Der Zuger Baustoffkonzern Forbo gehört zu den Schweizer Unternehmen, die Russland bis heute nicht verlassen haben. Seine Präsenz im kriegführenden Land stürzt ihn in ein wachsendes Dilemma.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind zwei Jahre verstrichen, und noch immer halten zahlreiche internationale Unternehmen dem russischen Markt die Treue. Laut der neusten Auswertung der ukrainischen Wirtschaftshochschule Kyiv School of Economics haben bis Anfang dieses Jahres rund 360 Konzerne ihre Verbindungen vollständig abgebrochen. Dies entspricht nur 10 Prozent der ausländischen Firmen, die vor dem Kriegsausbruch in Russland tätig gewesen waren. Knapp 1800 haben ihre russischen Aktivitäten verringert, fast 1600 sollen wie bisher den Markt bearbeiten.
Auch Nestlé geschäftet weiterhin in Russland
Auch Schweizer Grossfirmen haben längst nicht in allen Fällen die Reissleine gezogen. Zu den Firmen, die bis heute in Russland ausharren, gehören unter anderem die Pharmakonzerne Roche und Novartis sowie der Nahrungsmittelmulti Nestlé. Auch der traditionsreiche Bodenbelaghersteller Forbo hat es ähnlich wie der Heizkörperproduzent Arbonia nicht fertiggebracht, einen Schlussstrich zu ziehen.
Die Frage, weshalb man Russland nicht verlassen habe, ist der Unternehmensführung sichtlich unangenehm. Der Verwaltungsratspräsident von Forbo, This Schneider, beantwortete sie an der Bilanzmedienkonferenz am Dienstag gleich wie schon vor einem Jahr: «Wir haben Menschen dort, die schon jahrelang für uns gearbeitet haben. Wir wollen sie nicht für die Politik der russischen Regierung bestrafen.»
Forbo produziert in Russland an je einem Standort Vinylböden und Klebstoffe für Keramikplatten in Badezimmern. Einschliesslich verschiedener Vertriebsbüros für die Bearbeitung des lokalen Marktes umfasst die russische Belegschaft von Forbo 200 Mitarbeiter.
Stellen verschwinden anderswo
Ungefähr gleich viele waren es bereits vor einem Jahr. Damit ist das Geschäft in Russland vom Stellenabbau verschont geblieben, den das Unternehmen sonst für die meisten seiner Standorte angeordnet hatte. «Es tut immer weh, sich von Menschen zu trennen, aber wir hatten 2023 keine andere Wahl», sagte der Konzernchef Jens Fankhänel. Konzernweit wurde die Belegschaft um 200 Personen bzw. um knapp 4 Prozent auf 5190 Mitarbeiter reduziert. Man habe jeden Stein umgedreht und überall geschaut, wo sich die Effizienz erhöhen lasse, ergänzte Fankhänel.
Forbo stand letztes Jahr nach einem bereits schwierigen Vorjahr in den meisten Absatzmärkten erneut unter Druck. Der Umsatz schrumpfte um 9 Prozent auf knapp 1,2 Milliarden Franken. Dabei setzte dem Unternehmen auch die Schwäche der meisten Fremdwährungen gegenüber dem Franken empfindlich zu. In Deutschland, dem mit einem Umsatzanteil von 12 Prozent grössten Absatzmarkt nach den USA, sanken die Verkäufe sogar um 11 Prozent. «Deutschland hatte 2023 andere Prioritäten, als Bodenbeläge zu installieren», sagte Schneider lakonisch.
In Frankreich gingen die Verkäufe um 16 Prozent zurück – ebenso wie in den USA, was angesichts der noch immer gut laufenden Konjunktur in der weltweit grössten Volkswirtschaft eine Überraschung darstellt. Offenbar kämpfte Forbo in Amerika aber mit hausgemachten Problemen. Man habe organisatorisch nachbessern müssen, sagte Fankhänel.
In Asien beschränkte sich der Umsatzrückgang auf 5 Prozent. In Lokalwährungen reichte es sogar für ein Wachstum von 7 Prozent, doch trug diese Verkaufsregion noch immer erst 15 Prozent zum Konzernerlös bei.
Moskau kassiert Steuern
Zahlen zur jüngsten Umsatzentwicklung in Russland nannte die Führung von Forbo nicht. Allerdings bestätigte der Finanzchef Andreas Jaeger auf Nachfrage, dass die russische Geschäftseinheit profitabel arbeite und damit auch Steuern an die Regierung abliefere. Dieser Umstand verdeutlicht das Dilemma, in dem Unternehmen mit fortgesetzter Geschäftstätigkeit in Russland stecken. Jeder Rubel, der an Steuern entrichtet wird, droht für die Finanzierung der russischen Kriegsmaschinerie eingesetzt zu werden.
Mit Blick auf das laufende Jahr erklärte das Management von Forbo, dass es in nächster Zeit nicht mit einer Erholung der Märkte rechne. Zwar sind beim Unternehmen jüngst vermehrt Anfragen für mögliche Neugeschäfte eingegangen – beispielsweise von Schulen in den USA, die über neue Bodenbeläge nachdenken. Doch scheut man sich in der Konzernführung noch davor, daraus eine Trendwende abzuleiten.
Fehleinschätzungen aus dem vergangenen Jahr haben die Firmenleitung vorsichtig werden lassen. Damals war man zur Jahresmitte zur Überzeugung gelangt, das Umfeld würde sich insbesondere in Europa aufhellen. Aber das Gegenteil traf ein: Die Wirtschaftsindikatoren hätten sich beinahe Woche für Woche verschlechtert, sagte Fankhänel.
Hoffnung auf Ersatzinvestitionen bei Amazon
Forbo musste denn auch Ende Oktober 2023 eine Gewinnwarnung veröffentlichen und zähneknirschend eingestehen, dass sich die leichte Erholung, die im ersten Halbjahr spürbar gewesen sei, in der zweiten Jahreshälfte nicht fortgesetzt habe. Im laufenden Jahr will das Unternehmen trotz allem Gegenwind einen unveränderten Umsatz von 1,2 Milliarden Franken erwirtschaften. Das Konzernergebnis soll von 102 auf 110 Millionen Franken steigen.
Absatzerfolge verspricht sich das Unternehmen unter anderem von Bodenbelägen, die sich zumindest teilweise wiederverwerten lassen. Auch Bauherren achteten verstärkt darauf, dass Materialien in einem Kreislauf gehalten werden könnten, sagte Fankhänel.
Bei der Herstellung von Transportbändern, seinem zweiten Geschäftsbereich, erhofft sich der Konzern einen gewissen Erneuerungsbedarf in Logistikzentren. Internethändler wie Amazon bauten ihre Infrastruktur bis vor kurzem stark aus. Typischerweise müssten die Bänder in Verteilzentren bei einem 24-Stunden-Betrieb aber nach fünf, sechs Jahren ausgetauscht werden, sagte der Chef von Forbo.