An der legendären Segelregatta ist heuer alles anders als noch vor kurzem: schnellere Boote, kleinere Besatzung, grössere Design-Teams. Deshalb wird die 37. Austragung des America’s Cup so spannend.
Die Alinghi-Basis in Barcelona befindet sich an bester Lage, sie liegt zwischen dem Einkaufszentrum Maremagnum und dem Aquarium im Hafen Port Vell, im alten Hafen also. Neben dem Gebäude ist das «Boat Zero» ausgestellt, das Trainingsboot der Neuseeländer, mit dem sich das Siegerteam vor vier Jahren auf den America’s Cup vorbereitet hat.
Alinghi hat dieses Boot der Klasse AC75 vor zwei Jahren gekauft, nachdem der Eigner Ernesto Bertarelli sich entschieden hatte, an der 37. Austragung der legendären Segelregatta teilzunehmen. Die junge Schweizer Crew um den Skipper Arnaud Psarofaghis sammelte auf diese Weise erste Erfahrungen mit dem 21 Meter langen Einrumpfboot.
Die Rennjacht, mit der Alinghi am Donnerstag seine erste Wettfahrt im Louis-Vuitton-Cup, der Vorausscheidung vor dem America’s Cup, absolviert, heisst «Boat One». Das Boot wurde in der Schweiz gebaut und im Mai in Barcelona getauft. Da es zur gleichen Bootsklasse wie das «Boat Zero» gehört, haben sich die äusseren Abmessungen nicht verändert. Und doch besteht zwischen den beiden Booten ein beträchtlicher Unterschied, der schon visuell ersichtlich ist: Das «Boat One» wirkt eleganter, hat ein flaches, gegen das Heck leicht abfallendes Deck mit einigen Wölbungen.
Das Boot der zweiten Generation hingegen ist rund eine Tonne leichter, hat selbst wendende Vorsegel und benötigt nur noch acht Mann Besatzung. Und die Foils sind mit einer Länge zwischen vier und viereinhalb Metern grösser. Diese und weitere Änderungen führen dazu, dass die zweite Version der AC75-Bootsklasse schon bei leichten Winden ab rund 6 Knoten zu fliegen beginnt: Der Rumpf hebt sich aus dem Wasser, nur eines der beiden Foils und das Ruder tragen ihn.
Mit der zweiten Generation der AC75-Boote ist der America’s Cup in ein neues Zeitalter eingetreten. Die Revolution begann 2013, als Oracle unter der Führung des fünffachen Cup-Siegers Russell Coutts Katamarane mit Foils in den Cup schickte. Als den Neuseeländern damals erstmals eine Halse, also ein Richtungswechsel des Bootes vor dem Wind, auf den Foils gelang, war das eine Sensation.
Nach dem Cup-Sieg 2017 gelang den Kiwis mit der Schaffung der Bootsklasse AC75 ein grosser Wurf: Sie entwarfen ein Einrumpfboot mit Foils, das sein Potenzial voll ausschöpfte, sämtliche Erwartungen übertraf – und den America’s Cup damit in eine neue Dimension katapultierte. Die zweite Generation dieser Racer, mit denen nun um den 37. America’s Cup gesegelt wird, ist eine Weiterentwicklung, die Geschwindigkeiten von über 50 Knoten ermöglichen soll. Es ist das schnellste Einrumpfboot für Segel-Crews überhaupt.
America’s Cup
Luna Rossa vince contro Alinghi
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Das Segelfest vor Valencia
Weil der älteste Sportwettbewerb der Welt heuer zum zweiten Mal in Spanien stattfindet und Alinghi erneut dabei ist, werden Erinnerungen an früher wach. 2007 kämpften elf Teams in Valencia um das Recht, den Defender Alinghi herauszufordern. Es war das grösste Segelfest in der Geschichte des America’s Cup. Die vielen Zuschauer vor den Bildschirmen und in Valencia entdeckten einen Sport, der auch ohne vertiefte Kenntnisse nachvollziehbar war. Sie sahen sechzehn Segler bei der Arbeit. Es gab Männer, die wie wild an den «Kaffeemühlen» (Winschen) kurbelten. Zu erleben waren viele Segelwechsel, hinten in der Afterguard standen der Steuermann, der Taktiker und der Navigator. Und es gab auch jemanden, der von Zeit zu Zeit auf den hohen Mast kletterte, um nach dem Wind Ausschau zu halten. Die Rennen waren oft spannende Match-Race-Duelle; es gab aber auch beschaulichere Momente – wenn der Vorsprung zum Gegner anderthalb bis zwei Kilometer betrug und dieser fast ausser Sichtweite war.
