Urs Birchler hat für die PUK ein brisantes Gutachten zum Eigenkapital geschrieben. Dieses ärgert Behörden und Banken gleichermassen. Was treibt ihn an?
Urs Birchler eckt an. Seit Jahren schreibt der Ökonom gegen die, wie er es nennt, «optischen Illusionen» an, welche Banken und Behörden zur Finanzplatzregulierung verbreiten. Aufsehen erregt hat der 74-Jährige zuletzt mit einem Gutachten, das er für die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur Krise der Credit Suisse verfasst hat.
Auf knapp dreissig Seiten geht Birchler, früher Bankenprofessor an der Universität Zürich und Mitglied der Direktion der Schweizerischen Nationalbank (SNB), hart mit der Finanzmarktaufsicht (Finma) ins Gericht. Die Behörde habe der CS substanzielle Erleichterungen beim Eigenkapital gewährt. In dem Papier hat er die Auswirkungen des sogenannten «regulatorischen Filters» untersucht.
Unter diesem sperrigen Begriff versteckt, hätten die Ausnahmen eine Scheinsicherheit für die Bank geschaffen. Dadurch konnte sie bis zuletzt den Anschein einer ausreichenden Kapitalisierung wahren. «Ohne Filter wäre die CS schon ab 2020 leicht und bis im Herbst 2022 klar unterkapitalisiert gewesen», schreibt Birchler.
Das sind harte Worte, nicht nur für die Finma, die aufgrund des Gutachtens wie eine Aufsichtsbehörde wirkt, die ihrer Kernaufgabe nicht nachgekommen ist. Sie zielen insbesondere auch auf die UBS, die seit dem Kollaps der Credit Suisse stets den Standpunkt vertrat, Eigenkapital habe beim Untergang der Grossbank keine Rolle gespielt. Für die bevorstehende politische Debatte sehen sich die Befürworter von schärferen Eigenkapitalregeln für die UBS durch Birchlers Bericht bestätigt. Die UBS möchte zum Gutachten keine Stellung nehmen. Doch sie wird daran keine Freude haben.
Die Finma sieht «tendenziöse Aussagen»
Die Finma hingegen kritisiert den Inhalt des Gutachtens offen, wie in einer umfangreichen Stellungnahme zu lesen ist. Birchler hat diese in zusammengefasster Form im Anschluss an den Text publiziert. Unter anderem würden Fakten wie die Handlungen der Aufsichtsbehörden oder die Zahlen zur Entwicklung der Eigenmittel in den Tabellen teilweise falsch dargestellt. Auch äussere sich das Gutachten zu Themen, zu denen der Gutachter weder ausreichende Unterlagen noch Kenntnis habe. Zudem enthalte es «tendenziöse Aussagen». Der Regulator schreibt: «Das Gutachten führt zu falschen Schlüssen (oder kann zu solchen führen)». Zum Inhalt des Papiers will sich die Finma nicht weiter äussern, sie anerkennt aber die Kritik der PUK an dem Filter, wie sie auf Anfrage schreibt.
Sonderlich überrascht hat Birchler die Reaktion der Aufsichtsbehörde nicht. «Ich habe nicht erwartet, dass die Finma meine Meinung teilt», sagt er im Gespräch mit der NZZ. Sonst hätte der Regulator wohl in der Vergangenheit gegenüber der CS auch anders gehandelt.
Lieber als über die PUK spricht Birchler sowieso über die künftige Regulierung des Finanzplatzes. Damit hat er viel Erfahrung. Bei der SNB, wo er zwischen 1980 und 2009 arbeitete, war er unter anderem für die Finanzstabilität verantwortlich. Zudem hat er die Nationalbank während mehrerer Jahre im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht vertreten, der die globalen Regeln für systemrelevante Banken mitprägt.
Birchler hat klare Ansichten, wie es nun für die UBS weitergehen soll. Er fordert – wenig überraschend – schärfere Eigenkapitalauflagen für die Bank. Auf seinem Blog, den er zusammen mit seiner Frau Monika Bütler, einer Ökonomin, und Marius Brülhart, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Lausanne, betreibt, nimmt er kein Blatt vor den Mund.
