Hat der britische Pop-Star Inspirationen für sein Album «Outside» in einer österreichischen Nervenheilanstalt gefunden? Ein Bildband dokumentiert die Begegnung David Bowies mit den künstlerisch versierten Insassen Guggings.
Es war nur ein kurzer Besuch. Im September 1994 war David Bowie für zwei Tage zu Gast in der Nervenheilanstalt Gugging bei Wien – besser bekannt unter dem Namen «Haus der Künstler». Der Pop-Star kam nachgerade anonym, zusammen allerdings mit Brian Eno und André Heller, der den Termin vermittelt hatte.
Bowie ahnte, was ihn erwartete; die Insassen der Anstalt hingegen kannten ihn nicht. Gleichwohl entstand für kurze Zeit ein inniges Verhältnis zwischen den so ungleichen Personen: hier die geistig kranken Männer, «dauerhospitalisierte Aussenseiter», die unter der behutsamen Leitung ihres Psychiaters Leo Navratil zu beeindruckenden literarischen und malerischen Werken fähig waren, die bald unter dem Begriff «art brut» für Erregung sorgen sollten in der Kunstwelt. Dort der Pop-Sänger, der nach Inspiration suchte für neue musikalische Ausbrüche und den die «Botschaften aus der Dunkelkammer des Wahnsinns» besonders interessierten.
Am Kaffeetisch
In Gugging durften sich Menschen, die die Gesellschaft an den Rand geschoben hatte, mit all ihren Sinnen ausdrücken, entwickeln, öffnen. Bowie mischte sich staunend unter sie, sprach mit ihnen, liess sich ihre Werkzeuge zeigen, er lachte mit ihnen, ungezwungen, uneitel. Er sass am Tisch beim gemeinsamen Kaffeetrinken und machte Skizzen in seinem Zeichenblock.
Die Begegnung mit den Künstlern sei für den Künstler «jenseits Pop-Star-mässiger Selbstinszenierung» kostbar gewesen, heisst es im Buch «Sternenmenschen», das der Autor Uwe Schütte Bowies Besuch in Gugging gewidmet hat. «Gugging was an incredible experience», sagte Bowie zuletzt. Dass die Erfahrungen in Gugging Einfluss hatten auf «Outside», das wohl sperrigste Bowie-Album, darf angenommen werden.
In «Sternenmenschen» verquickt Uwe Schütte Bowies Erlebnis mit eigenen Erfahrungen, die er als Besucher in Gugging machte. In einem anregenden und Grenzen sprengenden Essay kommt er nach vielen interpretatorischen Umwegen und atmosphärischen Beschreibungen der Anstaltswelt zu folgendem Schluss: Gugging habe im Bereich der bildenden Kunst ein faszinierendes Modell dafür geliefert, was es heisse, ausserhalb der dominanten Kunstszene zu stehen. Diese Erkenntnisse galt es für Bowie dann «an die Erfordernisse einer Hervorbringung avancierter Pop-Musik» anzupassen.
Die Gugginger Künstler werden diesen Gedanken kaum erfasst und die Suche des Musikers im futuristisch-surrealen Handlungsraum, in dem sich «Outside» bewegt, nicht nachvollzogen haben. Ihr Verhältnis zu Bowie aber war herzlich und von Neugierde geprägt. Das zeigen in Schüttes Buch auch die sensationellen Fotos von Christine de Grancy. Die Künstlerin mit der Kamera, die jahrzehntelang fürs Burgtheater arbeitete, hat Bowie und die Maler August Walla und Oswald Tschirtner, den Lyriker Ernst Herbeck und andere Insassen unaufdringlich begleitet (sie selber konnte die Veröffentlichung ihrer Fotos im Buch nicht mehr erleben, sie starb im vergangenen Monat 82-jährig in Wien).
So entstanden Bilder aus dem Innersten Guggings, wie sie schon der Schriftsteller Gerhard Roth beschrieben hat, dem das Haus der Künstler viele Jahre ein Ort des Anstosses und Quelle seiner Literatur war. Die besondere Atmosphäre führte Roth genauso wie Bowie auf die aussergewöhnliche Persönlichkeit des Psychiaters Navratil zurück: Schizophrenie sei für diesen Seelenarzt gleichsam ein falsches Bewusstsein gewesen, schreibt Schütte: «Eine Ideologie im Kleinen und Individuellen, während politische Ideologien eine Schizophrenie des kollektiven Bewusstseins darstellten.»
Persönliche Ängste
Bowie interessierte sich aber nicht nur als Künstler für die Anstalt, sondern auch aus ganz persönlichen Gründen. Er hatte einen unheilbar psychisch kranken Halbbruder – und in ihm selber arbeiteten Ängste. Diese habe er zu bewältigen versucht, schreibt Schütte, indem er sich ständig verwandelt habe, als Künstler Masken getragen habe, «um der allgemeinen Gefahr schizophrener Persönlichkeitszerstörung, die er genetisch in sich verankert glaubte, gleichsam stets einen Schritt voraus zu sein».
David Bowie lernte im Haus der Künstler jedenfalls viel über sich selber. Und «Sternenmenschen» ist ein wundervolles Bilder- und Gedankenbuch über Menschen, die in der Tat «outside» einer normalen gesellschaftlichen Ordnung stehen, denen die Phantasie und die Freude am Andersartigen aber ungeahnte künstlerische Aus- und Umwege bereithält.
Uwe Schütte: Sternenmenschen. Bowie in Gugging; mit Fotografien von Christine de Grancy. Starfruit-Verlag, 2025. 248 S., Fr. 38.90.