Mit einem gross angelegten Upgrade will Ethereum ein wichtiges Manko beseitigen: die schwache Skalierbarkeit. Nachdem Krypto-Platzhirsch Bitcoin über die letzten Monate Ether überflügelt hat, könnte sich das Blatt nun wenden.
Wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit einer Blockchain geht, sind in der Regel drei Merkmale entscheidend: Dezentralisierung, Sicherheit und Skalierbarkeit. Doch gemäss dem Blockchain-Trilemma ist es für eine einfache Blockchain-Architektur nicht möglich, gleichzeitig alle drei Kriterien zufriedenstellend zu erfüllen. Der im Kryptosektor wohl am meisten diskutierte Zielkonflikt lautet: Wer ein dezentrales und sicheres Netzwerk haben will, muss auf eine hohe Skalierbarkeit verzichten.
Genau in diesem Trilemma steckt Ethereum – die nach Bitcoin zweitgrösste Blockchain und das grösste und wichtigste Netzwerk, das auf dem Proof-of-Stake-Mechanismus basiert. Die Blockchain gilt als äusserst langsam, hat sich aber aufgrund ihrer Dezentralität und ihrer geringen Fehleranfälligkeit als primäre Infrastruktur für dezentrale Anwendungen etabliert – obwohl Konkurrenten wie die Solana-Blockchain Transaktionen weitaus schneller und kostengünstiger abwickeln können. Bei dieser stören sich Kryptofans jedoch an ihrem mangelhaften dezentralen Charakter.
Dencun-Upgrade: massiver Schub bei der Skalierbarkeit
Doch bald dürfte Ethereum auch in Sachen Skalierbarkeit entscheidende Fortschritte erzielen und damit den Weg aus dem Blockchain-Trilemma finden: In den nächsten Wochen – vermutlich am 13. März – steht mit dem Dencun-Upgrade eine grundlegende Neuerung des Netzwerks an. Es gilt als das wichtigste Upgrade der Blockchain seit dem «Merge» im Herbst 2022. Damals hatte Ethereum ihren Mechanismus von Proof of Work auf Proof of Stake umgestellt – und sich damit vom energieintensiven und für dezentrale Anwendungen wenig praktikablen Mining verabschiedet.
Was ändert sich genau durch Dencun?
Das Upgrade soll eine Reihe von Verbesserungen mitbringen, die darauf abzielen, die Effizienz, die Skalierbarkeit und die Benutzerfreundlichkeit von Ethereum zu erhöhen. Als die mit Abstand wichtigste Neuerung gilt das sogenannte Proto-Danksharding, das auch unter dem kryptischen Namen EIP-4844 bekannt ist. Vereinfacht gesagt ist damit ein neuer Transaktionstyp gemeint, der es erlaubt, grosse Datenmengen in einem komprimierten Datenpaket zu bündeln. Das macht die Speicherung der Daten effizienter und dadurch erheblich günstiger – und tritt damit einem der Hauptkritikpunkte am Ethereum-Netzwerk entgegen.
Wichtig ist hier zu verstehen: Das Upgrade zielt nicht darauf ab, die Geschwindigkeit auf dem Ethereum-Hauptnetzwerk (Ethereum-Mainnet) zu erhöhen. Vielmehr soll es die Transaktionen auf den sogenannten Layer-2-Netzwerken, die mit dem Mainnet verknüpft sind, kostengünstiger machen.
Zweite Ebene senkt die Kosten
Layer-2-Netzwerke – was ist damit gemeint? Dafür lohnt es sich, zunächst einen Schritt zurückzugehen.
Bei Ethereum – genauso wie bei Bitcoin – handelt es sich um eine sogenannte Layer-1-Blockchain, also um eine Art Basis-Blockchain, die das Rückgrat des Netzwerks bildet. Sie stellt grundlegende Funktionen sicher wie die Datenspeicherung, die Konsensfindung und die Sicherheit. Man könnte sie auch als klassische Blockchain bezeichnen. Der Layer 1 ist in der Regel dafür verantwortlich, dass das Netzwerk dezentral und sicher ist.
Das Problem: Das Ethereum-Netzwerk – also der Layer 1 – verarbeitet derzeit mehr als 1 Mio. Transaktionen pro Tag. Die hohe Nachfrage macht die Blockchain langsam und führt zu hohen Transaktionsgebühren. Ethereum kann nur etwa fünfzehn bis dreissig Transaktionen pro Sekunde abwickeln. Das ist viel zu wenig, wenn viele dezentrale Anwendungen gleichzeitig auf dem Netzwerk laufen sollen. Genau hier kommen die Layer-2-Blockchains ins Spiel.
Die Ebene-2-Netzwerke sollen die Skalierbarkeit auf dem Ethereum-Netzwerk erhöhen und damit das Blockchain-Trilemma lösen – oder zumindest entschärfen. Die zusätzlichen Layer-2-Blockchains, die an das Ethereum-Mainnet angeschlossen werden, steigern den Transaktionsdurchsatz (höhere Anzahl Transaktionen pro Sekunde) und entlasten das Basisnetzwerk. Dies, ohne dass bei der Dezentralisierung oder der Sicherheit Abstriche gemacht werden müssen. Schon jetzt verringern sich die Transaktionskosten durch die Layer-2-Netzwerke auf der zweiten Ebene erheblich – teilweise um bis zu 95%.
Daher sind die Zahl und die Nutzung von Layer-2-Lösungen in den letzten Jahren stark gewachsen, wie Angaben des Datenanbieters l2beat.com zeigen. Seit Oktober 2022 werden an Ethereum angeschlossene Layer-2-Blockchains regelmässig häufiger genutzt als das Ethereum-Mainnet selbst. Zuletzt lag die Anzahl durchschnittlicher Transaktionen pro Sekunde auf der zweiten Ebene bei etwa achtzig, wogegen sich die Nutzung auf dem Hauptnetzwerk seit Jahren zwischen zwölf und fünfzehn Transaktionen je Sekunde bewegt.
