Weil zu wenige Zürcher Babys geboren werden, können künftige Abgänge auf dem Arbeitsmarkt nicht ersetzt werden.
Das Jahr 2050 scheint weit weg zu sein, doch aus demografischer Sicht und insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt liegt die Jahrhundertmitte quasi um die Ecke.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Fast alle Menschen, die in 25 Jahren im Erwerbsprozess stehen werden, sind bereits geboren. Dasselbe gilt für sämtliche Personen, die dann pensioniert sein werden. Somit lassen sich zur Entwicklung der erwerbstätigen Bevölkerung recht präzise Annahmen treffen.
Eine neue Untersuchung der Zürcher Volkswirtschaftsdirektion zeigt nun, dass einige Probleme auf den Kanton Zürich zukommen.
Die Schere zwischen Alt und Jung öffnet sich
Das grösste Problem ist der fehlende Nachwuchs. Noch zu Beginn der 1980er Jahre gab es rund doppelt so viele 20-Jährige wie 65-Jährige im Kanton Zürich. Für jeden Pensionierten rückten also zwei Berufseinsteiger in den Arbeitsmarkt nach. Die beiden Kurven trafen sich etwa im Jahr 2010 und verliefen einige Jahre lang parallel. Demografisch gesehen befand sich der Arbeitsmarkt also im Gleichgewicht, die Neuzugänge ersetzten die Abgänge.
Doch bereits 2029, also in nur vier Jahren, wird der Anteil der Pensionierten deutlich höher sein. Es dürfte dann etwa 16 Prozent mehr 65-Jährige als 20-Jährige geben. Somit werden sich etwa 2700 Personen mehr aus der Zürcher Arbeitswelt verabschieden, als nachrücken. Das Loch dürfte sich gemäss Studie um das Jahr 2040 kurz schliessen, sich aber wenig später wieder öffnen. Dann dürften Jahr für Jahr etwa 2000 bis 3000 Personen fehlen.
Es gibt nicht genügend Babys
Der Grund für diese Lücke ist die tiefe Geburtenrate im Kanton Zürich. Sie liegt bei 1,3 Kindern pro Frau. Um die Population aus eigener Kraft zu erhalten, wären aber 2,1 Kinder notwendig. Dieses Problem beschränkt sich beileibe nicht nur auf den Kanton Zürich. Landesweit wurde eine Geburtenrate von 2,1 Kindern zuletzt 1970 erreicht.
Bemerkenswert ist, dass die Statistiker des Bundes davon ausgehen, dass die Geburtenrate im Kanton Zürich in den kommenden Jahren von 1,3 auf 1,6 Kinder pro Frau steigen dürfte. Doch die kantonale Volkswirtschaftsdirektion erachtet einen solchen Zürcher Babyboom nicht als realistisch. Sie geht weiter von 1,3 Geburten pro Frau aus.
Zur tiefen Geburtenrate kommt hinzu, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung weiter steigt. Das Resultat ist, dass der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter im Kanton Zürich weiter schrumpfen wird. In 25 Jahren dürfte er bei etwa 59 Prozent liegen. Auf knapp sechs Personen, die arbeiten, kommen vier, die eine Rente beziehen oder die noch Kinder sind. Heute liegt der Anteil der Erwerbstätigen bei 63 Prozent.
Dieser Rückgang scheint nicht besonders hoch, doch für die Volkswirte ist vor allem der anhaltende Abwärtstrend ein Grund zur Sorge: Ein schrumpfender Teil der Bevölkerung erwirtschaftet die Wertschöpfung, ein wachsender Teil wird zu Leistungsempfängern. Und dabei steht Zürich noch besser da als die Schweiz insgesamt: Dort soll der Anteil der Erwerbstätigen bis 2050 sogar auf 55 Prozent sinken.
Die Zuwanderung als Lückenfüller
Ein offensichtlicher Weg, um die Lücken im Arbeitsmarkt zu stopfen, ist die Zuwanderung. Schon heute füllt die Schweiz so ihre leeren Stellen. Alleine 2023 verlegten netto fast 140 000 Menschen ihren Wohnsitz in die Schweiz.
«Die Zuwanderung spielt eine wichtige Rolle, um das demografische Ungleichgewicht zu lindern», sagt Luc Zobrist. Er ist der Leiter des Bereichs Volkswirtschaft beim Amt für Wirtschaft und einer der Studienautoren. «Um das heutige Verhältnis von Alt und Jung zu erhalten, wäre aber eine extrem hohe Zuwanderung notwendig, und das ist unrealistisch.»
Um nicht nur die Lücke zu schliessen, die durch die Pensionierungen entsteht, sondern auch den Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung auf dem heutigen Stand zu erhalten, müsste die Zuwanderung im Vergleich zu heute etwa verdoppelt werden. Das würde bedeuten, dass in den nächsten 25 Jahren netto rund 900 000 Menschen in den Kanton Zürich ziehen müssten.
Die Zürcher Volkswirtschafter gehen allerdings so oder so davon aus, dass die Zuwanderung in den nächsten Jahren eher schrumpfen als wachsen wird. Der Grund dafür ist, dass die europäischen Nachbarländer noch stärker altern werden als die Schweiz und diese Länder alles daransetzen dürften, ihre eigenen jungen Leute zu behalten.
Diese Verlangsamung deckt sich mit den Erkenntnissen, welche die Zürcher Regierung an einer vertraulichen Klausur 2023 beraten hatte. Auch dort war die Rede davon, dass die Bevölkerung bis 2050 weniger schnell wachsen werde als heute. Dennoch sah die damalige Prognose einen Zuwachs von 1,6 auf 2 Millionen Einwohner vor.
Rund 30 Prozent arbeiten heute Teilzeit
Um die Lücke im Arbeitsmarkt zu stopfen, gäbe es neben der Zuwanderung und einer höheren Geburtenrate noch weitere Faktoren, welche in der Studie kurz gestreift werden. So arbeitet knapp ein Drittel der Zürcher Erwerbstätigen heute nur Teilzeit, hier liegt also ein grosses Potenzial versteckt. Denkbar – und politisch genau so umstritten wie die Zuwanderung – ist ausserdem eine Erhöhung des Pensionsalters, das aber ist eine nationale, keine kantonale Aufgabe.
Schliesslich stellt sich die Frage, wie viele Arbeiten künftig ganz ohne menschliche Beteiligung erledigt werden. Bereits heute gibt es im Kanton zum Beispiel Versuche für autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr.
«Die Produktivitätsfortschritte werden sicher helfen, die Lücke im Arbeitsmarkt zu verkleinern», sagt Zobrist. «Allerdings sahen wir in den letzten Jahren auch Fortschritte in der Produktivität und eine stärkere Digitalisierung. Trotzdem ist die Zahl der Arbeitskräfte gestiegen.»
Dazu komme, dass es gerade in personalintensiven und schlecht automatisierbaren Bereichen wie der Pflege künftig mehr Personal brauchen werde.
Welchen Weg der Kanton Zürich nun am besten einschlagen soll, um die sich abzeichnende Krise auf dem Arbeitsmarkt zu bewältigen, beantwortet die Studie der Volkswirtschaftsdirektion nicht. Dies ist letztlich eine politische Frage, zu der in einem nächsten Schritt die Kantonsregierung und das Parlament Antworten werden finden müssen.