Der Dax-Wert ist anders als der Schweizer Konkurrent Tecan kaum von den Einsparungen der US-Regierung betroffen. Bei der Kapitalrendite sind Biomérieux und Diasorin besser, allerdings auch teurer. Der Sektor bietet Chancen für langfristig orientierte Investoren.
«Die besten Unternehmen bleiben gut. Eine hohe Kapitalrendite verschwindet nicht über Nacht.»
Christopher Hohn, Gründer des Hedge Fund TCI
Das Geschäft mit medizinischen Proben und Analysen hat Aktionären in der vergangenen Dekade viel Rendite eingebracht. Die Diagnostiktitel Diasorin aus Italien und Tecan aus der Schweiz haben ihren Kurs zwischen 2014 und Ende 2021 mehr als vervierfacht. Das Dax-Mitglied Qiagen hat in diesem Zeitraum immerhin eine Kursverdoppelung geschafft.
Seit dem Ende der Pandemie und der durch sie verursachten Sonderkonjunktur im Gesundheitssektor sind die Kurse deutlich zurückgegangen, aber Diasorin und die französische Biomérieux gehören immer noch zu den grössten Wertsteigerern für Aktionäre in Europa auf Zehnjahressicht.
Bei Tecan ist es ein Kursplus von 35% (was über zehn Jahre keine beeindruckende annualisierte Rendite ergibt). Qiagen behauptet noch eine Avance von 53%, etwa so viel wie der Dax (50%). Seit dem Höhepunkt der Coronapandemie vor fünf Jahren ist Qiagen mit –7% aber weit hinter den Index zurückgefallen (+85%).
Das Diagnostikgeschäft hat den gleichen Vorzug wie der Verkauf von Nespresso-Kaffeekapseln, sagt Heiko Böhme, Kapitalmarktstratege bei der Investmentgesellschaft Shareholder Value Management, deren Frankfurt Modern Value ETF bei Biomérieux und Diasorin engagiert ist: stetig wiederkehrende Einnahmen. Diasorin stelle Analysegeräte mitunter sogar gratis in Labore, um danach an den Tests zu verdienen.
Der Kursrutsch könnte eine Gelegenheit zum Einstieg darstellen, um von der langfristigen Wertsteigerung der Diagnostikunternehmen zu profitieren. Doch auch nach dem Kursrückgang sind nicht alle Aktien des Sektors auf den ersten Blick niedrig bewertet.
Biomérieux, Diasorin und Tecan liegen beim Kurs-Gewinn-Verhältnis deutlich höher als der Dax-Wert Qiagen.
Qiagen ist sogar so günstig bewertet wie in der vergangenen Dekade nicht mehr, zeigt ein Blick auf die Free-Cashflow-Rendite.
Erst Anfang April hat Qiagen die Jahresprognose erhöht und will auch die Mittelfristziele schneller erreichen. Ist die Aktie damit attraktiv, oder gibt es gute Gründe für die niedrige Bewertung? Bietet der Dax-Konzern die besten Chancen oder doch die über zehn Jahre betrachtet weit stärkeren Wettbewerber aus Italien, Frankreich und der Schweiz?
Qiagen wurde 1984 von Metin Colpan, Karsten Henko und Jürgen Schuhmacher in Hilden (nahe Düsseldorf) gegründet. Henko gründete später zusammen mit Manfred Eigen den im SDax notierten Laborausrüster Evotec, auch Schuhmacher zog weiter.
Colpan führte das Unternehmen seit 1985 als CEO und sitzt seit 2004 im Kontrollgremium. Seine Eltern waren aus der damals sowjetischen Ukraine zunächst in die Türkei ausgewandert. Er wuchs dann in Darmstadt auf, studierte Chemie und entwickelte im Rahmen seiner Doktorarbeit 1978 an der dortigen Technischen Universität ein Verfahren, um DNA und RNA (also Biomoleküle, die Erbinformationen speichern und übertragen) effizienter und umfassender zu isolieren: die Keimzelle von Qiagen.
Unternehmenssitz ist das niederländische Venlo. Die Gesellschaft berichtet in Dollar, denn zu Beginn des Technologiebörsenbooms 1996 führte Colpan sie an die US-Börse Nasdaq. Mit der ihm eigenen, stoischen Ruhe brachte der 1,90 Meter grosse Manager Qiagen durch den folgenden Börsencrash.
Der 69-Jährige hält inzwischen allerdings nur noch Qiagen-Aktien im Wert von gut 6 Mio. €. Während der Coronapandemie, als auch Qiagen von der Nachfrage nach Virustests profitierte, verkaufte er den Grossteil seiner verbliebenen Anteile für mehr als 120 Mio. €.