Nun, nicht einmal zwanzig Jahre oder eine Generation später, wird nicht mehr gesegelt, sondern regelrecht übers Wasser geflogen. Die Rennen sind kurz, die Crew von acht Mann ist kaum zu sehen, sie sitzt aus aerodynamischen Gründen versenkt im Rumpf. Nur vier der acht Männer sind Segler: auf jeder Seite je ein Steuermann, dahinter je ein Trimmer für das Bedienen der Segel und der Foils. Das muss blitzschnell geschehen, die hohen Geschwindigkeiten lassen keine Zeit und keinen Fehler zu. Im Sekundentakt werden an den Armaturen die entsprechenden Knöpfe gedrückt. Hinter diesen vier Seglern sitzen vier Athleten, die aus anderen Sportarten stammen. Diese sind nicht wegen ihres seglerischen Könnens gefragt, sondern wegen ihrer Muskelkraft, mit der auf Velo-ähnlichen Konstruktionen die Pedale zur Stromerzeugung in höchster Intensität bewegt werden müssen.
Kooperationen mit Formel-1-Teams
Für die Entwicklung solcher Hightech-Fluggeräte ist eine Konstruktions- und Designabteilung nötig, die mehrere Dutzend Leute umfasst. Gefragt sind heute Designer, die Spezialisten in der Aerodynamik sind. Sie stammen vor allem aus der Formel 1. Alinghi ist mit Red Bull eine Kooperation eingegangen, das englische Team mit dem Mercedes-Rennstall. Der America’s Cup ist damit in einer neuen Dimension angekommen: Das Element Wasser wird nicht mehr verdrängt, sondern von Foils und spitzen Rudern regelrecht zerschnitten. Die Racer erinnern von vorne betrachtet an Kampfjets. Und die Trimmer sind zu Flight-Controllern mutiert. Auf der Strecke geblieben ist die Sinnlichkeit, das, was den Segelsport ausmacht: das Spüren des Windes, das Fühlen des Steuerdrucks, das Sehen der kommenden Böen, das handwerkliche Schaffen an Winschen und Segeln.
Wer solch nostalgischen Bildern nachhängt, wird bei der jungen Generation kaum auf Verständnis stossen. Grant Dalton, der CEO des Teams New Zealand, hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass sich der Segelsport mit der Entwicklung der Foils komplett verändert hat. Heute wollten schon Kinder, die gerade erst segeln gelernt hätten, so schnell wie möglich fliegen. Hört man sich bei den Schweizer Seglern um, wird dieser Eindruck bestätigt. Für sie ist es selbstverständlich, ein Cup-Boot zum Fliegen zu bringen.
Wo diese Entwicklung hinführen wird, ist zurzeit noch nicht absehbar. Klar ist nur: Der America’s Cup ist seit je ein Wettbewerb für modernes Boots-Design, das Rad der Zeit wird sich nicht zurückdrehen lassen. Die sechs Teams, die am 37. America’s Cup teilnehmen, haben sich verpflichtet, auch den nächsten Cup mit AC75-Booten auszutragen.
Doch der Defender, so wollen es die Regeln des America’s Cup, hat das Recht, die Bootsklasse zu bestimmen, mit der er den Wanderpokal verteidigen will. Die Cup-Geschichte hat allerdings schon mehrmals bewiesen: Getroffene Abmachungen von gestern können bereits morgen hinfällig sein.