Am Samstag ist die Geschäftsfrau Iris Apfel mit 102 Jahren gestorben. Sie dekorierte das Weisse Haus für neun US-Präsidenten und stattete Berühmtheiten wie Greta Garbo aus.
Rara Avis wurde sie genannt, «seltener Vogel»: Die aussergewöhnliche Influencerin Iris Apfel, die am Freitag im Alter von 102 Jahren gestorben ist, trotzte allen gängigen Klischees, die älteren Frauen zugeschrieben werden.
Statt monotone Grau- und Brauntöne trug sie Kontraste, leuchtend gelben Tüll, feurig rote Mäntel und knallig pinke Federboas. Statt mit dezentem Goldschmuck schmückte sie sich mit Unmengen an überdimensionalen Perlenketten, klappernden Armreifen und einer auffälligen Eulenbrille. Statt auf Zurückhaltung setzte sie auf Maximalismus. Ihr Motto: «More is more and less is a bore.»
Wo sie hinkam, stach sie heraus. Sie war eine Exzentrikerin und unnachahmlich darin. Von der Modewelt wurde sie aber erst entdeckt, als sie bereits 80 Jahre alt war. Während die Models auf den Laufstegen niemals altern, unterschrieb sie mit 97 Jahren einen Vertrag bei einer Modelagentur.
«Accidental icon» ist der Titel von Apfels 2018 erschienener Autobiografie. Dass sie zur Stilikone wurde, sei einem Zufall geschuldet.
Im Ruhestand langweilte sie sich
Iris Apfel wurde 1921 als Iris Barrel in Astoria, im New Yorker Stadtteil Queens, geboren. Ihre Eltern waren russisch-jüdische Immigranten. Apfel wuchs als Einzelkind auf der Farm ihrer Grosseltern ausserhalb der Stadt auf. Mit 12 Jahren soll sie dem Kaufrausch verfallen sein. Damals kaufte sie sich erstmals alleine ein Outfit für eine Osterparade in New York, ein pfirsichfarbenes Kleid, einen Strohhut und ein paar Schuhe aus einem Discountladen, für 20 Dollar.
Sie hatte ein Flair für Ästhetik. Ihr Vater besass ein Spiegelgeschäft, ihre Mutter einen Kleiderladen. Sie studierte Kunstgeschichte, arbeitete für die Modezeitschrift «Women’s Wear Daily» und als Innenarchitektin. Neunzig Jahre lang sammelte sie Kleider, Deko, Klunker. Sie shoppte bei Labels, ebenso wie in afrikanischen Boutiquen im New Yorker Stadtteil Harlem, auf Flohmärkten und in Discounter.
67 Jahre lang war sie mit Carl Apfel verheiratet. Zur Hochzeit trug sie selbstredend nicht weiss, sondern ein Kleid aus rosafarbener Spitze. Kinder wollten sie keine, denn sie hätten nicht in ihren Lebensentwurf gepasst. «Kinder zu haben ist wie ein Protokoll», sagte Apfel einst dem Guardian, «das wird von dir erwartet. Und ich mag es nicht, in eine Schublade gesteckt zu werden.»
1950 gründeten die Apfels gemeinsam Old World Weavers, eine Manufaktur für Wohntextilien. Für Ideen reisten sie an weit entfernte Orte – in die Türkei, nach Marokko, nach Libanon. Sie waren so erfolgreich, dass sie für neun US-Präsidenten das Weisse Haus dekorierten, Berühmtheiten wie Greta Garbo und Jackie Kennedy ausstatteten sowie das Metropolitan Museum of Art.
Als der Kurator Harold Koda 2005 eine Ausstellung im MoMA absagen musste, fand er in Iris Apfel einen Ersatz: Diese stellte vierzig Outfits mit Accessoires aus ihrem privaten Fundus zur Verfügung und war plötzlich weitherum bekannt.
Ihre Berühmtheit im späten Alter sah sie als Segen. Denn im Ruhestand hatte sie sich bloss gelangweilt. «Wen du nur zu Hause rumsitzt und die Neugier an der Welt verlierst, sagte sie einmal, «dann kannst du dich auch gleich in die Kiste legen.»
Iris Apfels Aufstieg in der Modewelt mag ungewöhnlich spät gekommen sein, zufällig war er aber nicht. Ihre Outfits sind wild zusammengewürfelt, aber äusserst durchdacht. Apfel wusste sich in Szene zu setzen. Als Influencerin hatte sie drei Millionen Follower auf Instagram und 215 000 Follower auf Tiktok. Die Kanäle bespielte sie bis kurz vor ihrem Tod. Oder liess sie bespielen.
Apfel, die sich als ältester Teenager der Welt bezeichnete, krempelte die Erwartungen an das fortgeschrittene Alter um. Kleidete sich ihre Mutter noch elegant und schlicht, in den Worten Apfels «wie die Frauen des britischen Königshauses», forderte Apfel die Leute mit ihrem unangepassten Aussehen heraus. Sie eckte an – und inspirierte.
Sie setzte ein Statement gegen Vergänglichkeit und für Individualität. Die Menschen waren ihr zu sehr auf Gleichklang getrimmt, wie sie sagte. «Alles ist homogenisiert. Das hasse ich.» Dazu gab sie immer wieder Lebensweisheiten zum Besten. «Farben können Tote wieder zum Leben erwecken» war eine davon.
Heute gibt es viele ältere Mode-Influencerinnen. Das ist auch Iris Apfel zu verdanken. Die New Yorkerin hat bewiesen, dass Federboa und wildes Zebramuster durchaus zu grauen Haaren und Gehstock passen. Sie zeigte, wie das Alter auch aussehen kann – voller exzentrischer Energie.