Seit die Pandemie endete und die Nachfrage nach Coronatests einbrach, ist auch der Umsatz von Qiagen geschrumpft. 2024 legte das Unternehmen ein Spar- und Effizienzprogramm auf und stellte ein margenschwaches Produkt namens NeuMoDx ein. Für die Zukunft verspricht die Konzernführung wieder Wachstum, gestützt auf gleich mehrere Treiber.
Die Aufbereitung von Erbgut ist noch heute eines der Geschäftsfelder von Qiagen. Das Analysegerät Qiacuity vervielfältigt Abschnitte des Erbguts zur Untersuchung. Genutzt wird es von Forschern und Medizinern, aber auch von der Polizei zum Erstellen genetischer Fingerabdrücke. Qiagen gehört zu den grössten drei Anbietern.
Rund 60% Marktanteil besitzt Qiagen bei Sets und Instrumenten, die zum Sammeln, Aufbewahren und Reinigen von Blut- und Gewebeproben dienen. Rund 60% des Umsatzes erzielen per Hand eingesetzte Sets, 40% bringen Instrumente oder Sets für Automaten.
Die grösste Sparte, Diagnostik, besteht zur Hälfte aus dem Produkt QuantiFeron, einem Bluttest zur Erkennung von Tuberkulose. Weil das Verfahren die älteren Hauttests ersetzt, wuchs der Absatz im ersten Quartal um 15%. Bei dieser Diagnosemethode hat Qiagen mehr als 70% Marktanteil.
Die QuantiFeron-Diagnosesets kommen zum Beispiel in schrankgrossen Analysegeräten von Diasorin weltweit in Laboren zum Einsatz. Im Angebot ist aber auch ein eigenes Analysegerät namens Qiastat, dessen neueste Generation bis zu 160 Tests pro Tag ermöglicht, zum Beispiel auf Atemweg- und Magen-Darm-Erkrankungen oder auch Meningitis. Weitere Einnahmen bringt Bioinformatiksoftware für die Analyse von Testergebnissen.
2024 erreichte das Unternehmen 1,98 Mrd. $ Umsatz bei 567 Mio. $ bereinigtem Ebit. Die Nettoverschuldung von 360 Mio. $ ist gering. Die neuen Mittelfristziele sehen 7% organisches Wachstum pro Jahr vor.
Dazu will der seit 2004 amtierende Finanzchef Roland Sackers weiter Aktien zurückkaufen. 2024 wurden bei einem synthetischen Rückkauf jeweils 36 Titel zu 35 konsolidiert und eine Kapitalrückzahlung von 1.26 $ je vor dem Reverse Split gehaltene Aktie geleistet. Durch die Aktion im Volumen von 300 Mio. $ sank die Zahl der umlaufenden Aktien um 2,8%. Bis 2028 soll insgesamt 1 Mrd. $ an die Anleger zurückfliessen, 600 Mio. $ davon hat Qiagen bereits ausgeschüttet.
Ausserdem will CEO Thierry Bernard mit Übernahmen den Gewinn steigern. «Wir haben viel Feuerkraft und eine reiche Pipeline», sagte er Anfang März an der Branchenkonferenz des US-Brokers TD Cowen. Die Zielunternehmen hätten eine Grössenordnung von 25 bis 50 Mio. € Umsatz.
Gegenwind für die Diagnostikbranche würden Kürzungen der Forschungsförderung der US-Regierung für die Universitäten bedeuten. Ein Regierungsentwurf sieht Einsparungen von 40% beim dafür zuständigen National Institute of Health vor, berichtet die «Washington Post». Solche US-Fördermittel machen jedoch nur 3 bis 4% des Umsatzes von Qiagen aus, sagt CEO Bernard.
US-Zölle auf Pharmaprodukte könnten Qiagen stark betreffen, falls sie Diagnostikprodukte umfassen. Das US-Geschäft steht für die Hälfte des Umsatzes, das meiste davon wird aus Europa exportiert. Die Regierung habe angedeutet, dass es keine Zollbefreiung für Diagnostik geben werde, sagt Bernard, der im US-Branchenverband AdvaMed aktiv ist. Die Diagnostikbranche setze sich jedoch weiter für eine Befreiung ein.
