Dem Online-Shop Farmy geht das Geld aus. Andere Bio-Läden gaben auf. Das liegt auch daran, dass Coop als grösster Bio-Händler massiv Einfluss auf Regeln und Preise nimmt.
Die Geschäftsidee ist bestechend: Ein Online-Hofladen, der auf Bestellung mit Elektrolieferwagen frische Produkte vom Bauern zum Kunden liefert. Nachhaltig, regional, sympathisch. So präsentierte sich Farmy seit seiner Gründung 2014.
Was lange wie eine Erfolgsgeschichte aussah, nahm diese Woche eine dramatische Wendung. Farmy muss per Notverkauf vom eigenen Lieferanten Pico, einem Bio-Grosshändler und Gastrozulieferer, gerettet werden. Besonders bitter: 2022 investierten gegen 2000 Kleinaktionäre über 4 Millionen Franken per Crowdfunding in Farmy. Ihr Geld ist verloren, wie das Unternehmen Anfang Woche per Mail seinen Teilhabern eröffnete.
Ob Farmy überlebt, ist offen. Das Geschäft zur Rettung ist noch nicht in trockenen Tüchern. Es wäre nicht die erste Pleite eines bekannten Schweizer Bio-Händlers. Vor genau zwei Jahren ging die Reformhauskette Müller Konkurs. 37 Läden machten dicht, 300 Angestellte verloren ihren Job.
Bei beiden Firmen mag einiges schiefgelaufen sein. Sicher aber ist auch: Sie operierten in einem gnadenlosen Markt, in welchem milliardenschwere Supermärkte mit harten Bandagen gegeneinander ankämpfen. Dabei ist der Bio-Handel einst aus einer idealistischen Bewegung entstanden, bei der die Nachhaltigkeit und nicht Marktanteile im Vordergrund standen.
Coop und Bio Suisse sind «verheiratet»
«Kein anderes Land hat eine so flächendeckende Bio-Abdeckung wie die Schweiz. Coop bietet ein Vollsortiment in Bio an, Migros hat ein beachtliches Teilsortiment an den am besten laufenden Produkten. Das ist absolut einmalig», sagt Urs Niggli, langjähriger Chef der Bio-Forschungsanstalt Fibl im aargauischen Frick und heute Präsident des Instituts für Agrarökologie in Aarau.
Für Kunden sei das wunderbar, sagt Niggli, der schon als Schweizer Bio-Papst bezeichnet wurde. Und auch die Bio-Bauern würden profitieren. Einerseits ökonomisch, andererseits, weil sie eine grosse Bühne für ihre Botschaft für mehr nachhaltiges Wirtschaften bekämen.
Aber: «Für kleinere, unabhängige Bio-Läden ist es in der Schweiz enorm schwer. Die kommen unter die Räder.»
Dominiert wird die Schweizer Bio-Szene von Coop. Die Detailhandelsgenossenschaft mit Sitz in Basel hat als erste das enorme Potenzial erkannt. 1993 sind Coop und Bio Suisse, der Dachverband der Bio-Bauern, eine Partnerschaft eingegangen. «Anfang der neunziger Jahre haben sich Bio Suisse und Coop praktisch verheiratet», sagt Urs Niggli.
Was aus damaliger Sicht schrullig und hippiesk wirkte, wurde für beide Seiten zur Erfolgsstory. Coop konnte die Preise der Bio-Läden unterbieten und erschloss den Bio-Bauern so eine neue Käuferschicht. Dank der Vergabe des Bio-Labels Knospe an Coop nahm Bio Suisse wiederum jedes Jahr wachsende Lizenzgebühren ein.
Das schnelle Wachstum und die stolzen Margen blieben der Konkurrenz natürlich nicht verborgen. Schon bald nach ihrem Markteintritt in die Schweiz interessierten sich die Discounter Lidl und Aldi für das Knospe-Label. Es gilt im internationalen Vergleich als streng. Auch die Migros, welche auf eine eigene Bio-Marke setzte, wollte das Gütesiegel auf ihren Produkten.
Coop aber wollte seine Sonderstellung verteidigen – mit allen Mitteln. «Coop hat viel in den Aufbau des Knospe-Labels investiert. So hat Coop auch Bio-Produkte im Sortiment, die sich nicht rechnen», sagt Urs Niggli. «Deshalb hat Coop Druck auf Bio Suisse bei der Weitergabe der Knospe gemacht.»
Tatsächlich führte die Migros das Knospe-Label erst 2022 auf ihren Produkten ein. «Erst durfte die Migros das Label nicht benutzen. Das liess sich aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht halten. Irgendwann bekam die Migros die Knospe», sagt Niggli. Aber den Discountern bleibt das Label bis heute verwehrt – obwohl sie teilweise bei den gleichen Produzenten einkaufen, die auch Coop und Migros beliefern.
Coop will auf Anfrage nichts von einer Einflussnahme wissen, dementiert aber auch nicht: «Die Distributionspolitik von Bio Suisse basiert auf autonomen Entscheidungen von Bio Suisse.»
Bio soll weiter wachsen
Coop mag zwar die Nummer 2 im Schweizer Detailhandel hinter der Migros sein. In Sachen Bio ist das Unternehmen aber klar die Nummer 1. Es führt nach eigenen Angaben 9000 Bio-Produkte, darunter 4000 mit dem Knospe-Label. Das kommt gut an in einem Land, welches so bio-affin ist wie kaum ein anderes.
Schweizerinnen und Schweizer geben rund 4,1 Milliarden Franken für Bio-Lebensmittel aus. Das sind 11,6 Prozent des hiesigen Lebensmittelmarktes. Damit ist die Schweiz europaweit an der Spitze.
Und der Hunger von Coop ist noch längst nicht gestillt: «Wir wollen auch in den kommenden Jahren mit Bio-Produkten überdurchschnittlich wachsen und unseren Umsatz in diesem Bereich auf 2 Milliarden Franken steigern», teilt ein Sprecher mit.
Aussen vor bleiben die kleinen Bio-Läden: «Der Bio-Boom findet meist woanders statt. Es wäre schön, wenn wir auch etwas vom grossen Wachstum hätten, das in den letzten Jahren stattgefunden hat», sagt Hansi Sommer, Geschäftsführer des Bio-Fachgeschäfts Viva Natura in Schaffhausen sowie Präsident der Genossenschaft Vielgrün, in der sich unabhängige Bio-Läden zusammengetan haben.
Laut Sommer gibt es in der Schweiz noch rund 250 solcher Geschäfte. Dies sei angesichts der massiven Konkurrenz durch die Detailhändler beachtlich. «Wir machen das mit viel Herzblut, die Wirtschaftlichkeit kommt meist nicht an erster Stelle.»
Eine gewisse Enttäuschung gegenüber der Entwicklung ist zu spüren. «Der Bio-Fachhandel war einmal die Basis des Verbands Bio Suisse. Heute hat man manchmal das Gefühl, dass Bio Suisse eine Abteilung von Coop ist.»
Coop schreibt, dass man bei den Bio-Produkten in einem Wettbewerb mit vielen unterschiedlichen Teilnehmern stehe. «Coop steht diesem positiv gegenüber, da er den Bio-Markt belebt.»
Aber wenn man zuoberst in der Nahrungskette steht, sagt sich das natürlich leicht.
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