Rolf Kuhn züchtet im Thurtal Junghennen und baut Weizen, Zuckerrüben und Zwiebeln an. Er fühlt sich als Umwelt-Sündenbock. Deswegen und weil der Bauer nur bekomme, was der Grossabnehmer ihm zugestehe, gehe er demonstrieren.
Braune Arbeitshose, schweres Schuhwerk und ein kräftiger Händedruck: Auf den ersten Blick passt Rolf Kuhn gut ins Klischee des Bauern, der sein Feld bestellt und nicht immer jedem Kothaufen ausweichen kann. Doch in der Küche des Bauernhauses in Mettendorf (TG) liegt ein Tablet auf dem Tisch bereit. Damit wird Kuhn im Lauf des Gesprächs immer wieder Daten abrufen: Strompreise, Spritzmitteleinsatz, Direktzahlungsvorgaben. Der Bauer von heute ist digital. «Ich verbringe viel Zeit vor dem Computer», sagt der 49-Jährige. Anders sei es gar nicht möglich, die vielen Vorschriften einzuhalten, die manchmal jährlich änderten. Für viele ältere Berufskollegen sei dies schwierig geworden.
Letzte Woche gab es auch im Thurgau eine Bauerndemonstration: ein Mahnfeuer. Kuhn wäre hingegangen, wenn er Zeit gehabt hätte. Dies, obwohl er sagt, es gehe ihm «nicht schlecht». Nur Norwegen gibt anteilsmässig noch mehr öffentliche Gelder aus für seine Bauern als die Schweiz. In Frankreich und Deutschland sind sie deutlich schlechter dran. Wieso also diese Unzufriedenheit?
Warum immer die Kühe?
«Wir fühlen uns ohnmächtig und sind gleichzeitig der Sündenbock der Nation, wenn es um die Umwelt und ums Klima geht», sagt Kuhn. «Wieso spricht man nur von der Kuh als Klimakiller?», fragt er. Die Flugzeuge seien doch viel schlimmer. Aber aufs Fliegen wolle kaum jemand verzichten, beantwortet er die Frage gleich selbst.
Einer seiner Söhne ist 17 und macht eine Lehre als Landwirt. In den Medien höre und lese er ständig, die Bauern würden die Umwelt verschmutzen, und Fleisch zu essen, sei verkehrt. «Wie soll er da einmal freudig den Hof übernehmen?» Kuhn sagt, die Umwelt liege ihm am Herzen, aber er könne wegen der Hühner nicht auf Bio umstellen. In zwei Ställen zieht er jährlich 48 000 Küken gross. Solche Zahlen sind im Biolandbau nicht vorgesehen, deswegen produziert er nach den Regeln von IP Suisse. Die Jungvögel, die heute im Stall herumflattern, werden die Eier für die nächsten Weihnachtsguetsli legen. Jene, die er im Sommer grosszieht, die Ostereier von 2025.
Obwohl Bio für Kuhn nicht infrage kommt, will er möglichst wenig Pflanzenschutzmittel auf den Feldern einsetzen. «Jedes Fungizid tötet auch Pilze im Boden, die uns nützen», sagt er. Im Weizenanbau experimentiert er deshalb mit bodenschonenden Methoden. So legt er mit einem speziellen Pflug Dämme an, auf denen die Pflanzen wachsen. So braucht es weniger oder gar keine synthetischen Pflanzenschutzmittel, und auch der Wasserhaushalt ist bei den sogenannten Dammkulturen besser. «Ich merke ja selbst, dass die Böden ausgelaugt sind. Ich möchte, dass meine Söhne das Land einmal weiter bewirtschaften können», sagt er.
Viele Bauern und Bäuerinnen fühlten sich unverstanden, gegängelt und befürchteten, dass es künftig abwärtsgehe, sagt Rolf Kuhn.
Seinen Hühnern gehe es gut. Antibiotika habe er in den letzten zwanzig Jahren nur zweimal einsetzen müssen, als die Vögel eine Krankheit hatten. Obwohl er überzeugt ist, alles richtig zu machen, fühlt er sich nicht verstanden von den Konsumenten. Die meisten Städter hätten überhaupt keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft. «Daran sind wir auch selber schuld. Wir haben geschlafen.» Die Bauern hätten die Vermarktung ihrer Produkte einfach den Grossverteilern überlassen.