Gemessen an der Anzahl wöchentlicher Nutzer haben Layer-2-Lösungen das Mainnet erst im Mai 2023 überholt. Seitdem wächst der Vorsprung jedoch kontinuierlich. In der vergangenen Woche lag der Wert bei Layer-2-Netzwerken gemäss Daten von growthpie.xyz über 3 Mio., während Ethereum seit einiger Zeit um die 2 Mio. wöchentliche Nutzer verzeichnet.
Zu den wichtigsten Layer-2-Netzwerken gehören Arbitrum und Polygon – dabei handelt es sich um Skalierungslösungen, die die Transaktionsgebühren reduzieren und die Benutzerfreundlichkeit generell verbessern sollen. Es gibt aber auch Layer-2-Blockchains, die für spezifische Anwendungen entwickelt wurden, wie etwa Immutable X. Dieses Netzwerk hat sich auf den Handel mit NFT spezialisiert und gilt zudem als zukunftsträchtige Plattform für den wachsenden Krypto-Gaming-Sektor (The Market hat Anfang Jahr als spekulative Anlageidee den Immutable-Coin IMX vorgestellt, mehr dazu hier).
Dencun: Transaktionskosten werden noch günstiger
Das für die nächsten Wochen erwartete Dencun-Upgrade soll die Transaktionen auf der zweiten Ebene noch günstiger machen. Gemäss einer Auswertung des Kryptoanalysehauses IntoTheBlock aus dem letzten Jahr sollen die Kosten, die mit der Nutzung von Ethereum-Layer-2-Lösungen verbunden sind, durch das EIP-4844-Update um mindestens weitere 90% sinken, in einem besonders optimistischen Szenario gehen die Analysten sogar von einer hundertfachen Reduktion aus.
So sollen etwa die Transaktionskosten einer einfachen Überweisung von Kryptowerten auf der Layer-2-Blockchain Arbitrium von 0.26 auf nur noch 0.03 $ sinken. Die Berechnungen stützen sich zwar auf Preise, die vom Mai 2023 stammen, geben aber dennoch einen guten Eindruck vom möglichen Ausmass der Kostensenkungen.
Für die Autoren ist das Dencun-Upgrade das wichtigste bevorstehende Ereignis für Ethereum, es werde die Position der zweitwichtigsten Blockchain weiter stärken. «Es ist zu erwarten, dass die Implementierung von EIP-4844 die Akzeptanz von Layer-2-Lösungen auf Ethereum noch weiter festigt und Nutzer dazu ermutigen wird, mit dem Ethereum-Netzwerk zu interagieren.» Dadurch, dass Layer-2-Transaktionen bald nur noch einen Bruchteil ihres früheren Preises kosten würden, seien sie für eine breitere Masse erschwinglich, so die Autoren.
Solana-Netzwerk weiter mit Schwachstellen
Das Dencun-Upgrade wird Ethereum in die Lage versetzen, als Basisnetzwerk für Layer-2-Lösungen preislich mit dem Konkurrenten Solana mitzuhalten. Zwar dürfte das Solana-Netzwerk weiterhin günstiger bleiben, doch seine Schwachstellen im Blockchain-Trilemma, namentlich die mangelhafte Dezentralität sowie die Sicherheit (Solana ist immer wieder von Ausfällen betroffen), sorgen in der Kryptoszene für Kritik.
Dass Ethereum bei ihrer einzigen Schwachstelle im Blockchain-Trilemma – der schwachen Skalierbarkeit – massiv aufholt, dürfte ihre Position als führendes Basisnetzwerk für dezentrale Anwendungen weiter stärken. Dies auch, weil die Ethereum-Blockchain künftig noch sicherer werden dürfte. Das EIP-4844-Update führt ein neues Sicherheitsmodell ein, das es für Hacker noch schwieriger macht, die Netzwerke zu manipulieren.
Ether-Kurs könnte an Momentum gewinnen
Eine erfolgreiche Umsetzung des Dencune-Upgrade könnte dem Ether-Kurs weiteren Auftrieb verleihen. Er kennt seit Oktober 2023 nur eine Richtung: nach oben.
Dennoch hat Bitcoin während des gesamten letzten Jahres – angetrieben durch die sich anbahnende Zulassung der Spot-ETF – Ether im direkten Vergleich überflügelt. Am 8. Januar scheint sich jedoch ein Boden gefunden zu haben, seitdem holt Ether tendenziell wieder auf.
Zwar spricht auch bei Bitcoin einiges für eine Fortsetzung der Hausse – wie z.B. das anstehende Halving-Event Ende April. Doch neben einem erfolgreichen Dencun-Upgrade könnten, ähnlich wie bei Bitcoin, bald auch bei Ether ETF-Fantasien das Momentum zusätzlich verstärken. Die Analysten von Bernstein sehen eine 50%-Wahrscheinlichkeit, dass ein Ethereum-Spot-ETF bereits im Mai von der US-Börsenaufsicht SEC zugelassen wird. Eine Zulassung bis Ende Jahr sei sogar nahezu sicher.
Grosse Finanzplayer wie VanEck, ARK 21Shares, Grayscale, Invesco, Fidelity und BlackRock haben Anträge bei der SEC eingereicht. Bei VanEck läuft die Frist für die Entscheidung am 23. Mai ab. Gut möglich, dass die Behörden, genau wie bei der Entscheidung über die Bitcoin-Spot-ETF, dann erneut alle Anträge am selben Tag gutheissen, um keinem Emittenten einen Startvorteil zu verschaffen.