Die Zollpolitik ist von aussen betrachtet ein ernsthaftes Risiko für Qiagen. Doch offenbar ist Konzernchef Bernard deswegen nicht bang: Er hat am 6. April die Jahresprognose für den währungsbereinigten Gewinn pro Aktie von zuvor 2.28 auf 2.35 $ erhöht. Dies «vor dem Hintergrund des starken Umsatzwachstums im ersten Quartal und der aktuellen Geschäftsentwicklung, auch unter Berücksichtigung der Gegenwinde durch die kürzlich angekündigten US-Importzölle», wie es in der Pressemitteilung dazu heisst.
Die bereinigte operative Marge soll sich 2025 auf mehr als 30% ausdehnen. 2023 lag sie bei 21%. Im vergangenen Jahr war sie auf 4,9% gefallen, wegen der Kosten des Effizienzprogramms. Mittelfristig, bis 2028, hatte Qiagen zuvor einen Wert von 31% angepeilt, den sie nun aber deutlich früher erreichen will.
Im Konkurrenzvergleich hat Qiagen jedoch eine erhebliche Schwäche: Bei der Rendite auf das investierte Kapital (Return on Invested Capital, ROIC) liegt sie deutlich unter den Wettbewerbern.
«Die Verbesserung der Rendite auf das investierte Kapital ist eine strategische Priorität von Qiagen», teilt das Unternehmen mit. Ein Unternehmenssprecher verweist darauf, dass sich Qiagen seit Jahren in einem Investitionszyklus befinde, was die Kapitalrendite belaste. Neue Systeme wie Qiacuity und Qiastat-Dx befänden sich in der Frühphase der Kommerzialisierung. Auch die Einstellung margenschwacher Produkte belaste derzeit noch die Kapitalrendite.
Ausserdem sei die niedrigere Kapitalrendite auch im Geschäftsmodell begründet, so der Sprecher weiter: Qiagen habe ein hybrides Modell aus Life Sciences und Molekulardiagnostik. Diese Struktur erfordere höhere Vorabinvestitionen in Forschung, Automatisierung und Infrastruktur. Vergleichswerte wie Diasorin oder Biomérieux hätten dagegen einen engeren Fokus auf rentablere Spezialsegmente.
Die Rendite auf das investierte Kapital ist ein guter Indikator dafür, wie viel Wert ein Unternehmen für seine Aktionäre schafft. Die niedrigere Kapitalrendite von Qiagen ist eine plausible Erklärung dafür, warum Biomérieux und Diasorin auf Zehnjahressicht ihren Börsenwert deutlich stärker gesteigert haben als der Dax-Konzern.
Ähnlich schwach bei der Kapitalrendite wie Qiagen war zuletzt die Schweizer Tecan. Das Unternehmen ist stark von den Einsparungen der US-Regierung bei den Fördermitteln für medizinische Forschung und von der Zurückhaltung anderer US-Kunden betroffen, wie The Market bereits berichtet hat.
Für langfristig orientierte Investoren sind Diasorin und Biomérieux daher die attraktiveren Aktien als Qiagen und Tecan. Denn es gilt, was Christopher Hohn, Gründer des Hedge Fund TCI, Ende April an der Jahreskonferenz des norwegischen Staatsfonds gesagt hat: «Die besten Unternehmen bleiben gut. Eine hohe Kapitalrendite verschwindet nicht über Nacht.» Nun ist Qiagen kein schlechtes Unternehmen, aber eben auch nicht so profitabel wie die beiden Diagnostikrivalen aus Italien und Frankreich.
Die derzeitige Bewertung von Diasorin und Biomérieux ist wegen des langfristigen Potenzials kein Ausschlusskriterium gegen eine Investition, denn dank ihrer Technologie und der grossen Zahl in Laboren installierter Analysegeräte sind Margen und Kapitalrendite gut gegen Wettbewerbsdruck geschützt.
Qiagen könnte dagegen eine spannende taktische Investition sein, für einen kürzeren Zeithorizont. Denn der Bewertungsabschlag zu den Wettbewerbern und auch zur eigenen Börsenhistorie wirkt übertrieben. Für Qiagen gilt der gleiche Befund wie für die Kunden des Unternehmens aus dem Biotech-Sektor: Für positive Überraschungen braucht es wenig, und die Bewertung ist attraktiv.
Das grösste Risiko bleiben die US-Zölle und die Gefahr, dass Qiagen-CEO Thierry Bernard mit seiner Prognoseanhebung unterschätzt haben könnte, welche Belastungen durch Trumps Handelspolitik auch für sein Unternehmen drohen. Vorsichtige Anleger können zunächst abwarten, welche Zollsätze auf Trumps Drohungen gegen die Pharmabranche von Mitte April folgen und wie die Branche darauf reagiert.