Wenn die Migros-Werbung ein Huhn zeigt, das über einen idyllischen Feldweg zum Laden läuft und das fehlende Ei direkt in die Eierschachtel legt, merkt der Zuschauer zwar, dass das überzogen ist. Und doch bleibt etwas hängen. Als im Abstimmungskampf um die Massentierhaltungsinitiative ganz andere Bilder von der Hühnerzucht auftauchten, hatten die Bauern den Imageschaden, nicht die Migros.
Ähnlich war es mit den Pestizidinitiativen. Seither stünden die Bauern am Pranger, sagt Kuhn. Als Giftspritzer und Wasserverschmutzer. Auch wenn es nicht stimme.
Finanziell gehe es den Bauern in der Schweiz besser als jenen in Deutschland oder Frankreich. Das sagt auch Kuhn. Doch im Jahr 2022 sind die landwirtschaftlichen Einkommen nach langen Jahren des Wachstums erstmals geschrumpft. Für 2023 gibt es noch keine Zahlen, aber für Kuhn ist klar: «Wir haben nochmals weniger verdient.»
Die Preise machen die Grossabnehmer
Die Stromrechnung für den Hühnerstall habe früher 3500 Franken im Jahr gekostet, 2023 seien es 5000 gewesen, sagt er nach einem Blick auf sein Tablet. Für Dünger und Spritzmittel gebe er heute 6 bis 10 Prozent mehr aus. Die Preise für Zuckerrüben, Kartoffeln, Weizen oder Zwiebeln würden aber von den Grossabnehmern gemacht. Zwischen Mitte Juni und Juli würden sie festgelegt, ohne dass die Bauern etwas zu melden hätten. «Die verteidigen ihre Marge», sagt er und zuckt mit den Schultern.
Die Migros habe auch verhindert, dass ihr Konkurrent Lidl das Käfer-Signet von IP Suisse verwenden dürfe. Sie habe mit dem Austritt aus der Organisation gedroht. Kuhn liefert seine IP-Suisse-Zwiebeln dennoch an Lidl. Die Kette habe versprochen, den üblichen Aufpreis zu bezahlen.
Eine Weile konnte Kuhn auf seinen Feldern Sonnenblumenkerne für Migros und Coop anbauen. Dann habe es plötzlich geheissen, der Preis sei zu hoch. Jetzt würden die Sonnenblumenkerne importiert. Bei den Zwiebeln hätten die Grossabnehmer die Preise auch schon gedrückt, indem sie behauptet hätten, die Ernte sei nicht gross genug. So könnten sie Importkontingente verlangen. Damit fielen die Preise auch für die einheimischen Bauern.
«Wir sind das einzige Gewerbe, das keine Rechnungen schreiben kann», sagt Kuhn. «Wir sind bloss Restgeld-Empfänger.»
Ihn störe, dass man in der Zeitung dauernd lese, wie viel Geld die Bauern erhielten vom Staat, sagt Kuhn. Es komme aber längst nicht alles bei ihnen an. Er beobachte, dass vieles in Umweltingenieurbüros oder in irgendwelche Projekte fliesse. Daraus ergäben sich meist neue Umweltvorschriften, was nichts Schlechtes sein müsse. Aber die Bauern würden für ihren Zusatzaufwand nicht entschädigt. Ausserdem fehle ihnen die Planungssicherheit, wenn die Vorschriften dauernd änderten.
Was es bringt, weiss der Bauer nicht
Im Jahr 2005 hat Kuhn viel Geld in einen Hightech-Hühnerstall investiert. Das würde er sich heute zweimal überlegen. Wegen neuer Vorschriften muss er nun eine Kot-Trocknungsanlage einbauen. Sie soll die Emissionen des klimaschädlichen Ammoniaks reduzieren. Wie viel das bringt, weiss der Bauer nicht.
Viele Bauern und Bäuerinnen fühlen sich unverstanden, gegängelt und befürchten, dass es künftig abwärtsgeht. Deswegen wäre auch Kuhn demonstrieren gegangen, wenn er am Tag des Thurgauer Mahnfeuers Zeit gehabt hätte. Die Gewaltakte in Frankreich und Deutschland verurteilt er zwar. Aber die Bilder von den aufgefahrenen Traktoren hätten schon einen Funken gezündet. Auch wenn Kuhn sagt, es gehe ihm im Moment «nicht schlecht». Und obwohl er sich jeden Tag darüber freut, dass er draussen in der Natur arbeiten darf.