Jüdinnen und Juden fühlen sich seit den Hamas-Anschlägen nicht mehr sicher in der Stadt Zürich. Das haben sie mehrfach kundgetan. Man hat zu wenig auf sie gehört.
Die Stadt Zürich rühmt sich als weltoffene, tolerante Stadt, in der alle willkommen sind. Alle? Die schändliche, durch nichts entschuldbare Messerattacke auf einen orthodoxen Juden mitten in Zürich lässt an dieser Gewissheit zweifeln.
Denn es ist nicht so, dass dieser Angriff aus heiterem Himmel gekommen wäre. Das macht ihn besonders perfide. Ausgeführt hat ihn ein arabischstämmiger Jugendlicher, der sich der militanten Al-Aksa-Brigaden zugehörig fühlt. Antisemitischer Terror auf Zürcher Strassen, so weit ist es gekommen.
Seit den Angriffen der Hamas im Oktober verzeichnen die jüdischen Gemeinden in der Schweiz vermehrt antisemitische Übergriffe. Zuerst waren es relativierende Wortmeldungen, dann Hassbotschaften an Hauswänden und in den sozialen Netzwerken, dann Aggressionen im öffentlichen Raum, etwa an Anti-Israel-Demonstrationen. Nun liegt ein 50-jähriger Familienvater mit schweren Stichverletzungen im Spital.
Jüdinnen und Juden fühlen sich seit längerem nicht mehr sicher in der Stadt. Das haben sie mehrfach kundgetan. Man hat zu wenig auf sie gehört.
Die jüdische Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel etwa sprach in einem Interview mit der NZZ früh davon, dankbar zu sein für die Sicherheit, die Juden in Zürich genössen. «Aber wir wissen leider auch, dass diese Sicherheit trügerisch sein kann.» Wie recht sie hatte.
Rueff-Frenkel erwähnte Slogans wie «Free Palestine» oder «From the River to the Sea», die ganz selbstverständlich an Demonstrationen skandiert oder an Wänden geschmiert würden. «Wenn ich durch die Strasse gehe, dann weiss ich, dass es auch hier Menschen gibt, welche die Terrorattacken gutheissen», sagte sie.
Bis heute vermisst man ein resolutes, gesellschaftliches Aufbäumen gegen den menschenverachtenden Antisemitismus, der auch in Zürich gedeiht und Anhänger findet.
Es ist der feine Unterschied: Als Putin in die Ukraine einfiel, war der Münsterhof an einer Solidaritätskundgebung stossend voll. Über 20 000 Menschen waren gekommen, um ihr Mitgefühl auszudrücken. Als über tausend israelische Frauen, Männer und Kinder brutal ermordet wurden, war der gleiche Platz maximal zu einem Drittel gefüllt. Vor allem Personen aus der jüdischen Gemeinschaft waren vor Ort. Warum fällt Solidarität mit angegriffenen Juden schwerer als Solidarität mit angegriffenen Ukrainern?
Dazu kommen die unheimlichen Verharmloser. Wenn ein Vertreter des in Deutschland verbotenen, radikalen Samidoun-Netzwerks ganz selbstverständlich in einem städtisch subventionierten Kulturzentrum – der Zentralwäscherei – auftreten darf, dann wird das schulterzuckend hingenommen. Solche Dammbrüche dürfen von Verantwortungsträgern und Behörden nicht einfach akzeptiert werden; es braucht jemanden, der «Stopp!» ruft.
Neben einer klaren politischen und gesellschaftlichen Antwort auf die Terrorattacke braucht es eine vertiefte Aufklärung der Hintergründe der Tat. In welchen Milieus reift solcher gewalttätiger Hass? Und was ist dagegen zu tun? Sich erschüttert zu zeigen, hilft den Jüdinnen und Juden in Zürich wenig. Sie brauchen besseren Schutz und mehr Unterstützung.