Jüngst hat er etwa kritisiert, dass die Schweiz Banken zu stark subventioniere. Banken, die über eine implizite Staatsgarantie verfügen, wie die UBS, könnten zu günstigeren Zinsen Schulden aufnehmen. Dagegen brauche es strengere Eigenmittelvorschriften. Die Eidgenossenschaft sei dies ihren Steuerzahlern, «den Sugar-Daddies und -Mommies der Banken», schuldig, schreibt er.
Die UBS wehrt sich vehement gegen härtere Auflagen beim Kapital. Die Grossbank argumentiert, dass ihr Geschäft teurer würde, falls sie zusätzliches Kapital halten müsste.
Birchler ärgern solche «Trugschlüsse», wie er sie nennt: «Fremdkapital ist nur auf den ersten Blick günstiger als Eigenkapital», sagt er. Wie viel eine Bank tatsächlich für ihre Finanzierung bezahlen muss, hängt für ihn in erster Linie von den Risiken ab, die sie eingeht. Ein dickeres Kapitalpolster schütze eine Bank besser und sei daher billiger. Ein knappes Kapitalpolster übertrage die Risiken bloss auf ihre Geldgeber.
In all den Jahren habe es noch keine Bank geschafft, ihm schlüssig zu erklären, warum Eigenkapital für sie teurer sein solle als Fremdkapital. «Gelingt dies nun der UBS, bin ich der Erste, der seine Meinung ändert», sagt der Finanzprofessor.
Für seine Äusserungen wird Birchler immer wieder von der UBS kritisiert. Bereits 2012, als die Erinnerungen an die UBS-Rettung in der Finanzkrise 2008 noch frisch waren, monierte er auf seinem Blog das angestrebte Ziel bei der Eigenkapitalrendite der Grossbank. Zu hohe Ziele würden dazu führen, dass Banken höhere Risiken eingingen, schrieb er. Diesen Vorwurf wollte der UBS-Chef Sergio Ermotti nicht auf sich sitzen lassen. Er verfasste eine Replik zu Birchlers Eintrag, den er auf dessen Website als Kommentar veröffentlichte.
Bessere Vorbereitung auf die nächste Bankenkrise
Handlungsbedarf in der Vorbereitung auf die nächste Grossbankenkrise sieht Birchler nicht nur bei der Kapitalausstattung, er fordert auch bessere juristische Vorkehrungen. Die Abschreibung der AT1-Anleihen während der CS-Krise hat zu Hunderten von Klagen geführt, welche die Eidgenossenschaft Milliarden Franken kosten könnten. Für die Behörden sei dies ein Albtraum, sagt der Ökonom. Nächstes Mal dürfe die Schweiz keine Angriffsfläche mehr bieten.
Die Wandlung des Kapitals müsse nach automatischen und objektiven Kriterien erfolgen, sagt Birchler. Nicht aufgrund eines Entscheids einer Behörde. «Dieser ist immer anfechtbar.» Eine Möglichkeit wäre, dies anhand des Aktienkurses einer Bank oder der Risikoprämie für deren Schulden zu fixieren. Ob ein solches Vorgehen in der Praxis funktionieren würde, ist allerdings umstritten.
Obwohl Birchler die Aussagen der Finanzinstitute oft kritisiert und hinterfragt, sieht er sich trotz allem nicht als Bankengegner. Ihn treibe vor allem seine Neugierde an. Illusionen, dass er mit seiner Kritik die Schweizer Bevölkerung dazu bringt, sich vertieft mit den Banken auseinanderzusetzen, macht er sich jedoch keine.
«Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Banken ist in letzter Zeit negativer geworden», sagt er. Dabei vergesse man schnell, wie wichtig diese für das Funktionieren der Wirtschaft eigentlich seien. Das will er weitergeben. Derzeit arbeitet er für einen bekannten Verlag an einem Sachbuch für Kinder, welches ihnen die wichtigsten Grundlagen des Geldes erklären soll.