Kaum jemand fürchtet Israels Vorstoss nach Rafah so sehr wie der Nachbar Ägypten. Dass der Friedensvertrag mit Israel deshalb zur Disposition stünde, dementiert Kairo jedoch. Stattdessen versucht das Sisi-Regime zu vermitteln.
Der Grenzübergang von Rafah ist ein gespenstischer Ort. Das Nadelöhr an der Grenze des Gazastreifens zu Ägypten ist leer und hoch gesichert. Bereits vor Jahren hat die ägyptische Armee die Orte im Grenzgebiet geräumt und die Region zu einer militärischen Sperrzone erklärt. Nun, da der Übergang in Rafah für die eingeschlossenen Bewohner der Enklave der einzige Weg aus dem Krieg geworden ist, rüsten Kairos Generäle weiter auf, um eine Massenflucht zu verhindern.
Wer seit dem Beginn des Krieges in Gaza öfter Rafah besucht hat, sieht, wie die Grenze immer stärker befestigt worden ist. Inzwischen sichern Stacheldrahtverhaue, Wachtürme und mehrere Mauern die Grenze, hinter der man das Donnern der israelischen Luftangriffe hört. Sogar vor dem Übergang, der bisher nur von einer einfachen Barriere gesichert war, haben die Soldaten eine Sperre aus Beton errichtet.
Spätestens seit Israels Armee angekündigt hat, ihre Militäroperation im Gazastreifen bis nach Rafah auszuweiten, fürchten die Ägypter einen Ansturm auf ihr Gebiet. Die Israeli vermuten in Rafah die letzte Bastion der Hamas. Allerdings leben in der Stadt an der ägyptischen Grenze auch Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge, denen im Angriffsfall nur ein Fluchtweg bleibt: der in Richtung Ägypten.
«Der Friedensvertrag wird weiter bestehen»
Die Nil-Republik, über deren Grenze auch sämtliche Hilfe für Gaza läuft, wird damit einmal mehr zu einem zentralen Akteur in der Nahostkrise. Sollten tatsächlich Hunderttausende Flüchtlinge die Grenze überqueren, könnte das schwerwiegende Folgen für die ganze Region haben. Die Ägypter haben immer wieder betont, sie würden nicht zulassen, dass die Palästinenser in den Sinai vertrieben würden.
Jüngst berichtete die Nachrichtenagentur AP, dass Ägypten in diesem Fall sogar drohe, das Friedensabkommen mit Israel aufzukündigen. Der Bericht wurde allerdings sogleich von der ägyptischen Regierung dementiert. «Der Friedensvertrag existiert seit vierzig Jahren, und er wird weiterbestehen», versicherte Aussenminister Sami Shukri am Montag an einer Pressekonferenz in Slowenien.
Ägyptens Frieden mit Israel ist einer der Grundpfeiler der geopolitischen Ordnung in Nahost. Das 1979 in Camp David geschlossene Abkommen war das erste seiner Art und löste nicht nur den mächtigsten Baustein aus der zuvor geschlossenen Anti-Israel-Front der arabischen Staaten heraus. Es führte auch zur Annäherung des zuvor mit der Sowjetunion verbündeten Ägypten an den Westen.
Mossad-Chef Barnea zu Besuch in Kairo
Zwar waren Ägyptens Beziehungen zu Israel auch nach dem Friedensschluss nicht einfach. Doch Kairo bekam die Sinaihalbinsel zurück, welche es zuvor im Sechstagekrieg 1967 verloren hatte. Im Notfall konnte es zudem auf israelische Hilfe zählen – wie vor ein paar Jahren, als der Islamische Staat im Sinai für Unruhe sorgte und Israel Ägyptens Armee im Kampf gegen die Jihadisten unterstützte.
Auch deshalb hat der Friedensvertrag bisher alle Regierungswechsel in Kairo überstanden. Trotzdem ist der Krieg in Gaza für Ägyptens Herrscher Abdelfatah al-Sisi eine Herausforderung. Einerseits steht seine Bevölkerung fest an der Seite der Palästinenser. Andererseits will es sich der Ex-General, dessen Land unter hohen Schulden leidet, nicht mit den westlichen Gebern verscherzen. Zudem weiss Sisi, dass er eine Flüchtlingswelle an seiner Nordostgrenze kaum stemmen könnte.
Nach anfänglichem Zögern betätigt sich Ägypten daher als Vermittler. Ägyptens Geheimdienste haben bereits in früheren Kriegen zwischen der Hamas und Israel vermittelt. Erst am Dienstag reiste der Mossad-Chef David Barnea zu Gesprächen über eine neue Feuerpause an den Nil. Dort traf er den CIA-Chef William Burns und Katars Ministerpräsidenten. Auch Hamas-Vertreter sind in jüngster Zeit immer wieder zu Gesprächen nach Kairo gereist.
Der Krieg belastet Ägypten – bietet aber auch Chancen
Der diplomatische Aktivismus der Ägypter ist aber keineswegs selbstlos. Denn Sisis Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Der Präsident, der sich erst im Dezember im Amt bestätigen liess, braucht dringend Devisen und könnte gezwungen sein, seine Währung weiter abzuwerten. Der Krieg in Gaza stellt eine weitere Belastung dar, zumal die Angriffe des jemenitischen Huthi-Regimes auf Schiffe im Roten Meer den Verkehr im Suezkanal haben einbrechen lassen.
Für Ägypten stellt der Suezkanal eine Haupteinnahmequelle dar. Da viele Reeder derzeit lieber den Umweg um Südafrika wählen, sind die Einnahmen aus dem Kanal eingebrochen. Auch deshalb versucht Kairo derzeit alles, um wenigstens eine Feuerpause zu erreichen. Ein Ende des Krieges wäre auch für die ägyptische Bauwirtschaft von Vorteil: Schon nach früheren Kriegen hatten ägyptische Firmen lukrative Aufträge für den Wiederaufbau in Gaza an Land gezogen.
Gleichzeitig erlaubt es die grössere Aufmerksamkeit den Ägyptern, neue Verbindungen zu knüpfen. So wird etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch in Kairo erwartet. Ägypten und die Türkei waren einander lange spinnefeind und unterstützen im libyschen Bürgerkrieg unterschiedliche Kriegsparteien. Nun wollen die beiden Mittelmeer-Mächte aber wieder zusammenspannen. So sind etwa Kooperationen im Energie- und Rüstungsbereich geplant. Und natürlich steht auch der Krieg im Gazastreifen auf der Agenda.