Die Zeitung mit den grossen Schlagzeilen will wieder aggressiver werden. Gleichzeitig löscht sie eine harmlose Story über Roger Federers neue Villa am Zürichsee.
Keine Royals, wenig Skandale und eine Gesellschaft, die Sensationsgier ebenso wenig goutiert wie Bling-Bling-Reichtum: Die Schweiz bietet für Boulevardjournalismus eher schlechte Rahmenbedingungen. Immerhin gibt es mit Roger Federer eine Art Ersatzkönig samt royaler Familie, die in den letzten Jahren gute Kioskverkäufe und viele Klicks garantierte.
Davon zeugen in der Schweizer Mediendatenbank Tausende Berichte über «King Roger». «So viel kostete Mirka Federers Oscar-Outfit», «Der Grösste aller Zeiten» oder «‹Blick› erklärt King Rogers Reich» – so lauteten die Schlagzeilen im «Blick» und anderen Boulevardmedien. In dem Bericht aus dem Jahr 2018 erfuhr man unter anderem, der Tennisstar habe ein Vermögen von 680 Millionen Franken angehäuft und besitze mehrere Immobilien, darunter ein Luxusappartement in Dubai sowie ein Doppelchalet in Valbella, «inklusive Heimkino, Weinkeller und Hammam».
Löschungsaktion sorgt für Aufsehen
Trotz alledem, so wusste der «Blick» damals, sei Federer «demütig geblieben». Das Chalet in Valbella war auf einem Bild zu sehen, mit der Unterschrift «Idylle pur». Kürzlich musste die «Blick»-Redaktion allerdings erfahren, dass «King Roger» derartige Einblicke in sein Reich nicht sonderlich schätzt. Wie das Portal «Inside Paradeplatz» berichtet, hat der «Blick» aufgrund einer Intervention aus Federers Umfeld einen Artikel vom Netz genommen, der die «neusten Bilder» von Federers imposanter, fast fertig gebauter Villa am Zürichsee ankündigte.
Gibt man die ursprüngliche Adresse des Artikels ein, erscheint eine Fehlermeldung. Die Medienstelle des Ringier-Verlags erklärt auf Anfrage der NZZ, man kommentiere keine internen Abläufe und Entscheide. Interne Quellen bestätigen jedoch, es habe Druck gegeben, den Artikel zu entfernen.
Die Löschung des Berichts sorgt nicht nur in der Redaktion für Aufsehen. Dass Medien bereits veröffentlichte Artikel vollständig entfernen, kommt selten vor. In der Regel geschieht dies nur bei schwerwiegenden Fehlern oder wenn Gerichtsurteile die Unternehmen dazu zwingen. Hinzu kommt, dass die Story über die Federersche Villa kaum skandalträchtig war. Eher belanglos.
Freie Sicht wegen gefällter Bäume
Roger Federer, so erfuhren die «Blick»-Leser, hat jetzt freie Sicht auf den Zürichsee, weil ein paar Bäume gefällt worden sind. Und die Öffentlichkeit hat deswegen freie Sicht auf das künftige Zuhause der berühmten Familie. Fotografiert wurde das Anwesen mutmasslich vom See aus, zu sehen sind eine Baustelle und ein langgezogenes weisses Gebäude, das sich architektonisch wenig abhebt vom Neubauten-Einheitsbrei an der Goldküste. Menschen sind keine im Bild, ins Innere der Villa sieht man nicht.
Entsprechend sind auch Juristen überrascht, wie schnell der Ringier-Verlag eingeknickt ist. «Die Bilder sind harmlos», sagt der Medienrechtler Martin Steiger, «die rechtliche Brisanz erschliesst sich mir nicht.» Anders wäre das, wenn die Reporter das Gebäude mit Drohnen überflogen hätten und die Fotografien private Einblicke eröffneten. Grundsätzlich gebe es in der Schweiz die urheberrechtliche Panoramafreiheit, also das Recht, Gebäude von allgemein zugänglichem Grund aus zu fotografieren und die Bilder zu veröffentlichen. Sofern keine Persönlichkeitsrechte verletzt würden.
Martin Steiger versteht zwar, wenn sich Roger Federer an solchen Bildern stört und seine Beziehungen zum Ringier-Verlag nutzt, um sich zu beschweren. Aber rechtlich müsse er damit wohl leben, auch weil er als Unternehmer und Werbebotschafter gerne die Öffentlichkeit suche und sein Familienleben in den Medien zeige. Zudem sei seine Villa in Rapperswil-Jona eines der bekanntesten Bauprojekte der Schweiz. Ähnliches ist von anderen Juristen zu hören.
Maschendrahtzäune und einsprachefreudige Umweltschützer
Tatsächlich sind die Schweizer Residenzen des 2022 zurückgetretenen Tennisspielers seit Jahren beliebte Medienthemen. Dies auch, weil sich «King Roger» mit seinen Projekten immer wieder Probleme einhandelt, die auch Normalbürger beschäftigen: Nachbarn, die sich an einem Maschendrahtzaun vor seinem Chalet in Valbella stören, einsprachefreudige Umweltschützer oder Behörden, die ihm ein Bootshaus am Zürichsee verweigern.
Was Federer auf seinem Grundstück in Rapperswil-Jona plant, ist dem Publikum längst in allen Details erklärt worden. Der «Blick» liess den Börsenexperten Alfred P. Herbert schon 2019 auf einer Anhöhe filmen, wie er mit ausgestrecktem Arm auf das Gelände deutet. Titel: «Cash-Guru Fredi Herbert zeigt: Hier ziehen die Federers hin».
Zu vermuten ist deshalb, dass der Ringier-Verlag den Artikel weniger aus juristischen Bedenken zurückgezogen hat, sondern vielmehr aus Sorge um die guten Beziehungen zum Hause Federer. Der Ringier-CEO Marc Walder, ein ehemaliger Tennisprofi, umgibt sich gern mit den Reichen und Mächtigen. Seine Ex-Frau Susanne Walder durfte 2021 für das Heft «Interview by Ringier» ein langes Gespräch mit «Meister» Roger Federer führen, in vertraulichem Plauderton. «Lass uns mit deiner Kindheit beginnen», lautete der erste Satz.
Federer gab sich wie immer, geduldig, sympathisch, bescheiden, geschmeidig. Ein Weltstar, für den die «Vogue» schnell wichtiger war als die «Schweizer Illustrierte», der die Schweizer Medien aber ab und zu braucht, um sein Image zu pflegen.
Was den Weltstar und heutigen Milliardär am jüngsten «Blick»-Bericht genau erzürnt hat, ist unklar. Eine Anfrage, die sein Anwalt an das «Family-Office» der Federers weiterleitet, blieb bis Sonntagabend unbeantwortet.
Was den Ringier-Verlag betrifft, passt der vorauseilende Gehorsam gegenüber «King Roger» kaum zur neuen Blattlinie, die dem Chefredaktor Rolf Cavalli für den «Blick» vorschwebt. Die Boulevardzeitung soll wieder aggressiver werden, nachdem sie in den letzten Jahren zunehmend politisch korrekt, brav und regierungstreu gewirkt hat.
«Zuletzt ging es zu oft darum, was wir nicht mehr machen, wo wir zu weit gegangen sind», sagte Cavalli kürzlich der NZZ. «Ich will, dass wir uns auch wieder fragen, wo wir zu wenig weit gegangen sind.» Die neue Grenze ist offenbar schnell erreicht.