Der Roman «Innerstädtischer Tod» von Christoph Peters handelt von sexuellen Übergriffen, die einem Berliner Galeristen vorgeworfen werden. Nun muss ein Gericht entscheiden, ob Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit ein Verbot rechtfertigen.
Der Fall ist kurios. Ein Roman, der bereits im September letzten Jahres erschienen ist, soll jetzt verboten werden. Der bekannte Berliner Galerist Johann König und seine Frau Lena glauben sich als Figuren im Buch «Innerstädtischer Tod» des deutschen Schriftstellers Christoph Peters zu erkennen. Weil sie sich verunglimpft sehen, haben sie am Landgericht Hamburg einen Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt.
Die Folge: Was bisher an der Öffentlichkeit vollkommen spurlos vorübergegangen ist, wird durch die, die sich an die Öffentlichkeit gezerrt fühlen, erst wirklich öffentlich gemacht. Der Kulturbetrieb hat seinen Skandal, und es wird wieder einmal über die Freiheit der Kunst diskutiert.
«Innerstädtischer Tod» spielt am 9. November des Jahres 2022 in Berlin. Es ist der Gedenktag der Novemberpogrome. Der Anfang des Jahres begonnene Überfall Russlands auf die Ukraine bestimmt die Debatten. #MeToo ist in den Medien ein grosses Thema, und hier ergänzen sich Fiktion und Wirklichkeit. Die Hauptfigur Fabian Kolb ist ein junger Künstler, der beim berühmten Galeristen Konrad Raspe die erste Chance bekommt. Eine Einzelausstellung.
Gleichzeitig überschatten Behauptungen die Vernissage, Raspe habe Frauen unter Ausnutzung seiner Autorität sexuell missbraucht und sich übergriffig verhalten. So stand es in der «Hauptstadtzeitung». Fabian Kolb fürchtet, dass die Affäre auch seinen Projekten schaden könnte.
Vage Übereinstimmungen
Nun gibt es bei den Stichworten Kunstbetrieb und #MeToo tatsächlich diesen einen Eintrag: Im Spätsommer des Jahres 2022 erschien in der «Zeit» ein Artikel, in dem dem weltbekannten Berliner Galeristen Johann König von mehreren Frauen sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde. Die Sache war schlecht recherchiert. Einige Behauptungen mussten auf richterliche Anordnung zurückgezogen werden, andere nicht. Ein Teil der Anschuldigungen lässt sich bis heute im Internet nachlesen. Manches hat König selbst eingeräumt.
Und jetzt? Ist der Galerist von Christoph Peters’ Roman ein faktengetreues Spiegelbild des Mannes, der nicht gerade selten in den Medien vorkommt? Und was hat seine Frau damit zu tun? In «Innerstädtischer Tod» ist der Kunsthändler tatsächlich auch verheiratet. Seine Frau ist zehn Jahre älter und hat ein kurzes erotisches Abenteuer mit Fabian Kolb. Kann eine echte Galeristin ein Verhältnis mit einer vollkommen erfundenen Figur haben?
Denis Scheck hat «Innerstädtischer Tod» in seiner Büchersendung «Druckfrisch» unvorsichtigerweise einen «Schlüsselroman» genannt, aber der Begriff ist hier falsch. Nichts wird im Buch entschlüsselt, nichts ist neu. Das Buch montiert öffentliche Debatten des Jahres 2022 ins Geschehen und kann sich bei dieser Form der Fiktionalisierung von Wirklichkeit auch noch auf ein grosses Vorbild berufen. Auf Wolfgang Koeppens «Trilogie des Scheiterns» aus den fünfziger Jahren.
Peters adaptiert die Struktur und das Montageprinzip von Koeppens «Der Tod in Rom» für die Gegenwart. Realitätsschnipsel aus Politik und Medien wachsen zu etwas Neuem zusammen, das eben keine Wahrheiten behauptet, sondern das Gegenteil: Wie fragil jede Idee von Wahrheit ist.
Gemeinsam mit der in solchen Klagefällen geübten Berliner Kanzlei Schertz Bergmann ist das Galeristenehepaar überzeugt, dass im Roman wahrheitswidrige Dinge behauptet werden. Man befindet sich auf einer flirrenden Metaebene, weil Herr und Frau König nachweisen wollen, dass man sie aus dem Leben gegriffen hat, um ihnen in einem Roman zu schaden.
Autor und Verlag geben sich kämpferisch
Der Autor sagt: Das sind fiktionalisierte Figuren. Die Kläger sagen: Nein, das sind wir! Es geht um Ähnlichkeiten und Unterschiede. Der echte Galerist hat seine Galerie in einer profanierten Kirche, der fiktive auch. Im Roman ist der Kunstkenner für die Schärfe seines Blicks berühmt, von Fehlsichtigkeit keine Spur. Johann König hat eine grosse Karriere gemacht, obwohl er seit Kindheitstagen blind ist. Lena König ist ein paar Monate älter als ihr Mann, bei der Galeristengattin im Buch sind es zehn Jahre. Das alleinige Faktum des Älterseins werten die Anwälte schon als Indiz für Kongruenzen.
Der Schriftsteller Christoph Peters nimmt die Sache bisher gelassen und sagt zur NZZ: «Natürlich gibt es den Fall König mit seiner grossen medialen Resonanz. Es ist der einzige #MeToo-Fall in der Kunstszene. Wenn man den Klägern folgt, dann dürfte sich niemand mehr literarische Geschichten über #MeToo in der Kunst ausdenken, weil das an die Causa König erinnern könnte. Ich habe selbst Malerei studiert und während der letzten 35 Jahre immer wieder Übergriffigkeiten in der Kunstszene erlebt.»
Vom Anlass entferne sich sein Roman sehr weit, sagt Peters. «Ich kenne ja die Königs gar nicht. Und ich habe den Eindruck, dass der klagenden Kanzlei nicht auf allen Ebenen die Textsortenunterschiede zwischen Zeitungsartikeln und literarischen Werken klar sind. «Im literarischen Kunstwerk geht es ja gerade um Vieldeutigkeit und Vielstimmigkeit. Ich folge meinen Einzelfiguren in den verschiedenen Perspektiven. Es handelt sich hier nicht um einen realistischen Enthüllungsroman im Sinne des 19. Jahrhunderts, sondern um dezidiert multiperspektivische Fiktion. Es gibt Abschnitte, in denen sogar aus der Perspektive eines Katers erzählt wird.»
Jetzt muss sich das Hamburger Gericht über die Causa beugen und darüber entscheiden, ob ein ganzer Roman verboten werden soll, weil ein Galerist sich darin zu erkennen glaubt, der auch sonst in der Öffentlichkeit nicht unsichtbar ist. Luchterhand, der Verlag von Christoph Peters, hat angekündigt, bis zur höchsten Instanz für den Autor und sein Buch zu kämpfen.