgerinnen und Bürger ist vollkommen berechtigt: «Warum brauchen das die SBB überhaupt?»
Dabei gäbe es so viele Antworten: Mit mehr und besseren Daten zu den Passagierströmen – und besseren Statistiken dazu, wer wann welche Verbindungen nutzt – wird die Bahn die Pünktlichkeit und den Komfort verbessern. Die SBB könnten beispielsweise untersuchen, ob gewisse Züge auf dieselbe Plattform geleitet werden sollten, damit die Passagiere einen möglichst kurzen Weg zum Umsteigen haben. Sie könnten prüfen, auf welchen Strecken Familienwagen gefragt sind, und sie könnten Hinweise darauf bekommen, wo welche Ladenangebote in den Bahnhöfen am meisten Sinn ergeben.
Die Skeptiker sind derzeit die Gewinner
Die Technologie-Skepsis, die den datengetriebenen Bemühungen der SBB jetzt entgegenschlägt, kennt nur einen Gewinner. Das sind die Technologie-Bremser innerhalb der SBB. «Wir haben’s doch schon immer gesagt, das wollen wir Schweizer nicht», raunen derzeit viele an der Hilfikerstrasse 1, dem Hauptsitz der SBB in Bern. Doch nicht nur die SBB-Digitalisierer sind die Verlierer, auch die Schweizer Bahnkunden haben nichts zu gewinnen.
Denn wenn den Planern des öffentlichen Verkehrs moderne Werkzeuge verwehrt bleiben, wird ihre Arbeit darunter leiden. Es soll sich dann niemand darüber wundern, wenn sich der Bereich Verkehr dereinst auch zu den anderen eidgenössischen digitalen Wüsten gesellt. Das Gesundheitswesen lässt grüssen.