Der Papst wird Anfang September zu der bisher längsten Reise seines Pontifikats aufbrechen. In Osttimor sorgt sein Besuch wegen Umsiedlungen und eines Millionen-Altars für Unmut.
Die mit roter Farbe auf die grüne Hauswand aufgesprühte Zahl 88 schwebt wie ein Damoklesschwert über Candido Barros. Der 59-jährige Timorer steht vor seinem Geschäft am Rande der timoresischen Hauptstadt Dili. Barros wirkt ratlos, obwohl er und seine Frau Prisca Convalves es zu etwas gebracht haben. Sie haben acht Kinder, ebenso viele Enkelkinder und in den vergangenen 24 Jahren vier Häuser gebaut. Eines davon stockt er derzeit um ein Stockwerk auf. Im Innenhof grunzen Schweine. Sein Laden, in dem er Getränke, Haushaltwaren und Lebensmittel verkauft, läuft gut.
Die Regierung schweigt
Damit soll nach dem Willen der Regierung bald Schluss sein. Vor wenigen Wochen kamen Beamte, sprühten Zahlen auf Barros’ Häuser und sagten ihm, er solle den Bau stoppen und wegziehen. Eine Erklärung blieben sie ihm schuldig. Andere Familien sind bereits vertrieben worden. Sie haben für ihr Haus bis zu 20 000 Dollar bekommen. Nach dem Wegzug rissen Bagger die Gebäude nieder.
Die Regierung schweigt zwar über die Gründe für die Umsiedlungen. In Osttimor ist es jedoch ein offenes Geheimnis, warum Barros’ und Hunderte andere Familien weichen müssen: Sie stellen ein Sicherheitsrisiko dar, denn ihre Wohnungen liegen in der Nähe jenes Ortes, wo Papst Franziskus am 10. September eine Messe feiern wird. Die Organisatoren erwarten zwischen 400 000 und 600 000 Gläubige.
In den sozialen Netzwerken war ein Schreiben aufgetaucht, in der die Regierung die Umsiedlung der Familien mit dem Besuch des Papstes begründete. Das Schreiben verschwand zwar schnell wieder aus dem Netz. Und der Erzbischof von Dili dementierte, dass die Menschen wegen des Papstbesuches wegziehen müssten. Ein Priester widersprach dem Erzbischof jedoch und forderte Papst Franziskus auf, seine Reise nach Osttimor wegen der Zwangsmassnahmen zu überdenken.
Der Heilige Vater wird Anfang September zu der bisher längsten Reise seines Pontifikats aufbrechen. Er besucht zwischen dem 3. und dem 13. September Jakarta, Port Moresby in Papua-Neuguinea, Osttimor und zum Abschluss Singapur. Die Losung des Besuchs in Dili lautet: «Lass deinen Glauben deine Kultur sein». 96 Prozent der 1,3 Millionen Timorer sind katholisch.
Die portugiesischen Kolonialisten, die sich 1520 in Osttimor niedergelassen hatten, brachten den Katholizismus auf die Insel. Auch das benachbarte Westtimor, 1613 von den Niederländern besetzt und inzwischen eine indonesische Provinz, ist mehrheitlich katholisch.
Ludgério Martial da Silva, der am Sitz des Erzbischofs in Dili die Vorbereitungen für den Papstbesuch trifft, betont denn auch die Bedeutung der Visite. «Papst Franziskus wird mit seiner Anwesenheit den Glauben der Timorer stärken.» Und er tritt in grosse Fussstapfen.
Bereits Papst Johannes Paul II. hatte Osttimor im Oktober 1989 besucht, nur wenige Wochen vor dem Fall der Mauer in Berlin. Die Timorer sind dem polnischen Papst noch immer dankbar für den Besuch, denn damals stand ihr Land unter indonesischer Besatzung; sie dauerte von 1975 bis 1999. Hunderttausende starben, Grossveranstaltungen waren verboten, es drangen kaum Informationen über Osttimor nach aussen. Durch den Papstbesuch rückte das Schicksal des Landes für kurze Zeit in den Fokus der Weltöffentlichkeit.
Als Johannes Paul II. am 12. Oktober 1989 seine Messe beendete, kam es trotz der Präsenz des indonesischen Militärs zu Protesten. Die Demonstranten forderten die Unabhängigkeit ihres Landes. Es gab Verhaftungen. Augenzeugen berichten, dass der Papst damals auf die Menge schaute, schwieg und dann abtrat.
Der Altar, wo Johannes Paul II. seine Messe feierte, bröckelt 35 Jahre später vor sich hin. Auf ihm ist ein Gemälde des Papstes zu sehen, wie er gutmütig lächelnd in die Menge winkt. Darunter recken Menschen als Zeichen des Protests ihre Hände in die Höhe und schwenken die timoresische Fahne. Erst am 20. Mai 2002 wurde Osttimor unabhängig.
Den Bauunternehmen läuft die Zeit davon
In Dili sind die Vorbereitungen auf den nächsten Papstbesuch in vollem Gange. Kirchen werden renoviert, Strassen verbreitert. Die Zeit drängt. Ob die Bauarbeiten pünktlich fertig werden, weiss niemand.
Der Organisator beim Erzbischof, da Silva, lächelt und sagt lapidar: «Ich hoffe es.» Zu den Umsiedlungen schweigt er sich aus und verweist an die Regierung, die dafür verantwortlich sei.
Für Unmut sorgt in Osttimor auch der neue Altar. Er liegt 500 Meter Luftlinie von jenem Ort entfernt, wo Papst Johannes Paul II. seine Messe 1989 gefeiert hatte. Bagger verschieben Erde, Arbeiter tragen Baustahlgitter herum. Das Fundament steht, es bleibt bis zur Fertigstellung noch viel zu tun.
Osttimors Arbeitskräfte profitieren nicht davon. Ein indonesisches Unternehmen hat die Ausschreibung gewonnen und seine eigenen Bauarbeiter mitgebracht. Sie gehen ihrer Arbeit gemächlich nach, machen Pausen, schwatzen und lachen. Im Beton sind erste Risse zu sehen.
«Ich bin ein guter Katholik»
Allein der Altar kostet 1 Million Dollar – viel Geld für ein armes Land. Annähernd jeder dritte Erwerbstätige muss in Osttimor mit einem täglichen Salär von weniger als 2.15 Dollar auskommen. Von 1000 Neugeborenen sterben 49 vor ihrem fünften Geburtstag. Im weltweiten Vergleich ist die Kindersterblichkeit mit 37 je 1000 Geburten deutlich niedriger.
Auch zu den Kosten des Altars schweigt sich der Organisator des Besuchs beim Erzbischof aus und verweist an die Regierung. Diese sagt, die Millionen für die Visite des Papstes seien gut investiert, weil der Heilige Vater den katholischen Gläubigen in Osttimor Hoffnung spende.
Barros, der bald umziehen muss, lebt gerade einmal 200 Meter Luftlinie vom neuen Altar entfernt. Ihm sind die Diskussionen über die Baukosten egal. «Ich bin ein guter Katholik.» Aber trotz seinem tiefen Glauben kommt keine Vorfreude auf den Besuch des Oberhaupts der katholischen Kirche auf. «Der Papstbesuch sollte eigentlich ein Segen für uns sein. Er bereitet uns jedoch Kummer», sagt seine Frau Prisca. Ihre Familie blickt in eine ungewisse Zukunft.








